Von Jochen Klug

  

Luke wollte seine Ruhe vor den Menschen und er bekam sie als die Atombomben einschlugen. Er trug jeden Tag nur noch die gleiche ausgefranste Kleidung. Eine graue Jeans und ein graues dickes Holzfällerhemd.

 

Aber er war glücklich. Wie friedlich diese Welt nun war. Keiner der ihn mehr peinigte oder demütigte. Langsam schlenderte er über die mit Asche bedeckte Wiese. Raben holten Augäpfel aus einer Leiche. Was für ein Glück, dass er das nicht war.

 

Vieles machte Luke unterbewusst. Man kennt doch das, wenn man etwas ohne nachzudenken macht. Etwas juckt und man kratzt sich zum Beispiel. So war es auch bei Luke. Die Menschen waren sein Jucken, und er kratzte ständig. Sein Gehirn machte die Arbeit ganz alleine. Wie in Mathe, wo er nur blitzschnell die Zahlen ausspuckte. Dem Lehrer hätte er es gerne erklärt wie er zu den Ergebnisen kam, doch er wusste es ja selbst nicht. Es war wie ein inneres Chat gpt das ihn über den Rechenvorgang im Dunkeln lies. 

 

Er formte seine Mitmenschen, beeinflusste sie in ihrer Berufswahl: »Am besten, du studierst Virologie.« Oder: »Du wirst am besten Sprengmeister. Wenn etwas explodiert, das gefällt dir doch.« 

 

Damals hatte er nicht viele Freunde, doch nun, nach der Apokalypse, hatte er viele Freunde gefunden. Was ein Glück, dieser Weltuntergang doch für ihn mit sich brachte. Zehntausende »Follower« hatte er nun. Und sie alle liefen hinter ihm her, als ob er der Messias wäre.

 

»Was ist los Wilson? Du schaust so traurig?«, fragte Luke den Mann im dunkelblauen, löchrigen und schmutzigen Jogginganzug, der neben ihm trottete … »Was du willst eine Frau?«, sagte Luke. »Hier sind doch genug. Schau mal dort Sabrina sie hat bereits ein Brautkleid an. Wie wärs soll ich sie her holen?« Wie ein Gespenst welches durch einen Schornstein geflogen war, so sah sie fast mit ihrem ehemals weißem Kleid aus. »Gut dann hole ich sie her. Ich kann euch gleich trauen wenn du das willst.«

 

Luke ging unaufhörlich rückwärts weiter während er die Zeremonie vor den Beiden abhielt. »So erkläre ich euch nun zu Mann und Frau. Ihr dürft euch nun Küssen …« Die Zwei machten aber keine Anstalten. »KÜSST EUCH HABE ICH GESAGT«, schrie er. Anschließend nahm er ihre Köpfe und klatschte sie zusammen. »So ja. Ist das nicht schön?« Dann bemerkte er das Wilson einen Teil seines Gebiss verlor. »Mensch Sabrina du hast ihm ja einen Zahn herausgeschlagen. Wilson soll ich dir auch bei der Hochzeitsnacht helfen? Die bringt dich ja sonst um … Gut dann bis heute Abend«, sagte Luke.

 

An einem Abend hatte er auch diesen Russen getroffen. Luke hatte eine grobe Vorstellung davon, wie diese Zusammenkunft zustande kam. Das menschliche Gehirn sammelt alles ein, einfach alles. Das Auge nimmt jeden Grashalm, jede Ameise wahr. Aber beim Menschen bleibt aufgrund eines Sortiersystems wenig übrig. Ähnlich wie bei einer Überwachungskamera, die vierundzwanzig Stunden am Tag aufzeichnete. Keiner von uns möchte sich das alles ansehen oder es irgendwo für immer aufbewahren.

 

Luke erinnerte sich: Fünf Fernseher waren in seinem Wohnzimmer die unaufhörlich seit Monaten Bilder und Töne übermittelt hatten. Er dachte die liefen um sich abzulenken von den Mobbingfolgen. Aber später wurde ihm klar das sein Gehirn nach irgendwas Bestimmten suchte. Bevor er die Flimmerkisten urplötzlich alle ausgeschaltet hatte hörte er noch aus einem Fernseher: Igor, Russland. Unheimlich, denn auf einmal verspürte er Damals Lust in Moskau Urlaub zu machen.

 

In Moskau angekommen ging er damals wie ferngesteuert abends zielstrebig in eine Bar, die in einer dunklen Gasse lag. Lange dauerte es nicht und eine Gruppe betrunkener Männer hatte sich über ihn lustig gemacht. In einem Punkt hatte er immer Pech im Leben. Menschen die ihn quälten schien er anzuziehen wie Scheiße die Fliegen. 

»Ich sollte gehen bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt«, hatte er sich zu sich selbst gesagt. Doch ein inneres Gefühl schien etwas anderes auszudrücken: »Das ist Glück.« Es kam wie es kommen musste. Schläge, Tritte. Das war er gewohnt. Er bekam Lust sich zu wehren. »Nein das ist Glück«, signalisierte ihm das Gefühl erneut. Kurze Augenblicke später fand er sich wie so oft auf dem Boden wieder. Schuhe trafen ihn. Einer hatte sogar Stahlkappen an spürte Luke. »Was sollte das denn bitte schön bringen außer gebrochene Knochen und blaue Flecken?«, hatte er sich gefragt. Plötzlich ein Schuss Damals, und die Schläger rannten fort. Eine Hand wurde ihm gereicht. »Hallo, du bist Deutscher. Ich bin Igor.«

 

Es hatte sich herausgestellt das Igors Sohn vor einem Jahr in dieser Bar vermöbelt und im Krankenhaus gestorben war. Und noch etwas hatte sich offenbart: Igor und seine Freunde waren dazu in der Lage die Atomraketen Russlands abzufeuern. Luke hatte viel Zeit mit Igor verbracht. In dieser Zeit, die ihm sein Unterbewusstsein verschaffte hatte wurde der Atomschlag Russlands immer wahrscheinlicher.

 

Das ist der Fehler, den die Menschen immer machen, hatte Luke zufrieden gedacht. Jemanden als ungenügend, als fehlerhaft, als wertlos abstempeln. Doch Niemand ist wirklich machtlos. So viele Dinge könnten passieren. So viele …  Es reicht, wenn ein Ereignis ein anderes auslöst. Der berühmte ›Butterfly-Effekt‹ eben.

 

Und heute Jahre später schrillten Alarmsirenen plötzlich auf und rissen ihn wieder in die ins Heute. Ein Lager von Überlebenden erschien mitten auf der staubtrockenen Wiese. Bauzäune die im Wind wackelten bildete einen Schutzring. Lächerliche Verteidigung. Welch ein Glück!

 

Sein Kopf könnte im Visier jenes Scharfschützengewehrs sein, befürchtete Luke, welches angelehnt auf der Brüstung eines Jagdsitzes hervorlugte. Der schwarzgekleidete Mann hinter dem Gewehr war wohl kaum zur Hirschjagd dort oben.

 

Schreie und Rufe aus dem Lager. »Da sind sie. Sie kommen«, hörte Luke. Eine Explosion in seiner Nähe ließ ihn zusammenzucken. Fleisch, Körperteile und Erde flogen ihm um die Ohren. Fortuna war ihm wieder hold. Er blieb unverletzt. Molotowcocktails wurden von den Verteidigern angezündet und über den Zaun geworfen. Doch brennend gingen seine Freunde weiter und konnten den Zaun niederreißen. Eine Frau war gerade dabei, eine weitere Flasche zu entzünden, als sie von einem seiner Leute zu Boden gerissen wurde. Die Flasche fing Feuer und beide gingen in Flammen auf. Zeitgleich bekam Wilson neben ihm eine Kugel in den Kopf. Was für ein Dusel doch Luke wieder hatte, dass er nicht die Kugel abbekam.

 

Nun war Luke hinter der ehemaligen Absperrung. Die Verteidiger schlugen sich tapfer. Vor allem vor einem Mann mit einem Samuraischwert stapelten sich die Leichen. Luke nahm seine Axt in die Hand. Sabrina, die Witwe, die vor Luke war, verlor ihren Kopf durch einen Schwerthieb. Danach ging der Schwertkämpfer auf Luke zu. Das Ziel der Schwertklinge war nun Lukes Hals. Doch er tauchte nach unten weg und schlug seine Axt in die Achillessehne des Schwertschwingers. Weit aufgerissene Augen und einen weit geöffneten Mund sah er im Gesicht seines Gegners, der mit einem Knie auf dem Gras niederkniend zu Luke aufschaute. Kurz darauf machten sich Lukes »Follower« über ihn her. Fressgeräusche drangen an sein Ohr. Aber auch die letzten Worte des Schwertkämpfers: »Du bist kein Zombie wie die?!«

Der Virologe entsprach damals Lukes Wunsch ein Zombievirus zu erschaffen. Was für ein Glück. So hatte er auch das Gegenmittel und konnte unter den Infizierten wandeln.

 

Zombie. Das Wort sorgte plötzlich bei Luke für einen Moment der Klarheit. Stimmt das waren Untote und er war keiner wurde ihm bewusst. Oder doch? War er nicht auch so einer? Lief er nicht genauso Hirnlos umher? Sein Gehirn grenzte ihn doch aus wie die Menschen seit je her. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sein Verstand ihn wahrscheinlich nur schützen wollte vor allem. So eine Art Schutzschalter. Zombies hielt er für seine Freunde. Ihm dolchte das könnte nicht normal sein. Vielleicht sollte er doch mal zu einem Psychologen?! Wenn es denn noch einen gab?

 

Der Jagdsitz krachte durch die Zombiehorde zusammen. Das Lager war verloren.

 

Wie immer an so einem Punkt, wenn ein weiteres Lager gefallen war, drang eine Erinnerung aus seiner Kindheit in sein Bewusstsein vor: Es war ein sommerlicher Tag, und er hatte auf einem mit moosbedeckten felsigen Untergrund gestanden. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er sich wieder raus getraut. Der Steinbruch vor ihm sah aus wie ein gigantischer Brunnen. Gut gelaunt und stolz auf sich genoss er die Aussicht.

 

Sein Nachbar und seine Clique hatten ihn aufgegriffen und ihn dort hoch gelotst. »Los jetzt, spring schon«. Nachdem Lukes Nachbar das geschrien hatte, schaute Luke nach unten in den Abgrund. Er erkannte sein völlig deformiertes Fahrrad, das sie kurz vorher hinuntergeworfen hatten. »Los jetzt«, hatte er wieder gefordert. »Dein Leben ist doch eh schon vorbei. Wir werden dir weiter das Leben zur Hölle machen. Du bist doch schon am Ende, man.«

 

Luke hatte darüber nachgedacht. Aber er wollte weiter Leben. Vielleicht könnte er etwas anderes machen. Sein Gehirn präsentierte wieder ein Ergebnis. Cool der Weltuntergang. Warum nicht? »Du schupps ihn runter. Ich kann ihn nicht mehr sehn«, hatte sein Nachbar verlangt. »Nein machs du doch … Schupps oder du fliegst … Ne ich geh doch nicht wegen dem ins Gefängnis, vergiss es.«

 

Glück. Sie waren damals einfach gegangen und ließen Luke an der Kante stehen.

 

Klopfen riss Luke aus seinen Gedanken. Eine Frau hinter einem Fenster eines schwarzen Containers starrte ihn an und schrie: »Hallo kann ich mitkommen?«

 

»Nein ich reise alleine, Sorry.« Eine Traube Zombies schlurfte vorbei und durchtrennte die Sichtlinie zwischen Luke und der Frau. Er wollte die Gelegenheit nutzen um zu verschwinden. Doch anscheinend bemerkte sie es, denn sie schrie: »Nein bitte ich bin nur eine Psychologin las mich nicht in der Welt des Wahnsinns hier alleine.«

 

»Moment was sagtest du? Eine Psychologin.« …

 

 

 

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