Von Matthias Herrmann

Drei Tipps für ein glückliches Leben

Die Tipps sagen dir, wie du ein glückliches Leben führen kannst. Oh, es ist ratsam, die Tipps zu befolgen!

Tipp 1: Anlage eines Hügelbeetes

Wenn du viel nachdenkst über das Leben, die Menschen und die Welt, dann tut es dir sicher verdammt gut ein Hügelbeet anzulegen. Kauf dir vorher das Biogartenbuch von Marie-Louise Kräuter, denn darin ist alles gut erklärt. Du gräbst mit einem Spaten ein Loch, einen Meter breit, zwei Meter lang und 30 Zentimeter tief. Du lässt dich nicht von den Nachbarn irritieren, die dir erzählen wollen, dass hier der Boden mit Schwermetallen total verseucht ist. Nein, lass dich nicht irritieren! Grabe einfach weiter deine Grube. Wenn sie fertig ist, wirst du Blasen an den Händen haben und Rückenschmerzen. Du wirst dich fragen: Lohnt sich das? Doch du machst einfach weiter. Du legst die Grube mit Kaninchendraht aus, damit sich später keine Wühlmäuse in deinem Hügelbeet ein Nest errichten können, dann fährst du hinaus aufs Land in einen Wald, wo du kleine Äste und Blätter sammelst. Sie bilden die unterste Schicht deines Hügelbeetes. Am besten transportierst du die Sachen in einem blauen Plastiksack im Kofferraum deines Autos. Du brauchst zwei Säcke voll mit dem Reisig, die du in der Grube aufschichtest. Die nächste Lage bilden abgefallene Blätter, die du nicht aus dem Park holen solltest, sondern auch von außerhalb. Du brauchst wirklich viele Blätter, aber es macht dir Spaß, die Blätter mit den Händen anzufassen, darin herumzuwühlen. Pass aber auf, dass sie nicht voll Hundekot sind. Das wäre unangenehm! Nach der Blätterschicht kommt die Erde von dem Aushub darüber. Jetzt hat sich schon ein kleiner Hügel gebildet, den du dir voller Stolz anschauen kannst. Nach der Aushuberde kommt der Knüller: Du besorgst dir von der Berliner Stadtreinigung Original-Komposterde, die du darüber gibst! Wow! Das gibt das richtige Wachstum! Du wirst stolz sein, denn du hast dir einen Hügel der Fruchtbarkeit angelegt. Und lass dich auch nicht irritieren, wenn deine Freunde, Verwandte und Bekannte sagen, dass dein Hügelbeet wie ein Grab aussieht und dann Witze machen, die da lauten: „Das sieht ja aus wie ein Hügelgrab. Hahaha!“

He, Mann, lass dich nicht irritieren, sondern antworte einfach: „Ja, das ist ein Grab! Da liegt mein altes Ich begraben!“ Das wird ihnen das Maul stopfen. Garantiert, Mann!

 

Tipp 2: Einkaufen bei Humana, auch wenn dich zwei Ängste beschleichen

Und obwohl Lydia sagt: „Kauf nicht bei Humana!“ Du gehst trotzdem hin! Du betrittst den Laden durch eine Tür auf der Ecke des Flachbaus. An der Fassade hängt außen eine Messingklappe, auf der „Nachttresor“ steht. Du denkst dir, dass hier irgendwann mal eine Berliner Sparkasse drin war, aber: Wirst du jemand fragen, wann das war? Oder bemerkst du die Messingklappe gar nicht, sondern überlegst dir, wie lange du die Atmosphäre bei Humana aushältst, ohne depressiv zu werden?

Neben dem Eingang befindet sich rechts übrigens die Kasse. Dort packt dir eine Mitarbeiterin die Klamotten in Plastikbeutel, die immer so knistern, wenn du sie zu Hause in deinen Tütensack stopfst. Die Theke der Kasse besteht aus weißem Furnierholz, und du bekommst dort einen schmalen Kassenbon, auf dem die Zahlen sehr dunkelblau zu lesen sind. Wenn du weiter gehst, triffst du an der ersten Säule auf einen Wühltisch voller Mützen aus Leder und Handtaschen. Die interessieren dich aber nicht. Sondern: Du gehst einfach geradeaus. Links reihen sich Sakkos, gefärbte Hemden, Herrenhosen, rechts Damenkleidung aneinander. Endlich kommst du durch einen Durchgang in einen eigenen, abgeschlossenen Raum. Hier stehen hinter einer verchromten Gitterwand Container mit Kleidern, die von einem Typ mit rutschender Jeans, Vollbart und schulterlangen, fettigen Haaren ausgepreist und einsortiert werden. Vor der Gitterwand findest du dann den taillierten Ski-Anorak von Head. Du ziehst ihn an und schließt den dunkelblauen Reißverschluss. Du musst deinen Bauch ein bisschen einziehen, aber wenn du auf eine Party kommst, werden sie sich zuraunen: „Du, wer ist denn der Biker, der da gerade gekommen ist?“ Dieser Anorak macht aus dir also ein richtiges Ass, auch wenn du mit der U-Bahn gekommen bist und ein BVG-Monatsmarken-Abonnement hast. Danach findest du das Oberhemd mit dem großen Kragen, das mit Zeitungsartikeln bedruckt ist. Da liest du dann von IRA-Bomben, Verletzten und Toten, und über die schwarzen Zeitungswörter sind rote Herzen und „Je t’aime“ oder „I love you“ gedruckt. Ich sage dir, wenn du das Hemd trägst, das macht enormen Eindruck. Die Leute bleiben neben dir stehen und wollen lesen, was auf dem Hemd steht. Dabei ist es eigentlich kein schönes Hemd. Man könnte sagen, es ist ein interessantes Hemd. Und falls dich dann dein Personalchef fragt, warum du das Hemd trägst, dann antwortest du einfach: „Mit dem Hemd besiege ich den Hass auf der Erde.“

Richtig schön ist die beige Jacke aus Rumänien, eine richtige Windjacke. Wenn es kalt ist, kannst du sie über dem Head-Anorak tragen, aber dann wirst du komische Sachen erleben, über die du dich aber nicht so wundern musst. Denn du wirst erleben, wie dich Leute ziemlich verunsichert anstarren, wenn du plötzlich mit dieser Kombination Windjacke-über-dem-Head-Anorak auftauchst. Das muss dich nicht traurig machen. Das geht vorbei. Sie gewöhnen sich daran und kommen dir dann wieder nahe. Wenn du in diesem hinteren Abteil von Humana deine Tasche abstellst, um die Kleider besser anprobieren zu können, dann bekommst du richtig Stress. Du denkst immer an die Tasche, während du die Kleiderständer

absuchst und die Sachen anprobierst. Du fragst dich eigentlich nur noch: Wer wird die Tasche klauen? Du beobachtest die zwei Männer in den Kunstlederjacken und die ältere Dame mit der Aldi-Tüte ganz genau. Ich gebe dir einen Tipp: Stell die Tasche auf das breite Fensterbrett des Schaufensters! Da hast du sie einfach besser im Blick, und es ist doch egal, ob Leute die Tasche von der Straße aus sehen können, wenn sie an dem Schaufenster vorbeigehen. Und falls Lydia vorbeikommt und dich streng und kritisch mustert, dann zuck doch einfach mit den Schultern und weiche ihrem Blick aus.

Was dich vielleicht ein bisschen irritiert, sind die Leute, die bei Humana einkaufen, weil sie arm sind. Du kaufst ja hier ein, um Klamotten zu tragen, die angesagt sind. Du hast vielleicht eine MasterCard und 200 Euro im Portemonnaie, und der Typ neben dir muss von zehn Euro am Tag leben. Da könntest du ein schlechtes Gewissen bekommen. Da könnte dein Besuch bei Humana einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Wenn du da keine Lösung für dich findest, dann solltest du nicht mehr hingehen. Es gibt aber noch eine andere Sache, die dir passieren kann: Du hast dir einen hellblauen Pullunder für acht oder neun Euro gekauft, der einen SLAZENGER-Aufnäher trägt. Du überlegst dir, den Pullunder mit einem weißen Hemd zu tragen, doch zu Hause merkst du, dass du dich darin nicht gut fühlst. Dann solltest du deinem Gefühl folgen und den Pullunder erst mal in den Schrank packen. Manchmal kommt dann nach einigen Monaten ein besseres Gefühl zu dem Pullunder auf, und du ziehst ihn an und fühlst dich einfach wohl. Das kann passieren. Wenn es nicht passiert, packst du ihn einfach in eine Plastiktüte, die du mit Klebeband verklebst und dann in den Kleidercontainer wirfst. Und wenn Lydia sagt, das sollte man nicht tun, dann musst du einfach deinen Mut zusammennehmen und dich darüber hinwegsetzen. Oder du konterst ganz einfach mal und fragst sie total offensiv: „Warum soll man denn keine Kleider in die Container werfen?“

 

Tipp 3: Die Adonisröschen besuchen

Es kann dir passieren, dass du eines Sonntags die Berliner Morgenpost durchblätterst und dann im Reiseteil einen kleinen Artikel über die Ortschaft Mallnow im Oderbruch findest. In dem Artikel heißt es, dass die Hänge dort mit Teppichen von gelb blühenden Adonisröschen bedeckt sind. Hört sich das nicht gut an? Du fährst also am nächsten Sonntag Richtung Osten und kommst tatsächlich nach Mallnow. Am Ortseingang empfangen dich drei einheimische Jugendliche, die dir einen kleinen Faltplan mit Informationen über Mallnow in die Hand drücken. Da sie eine kleine Gebühr wollen, gibst du ihnen etwas mehr, sozusagen als „Trinkgeld“.

Mann, wie die überrascht sind! Wie die sich freuen! Mann, du fühlst dich gut und mächtig und gönnerhaft! Genieße deine Allmachtsphantasie, Mann! Genieße sie! Über eine kurvige Straße geht´s dann zu einem großen Parkplatz auf einer Wiese. Der Platz liegt in der Sonne, und du überlegst dir, was du für die kleine Wanderung zu den Adonisröschen anziehen sollst. Du entscheidest dich, deinen Head-Anorak im Auto zu lassen und spazierst dann los. Du folgst den älteren Herrschaften in den grauen und rosafarbenen Jacken. Wenn du dich fragend umsiehst, weil du nicht weißt, wo der Weg verläuft, werden sie zu dir kommen und dir weiterhelfen. Das ist nett von ihnen. Das kannst du auch gebrauchen, denn die „Hänge voller Adonisröschen“ entpuppen sich als ziemliche Enttäuschung. Du erwartest ein gelbes Meer von Röschen, die sich im Wind wiegen und findest vereinzelte Blümchen. Hier irrte sich der Journalist der Berliner Morgenpost, als er von Teppichen aus Adonisröschen sprach. Du solltest ihm verzeihen. Es bringt ja nichts, ihm böse zu sein. Es ist nicht gut, durch die schöne Natur zu laufen und Groll zu hegen. Möglicherweise findest du etwas anderes, das deine Enttäuschung abschwächt: einen plätschernden Bach, eine schlanke Allee, eine leckere Wurstbude. All diese Dinge können dir deine Traurigkeit darüber nehmen, dass die Adonisröschen nicht in Teppichen am Oderbruch wachsen, wie du es dir so schön in deiner Vorstellung ausgemalt hattest.

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