Von Anne Zeisig

Sollte Hanroy die Nacht verfluchen, in der er ihr zum ersten mal begegnet war?

 

Das war nicht sein erster Auftrag auf der Erde, mit dem ihn das Labor betraut hatte. Nachdem er bereits einige Proben aus der Natur entnommen hatte, war die letzte Station ein Weizenfeld. Vorsichtig zupfte er mit einer Pinzette die Saat aus den reifen Ähren, ließ sie in ein Glasgefäß fallen, schraubte es sorgfältig zu und verstaute es in seiner Rückentasche, wo bereits die anderen Entnahmen lagerten.

Jede Exkursion fand aus Sicherheitsgründen in mondlosen Nächten statt. Dass sie ihn bei Vollmond entsandt hatten, war eine Ausnahme und er erklärte es sich mit Dringlichkeit, weil alles, was er sicherstellen musste, essbar ist, oder sich zumindest in einem Vorstadium dazu befand. Wichtig für das Nahrungsproblem auf seinem Planeten. Es ist aber nicht seine Aufgabe, darüber nachzudenken. Hanroy lieferte das Material ab, und damit war seine Tätigkeit bis zum nächsen Einsatz beendet.

Dieses Gebiet ist sein Areal, welches er sehr gut kennt, weil ihm das Kartenmaterial implantiert worden ist.

 

* * * 

 

Plötzlich hörte er hinter sich ein Rascheln.

Hanroy drehte sich flink herum und hielt die Linke an den Abzug seiner Waffe. Die Pflanzen wurden beiseite geschoben.

Ein Tier?

Aber vor ihm stand im fahlen Licht ein weibliches Wesen. Sie hob sofort ihre Arme und blickte ihn mit schreckgeweiteten Augen an.

Bisher kannte er die Erdlinge nur von Abbildungen.

Aber diese Bewohnerin war ein besonders schönes Exemplar. Klein, zierlich, sie wirkte sehr zerbrechlich und atmete schwer.

Hanroy ließ von der Waffe ab: „Pssst. Du musst dich nicht ängstigen. Aber wenn du schreist, muss ich dich töten.“

Er wusste, dass das gegen die Vorschrift war. Bei Kontakt mit den Erdlingen hieß der Befehl: „Sofortiger Abschuss und Eliminierung. Eine Leiche würde also nie gefunden werden.

„Bist du alleine?“ Sein Sprach-Chip funktionierte. Bisher hatte er ihn nicht benötigt.

Sie senkte die Arme und nickte: „Ich muss nachts hinaus, damit ich besser atmen kann. Mehr Luft bekomme.“

„Weiß jemand, dass du hier bist?“

Sie schüttelte den Kopf und untermauerte ihre Antwort mit dem Schwur auf das Buch der Bücher.

Hanroy war erleichtert. Eine Christin. Er kannte ihre Bibel. Die Gebote.

Aber Lehren haben diese Erdzerstörer nicht aus ihrem ‘Großen Buch’ gezogen! Haben eine wunderbare Welt, die ihr Schöpfer ihnen überlassen hat, zugrunde gerichtet!

Ihr Lächeln verriet ihm, dass sie Zuneigung zeigte. Die Furcht der jungen Frau schien verflogen zu sein. Seine Andersartigkeit machte ihr nicht das Geringste aus. Diese Aufgeschlossenheit gefiel ihm.

Plötzlich fuhr sie zart mit ihren Fingerspitzen über seine Körperhülle.

„Du machst mich neugierig“, hatte sie geflüstert. „Mein Name ist Laverna.“

Er räusperte sich: „Hanroy.“

 

* * *

 

„Ich will nicht, dass du gehst.“ Laverna bedeckt sein Gesicht mit innigen Küssen. „Bleib bei mir“, sagt sie mit erstickter Stimme zu Hanroy.

Ihr Körper bebt, die Brustwarzen ihreres knabenhaften Busens sind hart.

Hanroy schnellt ruckartig zur Seite und steht auf. „Zieh dich an“, sagt er hart, zu heftig, wirft ihr das Jumpsuit hin und blickt hinaus.

Er muss noch im Schutz der Dunkelheit diesen Planeten verlassen, der zum Sterben verurteilt ist.

Nervös wischt er sich über seinen kahlen Kopf: „Wie soll ich wissen, ob deine Liebe echt ist?“

Hanroy blickt kurz zur Seite und sieht, dass sie sich angezogen hat.

Laverna tritt zu ihm. Ihre Finger tanzen sanft an seinem Rückgrat auf und ab. „Weil ich vor Sehnsucht nach dir an nichts anderes mehr denken kann. Ich stehle mich heimlich fort, um die Nacht mit dir zu verbringen. Ein Jahr geht das nun schon so. Denkst du etwa, ich würde meine Restzeit mit dir verbringen, wenn du nicht meine große Liebe wärst?“

Restzeit. Er mag dieses Wort nicht.

Er bückt sich hastig und zieht seinen Overall an, um ihrer Verführung nicht zu unterliegen.

„Vielleicht bist du ja die böse Schlange aus dem Paradies. Von ihr habe ich in deinem christlichen Buch gelesen.“

Sie stöhnt. „Nein, ich bin nicht die Schlange aus der Bibel, und wir befinden uns leider nicht im Garten Eden.“

Er packt Laverna an den Armen und blickt sie tief an. „Warum habt ihr nicht aus dem schlauen Gottesbuch gelernt! Man lernt aus der Vergangenheit für die Zukunft!“

„Du tust mir weh!“, kreischt sie, und er lässt von ihr ab. „Es gibt mächtige Gewinnsüchtige, die den Profit vor den Umweltschutz gestellt haben! Sie haben sich einen Dreck um unseren Planeten und das Volk geschert.“ Laverna keucht. Ringt nach Luft. Nur langsam atmet sie ruhiger.

„Hierbleiben kann ich nicht, das hast du von Beginn an gewusst.“ Er fasst sie abermals an den Armen. „Du hast wirklich niemanden von mir erzählt?“

Sie nickt eifrig. „Ich riskiere doch nicht das Leben meines Liebsten!“

„Das tue ich bereits selbst“, haucht er und gibt ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Wird laut. „Sie gehen nicht zimperlich um mit denen, die einen Kontakt, eine Verbindung zu euch eingehen, denn das ist ein unkalkulierbares Risiko.“

Sie zuckt zusammen, weil sein Ton heftig geworden ist. „So beruhige dich doch. Ich habe niemanden von dir und deinem Planeten erzählt.“

Nun streichelt er ihre Wangen: „Versteh doch! Wir können keine Zuflucht-Suchenden aufnehmen. Ich liebe dich! Aber unser Planet ist zum Bersten voll! Mehr können wir nicht ernähren, es sei denn“, er macht eine kleine Pause, „wir richten ihn derart zu Grunde, wie ihr es mit eurer Erde tut.“ Hanroy legt ihr seine Rechte auf die Lippen. „Es herrscht Zeugungsverbot für zehn Jahre! Jedes Frischgeborene wird bei den Razzien vor den Augen der Erzeuger eliminiert!“

Sie wendet sich ab, setzt sich aufs Bett und stöhnt genervt: „Tausendmal hast du mir das erklärt!“ Die Geliebte umarmt ihn. „Aber ich ertrage die Trennungen von dir nicht mehr. Du könntest hierbleiben und wir denken uns irgend etwas aus. Du könntest in irgendeiner unbekannten Höhle ein Eremitenleben geführt haben.“ Obwohl er pausenlos den Kopf schüttelt, redet sie weiter. „Jeder Winkel dieser verdammten, verseuchten Erde ist schließlich auch nicht erforscht.“

Hanroy zerrt sie vor den Spiegelschrank: „Sieh mich an! Sieht so einer von euch aus?“

Laverna bekommt einen ihrer Hustenanfälle. Eilig greift sie zur Truhe, wo ihr Inhalierspray steht. Es ist für den Geliebten quälend anzusehen, wie sie nach Luft ringt. Ihr Teint ist seit dem letzten Treffen noch bleicher geworden.

„Wenn ich könnte, ich würde dich mitnehmen.“ Er setzt sich kraftlos auf das Bett.  

Sie hockt sich zu ihm. „Vielleicht werden die Zufluchtsgesetze auf deinem Planeten irgendwann einmal geändert? Dann kann ich übersiedeln.“

Er wiegt seinen Kopf leicht hin und her, nimmt einen Apfel aus der Schale und beißt hinein.

„Du hast dir den süßesten von allen ausgesucht“, raunt Laverna ihm ins Ohr.

Da erst wird ihm bewusst, dass er nicht hätte probieren dürfen.

Dennoch denkt er: `Ich muss auch davon eine Probe mitnehmen.´

„Sie wachsen auf Bäumen in meinem Garten“, antwortet Laverna, als könne sie seine Gedanken lesen. „Sie wachsen einfach so, wie Gott es will.“

 

 

ENDversion