Von Ulrike Wessel-Fuchs

Es war schon nach zwanzig Uhr, als sie endlich seinen Schlüssel im Schloss knirschen hörte. Sie straffte die Schultern und atmete ruhig aus. Es war so weit.

„Sarah?“

„Ich bin hier!“

Florian öffnete die Tür zum Arbeitszimmer und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Das hatte er schon lange nicht mehr gemacht, aber sie ließ ihn gewähren.

„Du wirst nicht glauben, was heute passiert ist!“

„Warte, ich schreib nur noch den Satz zu Ende …“

Florian verzog das Gesicht. „Schreibst du schon wieder für dein langweiliges Facebook?“

Sie überhörte die Bemerkung und klappte den Laptop zu. Dann drehte sie sich um. „Also gut. Was ist los?“

„Komm in die Küche. Ich brauch jetzt erst mal ein Bier.“

Zögernd folgte sie ihm. Florian öffnete die Kühlschranktür.

„Nein, ich weiß was Besseres. Was hältst du von Champagner?“

Sarah schnappte nach Luft. „Bist du verrückt? Den wollten wir uns doch für was ganz Besonderes aufbewahren!“

 „Genau!“

Florian nahm die Flasche heraus, entkorkte sie, holte Gläser und den Sektkübel.

„Prost!“

Sarah nippte an ihrem Glas. „Jetzt mach’s nicht so spannend!“

„Heute ist was Merkwürdiges passiert“, begann Florian. „Nach der Mittagspause kam Hansi in mein Büro …“

„Wer?“

„Du weißt doch, mein Chef Johannes Weinert. Alle nennen ihn Hansi.“

„Keine Ahnung.“

„Mensch, du hörst mir nie zu!“

„Ach ja, jetzt fällt’s mir wieder ein. Hab‘ ich mit dem nicht auf der Weihnachtsfeier getanzt?“

„Richtig …“

„Klar, denn du hattest ja mal wieder keine Lust. Du warst damit beschäftigt, die Bar leerzutrinken.“

„Fängst du schon wieder damit an?“ Florian ließ sein Glas sinken. „Ich habe schon gar keine Lust mehr, dir von heute zu erzählen.“

Sarah verdrehte die Augen. „Entschuldige, also dein Chef kam zu dir. Und dann?“

„Ich soll zum Bereichsleiter befördert werden!“, platzte Florian heraus. „Auch Hansi ist aufgefallen, was ich alles für die Firma leiste!“

„Das ist ja unglaublich!“, meinte Sarah. „Ich dachte, die Stelle wäre schon besetzt.“

Florian nahm einen großen Schluck Sekt. „Stimmt, hier in Aachen. Aber in unserer Zweigstelle in Duisburg …“

Sarah sprang vom Stuhl auf. „Das ist doch nicht dein Ernst! Duisburg! Das sind doch von hier aus mindestens 100 km!“

Florian fuhr sich durch die Haare. „Naja“, begann er, „es sind 117. Ich bin natürlich direkt hingefahren und habe mir meinen zukünftigen Arbeitsplatz angesehen. Sarah, wenn du mein Büro gesehen hättest… Es ist ein Traum!“

„Ein Albtraum!“, erwiderte Sarah sarkastisch.

Florian schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die Sektgläser klirrten. „Ich wusste es! Alles musst du mir mies machen! Kannst du dich nicht mit mir freuen? Wenigstens ein einziges Mal. Ich …“

„Ein einziges Mal! Dass ich nicht lache! Du denkst doch nur an dich! Wenn du die Stelle wirklich annimmst, kommst du jeden Abend noch später nach Hause. Da kannst du dir gleich eine Wohnung in Duisburg nehmen!“

Florian wich ihrem Blick aus. „Wäre das denn so furchtbar? In letzter Zeit streiten wir uns nur noch. Vielleicht täte es unserer Beziehung gut, wenn wir ein bisschen Abstand hätten.“

Sarah schwieg und drehte gedankenverloren ihr Sektglas in den Händen. Ihr Blick fiel auf ein Usambaraveilchen, das auf der Fensterbank ein kümmerliches Dasein führte. Wahrscheinlich fehlte ihm Sonnenlicht oder Wasser. Vielleicht auch alles beides. Sarah fragte sich, ob es sich noch einmal erholen würde. Wahrscheinlich aber hatte es seine besten Tage schon hinter sich.

 „Das ist die Chance für mich“, sagte Florian leise. „Soll ich die mir entgehen lasse? Außerdem ist eine saftige Gehaltserhöhung für mich drin.“

„Ich halte es für einen Fehler!“, beharrte Sarah. „Ich möchte einen Ehemann haben, der sein Leben mit mir teilt und nicht einen Erfolgsmenschen, der ab und zu für einen Wochenendtrip vorbeischaut.“

„Blödsinn! Ich wäre am Freitag schon da und bräuchte erst Montagmorgen wieder zu fahren.“

Sarah schnaubte. „Und den Rest der Woche bin ich allein!“

Florian seufzte und griff nach ihrer Hand. „Vielleicht hast du recht. Wenn ich an Achim und Laura denke, die haben sich dadurch total auseinandergelebt. Und das ist es mir natürlich nicht wert. Wenn doch die Stelle nicht ausgerechnet in Duisburg wäre.“

Sarah sog hörbar die Luft ein. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Auf der anderen Seite könnten wir das zusätzliche Geld gut gebrauchen“, lenkte sie ein. „Es fällt mir nur schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass du demnächst nur zum Wochenende kommst.“

Florian leerte sein Glas und stand auf. „Ich muss ja heute Abend keine endgültige Entscheidung treffen. So, ich muss los! Heute ist Fußballtraining.“

„Dann wünsche ich dem neuen Bereichsleiter viel Spaß!“, meinte Sarah grinsend.

Sie sah Florian zu, wie er seine Sporttasche packte, sein Fahrrad aus dem Keller holte und wegfuhr.

Als sie sicher war, dass sie wieder allein war, nahm sie ihr Handy und wählte seine Nummer. Er meldete sich schon beim ersten Klingeln. „Na, wie war’s? Nimmt er die Stelle an?“

Sarah lachte glücklich. „Klar doch, die Chance lässt er sich nicht entgehen! Anfangs habe ich natürlich was rumgezickt. Das ging sogar so weit, dass er tatsächlich einen Rückzieher machen wollte. Aber jetzt ist alles klar!“

„Ist er eigentlich gar nicht misstrauisch?“

„Nö, er hält sich für den Größten! Wie sieht’s aus: Sehen wir uns heute noch?“

„Die Flasche Sekt ist schon kaltgestellt!“

„Bin schon unterwegs! Bis gleich, Hansi!“