Von Denise Fiedler

Scheiße, ich hätte nicht hier her kommen sollen!

Der Gurt schneidet mir tief ins Fleisch. Ich hänge mehr, als ich sitze. Dann noch der beißende Gestank nach glühendem Metall und verkohltem Fleisch. Mir wird schlecht, aber außer etwas Spucke kommt nichts raus. Alles ist dunkel, und dieser verdammte Qualm …

Ich muss hier weg!

Der Verschluss klemmt. Meine Hände zittern – endlich das erlösende Klack! Ich stürze auf das Gitter. Ein stechender Schmerz schießt durch mein Knie, ich unterdrücke den Drang aufzuschreien.

»Fury?«

Keine Ahnung, warum sie mich nach einem verdammten Gaul benannt haben, aber Lassies Stimme gibt mir Hoffnung. Ich bin nicht der Einzige, der den Absturz überlebt hat.

Seine Lampe blendet mich. Er hat sie an der Waffe befestigt. Hustend antworte ich: »Ich bin hier!«

Schritte stampfen auf mich zu.

»Bist du verletzt?«

Ich schüttle den Kopf. Er packt mich am Kragen und hilft mir hoch.

»Die haben uns einfach vom Himmel geholt!« Lassie überragt mich um eine Kopflänge und hat so viel mit einem Collie gemein, wie mein Schwanz mit einem Radieschen. Da hat es mich mit dem Gaul noch ganz gut erwischt.

»Ich dachte, das wäre ein Planet der Kategorie D. Primitive Lebensform!«

»Mann, woher soll ich wissen, welcher Weißkittelarsch da geschlampt hat! Aber es war eindeutig eine Waffe, die uns erwischt hat!«

Mein Schädel pocht. Ob das die Folgen von dem Absturz sind, oder diese beschissene Situation?

Eine ganz einfache Mission, hieß es. Wir sollten diese Lackaffen in ihren weißen Kitteln nur zu ihrer Forschungsstation begleiten. Verdammt, die hätten mitbekommen müssen, dass die Viecher hier Waffen haben! Die sind nicht erst seit gestern hier!

Schon damals war mir der Auftrag zuwider. Einen Planeten zu bewirtschaften, der der Erde vor tausenden von Jahren gleicht. Scheiße! Stirb in Würde Homo sapiens, die Erde ist tot! Nur noch eine Erinnerung in irgendwelchen Aufzeichnungen, aus denen unser Trupp die Namen für die Frischlinge zieht! Ohne die Treibhäuser und Sauerstoffkuppeln wären wir schon alle längst weg. Und wen würde es interessieren? Den armseligen Gott, an den sich manche noch krallen? Wenn es ihn gäbe, würde er uns seinen blanken Arsch hinhalten!

Lassie tritt von einem Bein aufs andere. Immer wieder huscht sein Blick zu den Gurten hoch. Im Schein der Lampe erkenne ich Beine, die bewegungslos runterbaumeln. Einer der Weißkittel hängt in den Gurten. Irgendetwas hat ihm das halbe Gesicht weggerissen. Gehirnmasse verteilt sich auf seiner Schulter. Der Anblick ist mir nicht neu, aber der Gedanke, dass, was immer ihn auch getroffen hatte, mich nur um Haaresbreite verfehlte, während ich wie ein hilfloser Wurm da hing, wühlt in meinem Magen.

»Lass uns nachsehen, ob noch jemand den Sturz überlebt hat.« Meine Waffe habe ich verloren, wie ein blutiger Anfänger!

»Leuchte mal da rüber.«

Das Licht flackert über den Boden, unter dem Schutt sehe ich ein Impulsgewehr. Es ist nicht meins, aber es wird seinen Zweck erfüllen.

Lassies Pupillen sind geweitet. Verlier jetzt nur nicht die Nerven! Aber ich kann ihn verstehen. Dieser verdammte Planet ist falsch eingestuft! Dafür gibt es spezielle Trupps. Ein Haufen geisteskranker Selbstmörder, die sich als erste ins Getümmel werfen. Ich gehöre nicht dazu, so bescheuert es auch klingt, ich hänge an meinem erbärmlichen Leben!

Lassie geht mit der Lampe voraus. Zwischen den heruntergefallenen Deckenplatten liegen deformierte Körper. Der Gestank ist grauenhaft. Auch Lassie drückt seine Nase immer wieder in die Schulter.

»Die sind alle tot.«

Die Bestätigung des Offensichtlichen lässt mich schon fast lachen. Lassie ist ein Panzer, aber auch ein Idiot.

»So eine gottverdammte …«

Dort, wo der Gang hätte weiterführen sollen, ragt ein riesiges Loch auf. Der Angriff hat das Schiff einfach auseinandergerissen. Auf Lassies Stirn bilden sich kleine Schweißperlen. Wir denken in diesem Moment das Gleiche, ich sehe es an seinem Blick – was wartet da draußen auf uns?

Ich greife meine Waffe fester.

Langsam nähern wir uns dem Loch. Dicker Qualm liegt in der Luft und lässt nur wenige Sonnenstrahlen hindurch, es sieht aus wie ein Schlachtfeld. Zwischen den Wrackteilen sieht man einzelne Extremitäten, es hatte die armen Schweine einfach zerrissen. Bis auf das Knacken des Metalls ist es still.

»Von hier haben wir keinen Überblick.« Meine Stimme klingt gedämpft. Mit der Waffe deutet Lassie auf eine kleine Felsformation. Ich nicke. Geduckt laufen wir durch die Überreste darauf zu. Das Hemd klebt bereits nach ein paar Schritten am Körper. Wäre die Luftfeuchtigkeit noch höher, könnten wir hindurch schwimmen. Ich trete auf etwas. Eines dieser Geräusche entsteht, das man nicht direkt hört. Es kriecht durch die Fußsohle, in den Körper, bis es schließlich das Gehirn erreicht und sich dort zu einem lauten Knack formt. Ich will gar nicht wissen, was es ist, aber jeder Schritt macht ein schmatzendes Geräusch. Notdürftig streiche ich die grünliche Masse ab.

Endlich erreichen wir die Felsen.

Ich suche einen festen Halt für meine Füße und klettere hinauf. Lassie gibt mir Deckung. Vor mir breitet sich ein Trümmerfeld aus. Das Schiff hat eine breite Schneise durch den Wald gezogen.

Egal, wohin ich sehe, überall sind Bäume. Auf einer Anhöhe entdecke ich eine weiße Kuppel.

„Da oben muss die Basis sein.“

Mit einem dumpfen Prall komme ich neben Lassie auf.

„Konntest du einen Weg sehen?“

„Hier gibt es keine Wege.“

Etwas knackt hinter Lassie, sofort richten wir unsere Waffen darauf.

„Bitte nicht schießen“, wimmert der Kittel.

Ich spucke aus, wahrscheinlich tragen sie die, damit man die Pissflecken nicht sieht, wenn sie sich aus Angst in die Hose gemacht haben.

Lassie und ich beraten uns, achten nicht auf die Einwände unseres Anhangs.

„Wir müssen zur Basis, die Bäume geben uns Deckung.“

„Aber nicht nur uns.“ Lassies Miene ist ungerührt, während er ins Dickicht starrt.

Ich spare mir eine Antwort.

Er geht voraus, dann der Weißkittel – Doktor Wu, Scheißbotaniker. Ich bilde die Nachhut.

 

Blätter schlagen uns ins Gesicht, ritzen uns die Haut auf. Alles ist grün, egal wohin ich sehe, sogar die Baumstämme, es gibt keine verdammte Abweichung, nicht einmal heller oder dunkler, nein, alles der gleiche beschissene Farbton. Es scheint, als hätte die Welt ihre Tiefe verloren. Mein Schädel fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren, Schweiß brennt in meinen Augen. Auch Lassies Konzentration scheint nachzulassen, es kümmert ihn nicht mehr, ob die Zweige unter seinen Füßen knacken. Er schlägt nach den faustgroßen Moskitos, die uns umschwirren.

„Dieser Wald frisst mich noch auf!“

„Wenn du so weiter machst, werden uns nicht nur die Moskitos angreifen“, zische ich.

„Weißt du, wie scheißegal mir das ist? Sollen sie doch kommen!“ Lassie hebt seine Waffe und kurz darauf verteilen sich die Reste eines Insektes auf dem Boden, dann richtet er das Gewehr auf die Pflanzen vor uns. Er schreit, während er eine ganze Salve Impulse in das Dickicht feuert. Schließlich senkt er schwer atmend die Arme.

Mit offenem Mund starre ich auf die beschossene Stelle.

„Was zum …“, presse ich hervor.

„Das Ding muss kaputt sein.“ Lassie dreht das Gewehr prüfend in den Händen.

„Ihre Waffe funktioniert einwandfrei, Herr Lassie.“ Wu tritt zwischen uns. „Ihnen ist bestimmt schon aufgefallen, dass jede Pflanze den gleichen Farbton aufzeigt.“ Er kniet sich hin und greift an meine Schuhsohle. An seinem Finger klebt eine grüne Substanz. „Wir nennen es das Blut Edens. Wir haben es in sämtlichen Pflanzenproben gefunden. Es gibt ihnen diese unverkennbare Farbe. Wir konnten noch nicht herausfinden, welchen Zweck es erfüllt, es unterscheidet sich von dem Chlorophyll, das wir von der Erde kennen. Die Lichtimpulse wurden auf die Wellenlänge dieser Farbe eingestellt, um die Pflanzen nicht zu verletzen.“

Lassie verzieht das Gesicht, er erinnert mich an die wütenden Primaten aus den Tierdokumentationen.

„Ihr gebt uns nutzlose Waffen?“

„Nur in Bezug auf die Pflanzen …“

„Hier sind scheißverdammte Aliens!“

„Herr Lassie, hier sind wir die Aliens …“

Es knackt. Wu hält sich das Gesicht.

„Sie sind verrückt!“ Es klingt, als würde er heulen.

Ich schiebe mich zwischen ihn und Lassie, bevor der ihm noch etwas anderes, außer der Nase bricht.

„Wir müssen weiter.“

Lassie spuckt dem Kittel vor die Füße. Ich klopfe ihm auf die Schulter, ab jetzt übernehme ich die Führung.

 

Ich kneife die Augen zusammen. Nur einen klaren Gedanken finden. Wir müssten schon längst an der Basis sein.

Wenn wir wenigstens Wasser fänden. Aber das einzige Wasser weit und breit, fließt aus unseren Poren.

Drecksbäume und dahinter noch mehr Drecksbäume. Auch wenn ich nicht auf die Pflanzen schießen kann, gegen meine Hände sind sie nicht immun. Ich reiße mir den Weg frei. Die Pisse Edens klebt schon bis zu den Oberarmen.

Wenn dies das Paradies ist, sind wir Scheißheilige. Ich warte nur darauf, dass aus Lassies Rücken Flügel wachsen und ein verdammter Heiligenschein über seinem Kopf funkelt. Einmal ein Kleid in XXL, bitte!

Weitere Blätter müssen dran glauben, dann stehen wir auf einer Wiese. In ihrer Mitte ragt die Kuppel der Basis hoch, um sie herum sprießen mannshohe Knospen.

„Was ist das?“ Ich sehe fragend zu Wu, der zuckt mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung.“

Langsam bewegen wir uns auf das Gebäude zu. Wu bleibt vor einem der Gebilde stehen, fährt mit den Händen über die Oberfläche der Knospe.

„Wu, wir haben keine Zeit dafür!“

„Ich habe so etwas noch nie gesehen …“

Das Ding scheint auf die Berührungen zu reagieren. Der äußere Mantel springt auf, rote Blütenblätter entfalten sich.

„Hammer, die Blume hat Titten!“, sagt Lassie.

Im Inneren der Blüte steht eine Frau. Zierlich, nackt, grün wie der Wald.

Wu entfährt ein kehliger Laut. Er starrt auf seinen Bauch. Ein dunkler Fleck breitet sich auf seinem Kittel aus. Die Hand der Frau ist blutverschmiert. Ehe ich realisiere, was sie darin hält, schießt Lassie. Die Impulse gehen einfach durch sie hindurch.

Trotz der Hitze wird mir kalt, weitere Knospen öffnen sich.

Scheiße …