Von Helmut Blepp

 

Ein Golf-Resort in Kalifornien. Zwei ältere Männer in bunten Shorts sitzen am Pool, trinken Margaritas und lassen sich die Sonne auf die beachtlichen Bäuche scheinen.

„Hier ist es so langweilig, dass man einfach saufen muss“, stellt Ben, der Kahle, fest.

„Da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus“, erwidert John, der Weißhaarige, und hebt sein Glas. „Cheers!“

„Aber trotzdem brauche ich solche Auszeiten ab und zu, sonst werde ich verrückt in der Agentur.“

„Geht mir genauso. Die Wall Street ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.“

„Stimmt! Und wir sind auch nicht mehr, was wir einmal waren.“

Beide lachen und widmen sich dem nächsten Drink, den der Ober auf einen Wink gebracht hat.

„John, du weißt ja, dass ich damals ein Riesenvermögen von meinem alten Herrn geerbt habe. Doch ich frage mich schon immer, wie du eigentlich zu deinem Geld gekommen bist. Auch mit dem goldenen Löffel im Mund geboren?“

„Keineswegs“, antwortet der lachend. „Ich habe es gewonnen.“

Ben hebt erstaunt die Augenbrauen.

„Wirklich? Ich dachte immer, du machst dir nichts aus Glücksspielen.“

„Tu ich auch nicht. Es war ein Zufall.“

„Okay, nun spanne mich nicht auf die Folter. Was ist passiert?“

John leckt ein wenig Salz vom Rand seines Glases und nimmt einen Schluck.

„Ach, die Geschichte ist schnell erzählt. Stelle dir einen frustrierten Versicherungsmakler Ende vierzig vor, ohne berufliche Perspektive, in einer zerrütteten Ehe gestrandet. Das war ich vor zwanzig Jahren. Und dann kam dieser Tag. Ich war in China Town unterwegs, hatte gerade meine Hemden in der Wäscherei abgegeben und trottete ziellos durchs Getümmel, weil mir davor graute, nach Hause zu gehen. Da sah ich diesen bunten Zettel vor mir auf dem Gehsteig. Ich weiß nicht, welcher Impuls mich dazu getrieben hat, aber ich bückte mich und hob den verschmutzten Fetzen auf. Es war ein Lotterielos. Zwei Tage später habe ich damit den größten Jackpot aller Zeiten geknackt.“

Ben ist fassungslos. Er trinkt schnell aus und gibt dem Boy das Zeichen für Nachschub.

„Mann, das ist die phantastischste Story, die ich je gehört habe. Was für ein Glück!“

„Ja“, bestätigt John wenig begeistert. Er wirkt nachdenklich.

„Mir ist dieser Schatz tatsächlich in den Schoß gefallen. Und mit geschickten Anlagen und viel Massel, das man ja auch braucht, habe ich ihn innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Du weißt ja, groß aufgezogene Immobiliengeschäfte waren damals wie eine Lizenz zum Gelddrucken.“

„Ja, klar. Ich habe in diesen Jahren auch meinen Reibach gemacht; war wohl die beste Zeit.“

„Wie man es nimmt. Das Business lief fast von allein, aber sonst ging alles den Bach runter. Ich war innerhalb von nur drei Jahren aus dem Nichts in die Top 100 der Forbes-Liste aufgestiegen, aber kurz danach verließ mich meine Frau mit den Kindern. Die Scheidung kostete mich ein kleines Vermögen.“

Ben lacht freudlos auf.

„Davon kann ich auch ein Lied singen. Ich habe vier Ehen hinter mir, und immer ohne Ehevertrag, ich Idiot.“

„Ich habe noch zweimal geheiratet, ist aber nie gutgegangen. Ich habe eben Tag und Nacht nur Geld gemacht, und meine Frauen haben es ausgegeben. Das reicht nun einmal nicht für eine gute Partnerschaft.“

„Wahrscheinlich hocken deine Ex-Frauen jetzt mit meinen irgendwo in Florida und verjubeln ihre Abfindungen.“

„Das sei den Mädels gegönnt; war gewiss auch nicht immer leicht mit mir. Cheers!“

Sie trinken aus. Ben winkt für die nächste Order.

„Hast du eigentlich Kinder?“, fragt John nach einem dezenten Rülpser.

„Drei Jungs aus der ersten Ehe, alle auf der Universität. Sie lassen aber nichts mehr von sich hören. Nicht mal eine SMS zum Geburtstag, verdammt!“

„Wie bei mir. Zwei Töchter, zwei Söhne. Kein Lebenszeichen seit Jahren, aber die Studiengebühren darf ich regelmäßig überweisen.“

„Den Lebensabend als Opas mit einer Schar Enkel können wir uns wohl abschminken.“

„Sieht so aus. Ich bin regelrecht deprimiert, wenn ich an die Jahre denke, die mir noch bleiben. Aus Verzweiflung habe ich wirklich schon überlegt, ob ich noch einmal heiraten soll, um nicht total zu vereinsamen in meinem Penthouse.“

„Mach keinen Scheiß, Mann“, winkt Ben ab.

„Ja, war auch nur ein schräger Spaß. Mein Herzschrittmacher würde wahrscheinlich schon in der Hochzeitsnacht schlapp machen. Dann lieber Golf.“

„Spielst du echt noch?“

„Quatsch! Mit meiner Arthrose! Der Caddy fährt mich spazieren, und wenn es keiner sieht, schlägt er auch den ein oder anderen Ball. Ich genieße die frische Luft und freue mich nach dem 18er auf den ersten Drink.“

„Laufen geht gar nicht mehr mit den kaputten Knien. Und das da…“ Ben hebt das Glas, „wird mir den Rest geben noch vor dem nächsten Infarkt.“

„Die Leber?“

„Die zweite. Ich könnte mir eine dritte kaufen, aber mein Arzt meint, ich würde die Operation nicht überstehen.“

„Echt übel. Offenbar sind wir beide ziemlich im Arsch, ob es jetzt die Pumpe ist oder die alten Knochen, die keine Lebensfreude mehr zulassen.“

Sie prosten einander zu, und eine weitere Margarita verschwindet in den Untiefen ihrer Leiber. Ben winkt beim Schlucken. Der Ober setzt sich in Bewegung.

 

Freitagabend. China Town, ein ohnehin niemals ruhender Stadtteil, beginnt vor Leben zu brodeln. Straßenhändler bieten mit hysterischem Geschrei ihre Waren an. Über allen Straßen liegt der Geruch von heißem Öl und exotischen Gewürzen. Fernöstliche Musik klingt aus den offenen Gasthäusern, und kahlköpfige Mönche trippeln mit ihren schrillen Glöckchen durchs Viertel.

Luan genießt das. Er ist hier aufgewachsen. Hier wurde ihm Min versprochen, und hier haben sie geheiratet, nachdem er in Wäschereien und Spülküchen das Brautgeld zusammengekratzt hatte.

Min hat ihr Teil zu ihrem bescheidenen Wohlstand beigetragen, hat bei Anwälten und Ärzten geputzt, die Kinder großgezogen, während er zwölf Stunden am Tag arbeitete, hat die kleine Wohnung sauber gehalten und diese vermaledeite Sprache gelernt, in der er auch nach vierzig Jahren noch immer nur radebricht.

Er freut sich auf den Feierabend zu Hause. Juan wird vom Tag an der High School erzählen, während Kimi ihrer Mutter beim Auftragen des Essens hilft. Sie werden viel lachen. Die Reisschüssel wird kreisen. Das Gemüse wird knackig sein, das frittierte Huhn kross.

Luan kann seine Familie ernähren. Alle sind gesund, und der Haushalt ist mit Liebe gesegnet.

Aber eine kleine Sünde dürfen sich auch brave und fleißige Männer gönnen. Deshalb bleibt Luan auf dem Heimweg am Stand seines alten Freundes Han stehen und kauft ein Lotterielos. Er verwahrt es sogleich sorgfältig in seiner Brieftasche, denn vor langer Zeit ist er einmal achtlos gewesen und hat sein Wochenlos verloren. Das soll ihm nie wieder passieren, denn er vertraut auf sein Glück.