Von Manuel Fiametta

Das Mondlicht schien durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen an die Wand. Es erstrahlte das Poster von Jonas´ Lieblingsfußballer Lionel Messi. Neben ihm hing das Mannschaftsposter von Eintracht Frankfurt. Jonas wünschte sich so sehr, dass Messi mal das Trikot der Eintracht tragen würde, doch er war neun Jahre alt und wusste schon, dass das niemals der Fall sein würde.

Der Wind wehte durch die dunklen Straßen und peitschte den Regen ans Fenster. Die Vorhänge wölbten sich immer dann, wenn der Wind durch das gekippte Fenster eindrang. In diesen Momenten sah es so aus, als stünde ein dicker Mann hinter dem Vorhang.

Jonas schlief unruhig, bis er schließlich um kurz nach Mitternacht aufwachte. Schuld daran war in erster Linie seine volle Blase.

„Ich hätte nicht so viel Cola trinken sollen“, dachte er und rieb sich die Augen. Als der dicke Mann wieder hinter den Vorhängen zu standen schien, erschrak Jonas kurz.

Doch schnell war ihm klar, dass das nur der Wind sein konnte.

Jonas erhob sich vom Bett, nahm sich seine Taschenlampe und stampfte so leise wie möglich zur Toilette. Alles war mucksmäuschenstill und er wollte nicht, dass jemand durch ihn geweckt werden würde.

Elena, Jonas´ kleine Schwester, schlief seelenruhig in ihrem Zimmer und auch die Eltern der beiden schlummerten in ihrem Bett. Max, der wilde Yorkshire-Terrier, war auch im Land der Hundeträume. Er schlief immer in einem Körbchen im Elternschlafzimmer.

Jonas lief durch den dunklen Flur. Nur das Licht seiner Taschenlampe half ihm, nirgends anzustoßen oder drüber zu stolpern. Elena und Max hatten die Angewohnheit, alles auf dem Boden liegen zu lassen.

Im Badezimmer angekommen, drückte die Blase immer mehr. Jonas schloss die Tür hinter sich, setzte sich auf die Klobrille und ließ seinem Bedürfnis freien Lauf. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er an die Wand und Decke.

 „Ich muss die Batterien wechseln“, sagte er leise zu sich selbst.

Seine Blase war nun leer und Jonas beschloss, dass er nächsten Freitag nicht mehr so viel Cola trinken werde. Freitagabend war nämlich immer Cola-Abend. Nur dann durfte Jonas von der schwarzen, süßen Plörre trinken.

Wahrscheinlich würde er sich aber nicht an seinen Entschluss halten können. Dafür schmeckte sie einfach zu gut.

Jonas legte seine Taschenlampe zur Seite und stand von der Toilette auf, als er plötzlich ein seltsames Geräusch wahrnahm.

War es der Wind, der um das Haus pfiff? Oder ist jemand wach geworden?

Jonas bewegte sich nicht weiter und wartete, ob das Geräusch noch einmal käme. Doch außer dem Rauschen der Blätter des Ahornbaumes, der in der Nähe des Badezimmerfensters verwurzelt war, hörte er nichts.

Mit einem abgerissenen Blatt Toilettenpapier, nahm Jonas den Tropfen Urin, der beim Aufstehen auf den Boden gefallen war, auf.

„Gut das Mama das nicht gesehen hat“, schoss es ihm durch den Kopf, als er wieder dieses Geräusch hörte. Deutlicher als beim ersten Mal. Es war etwas Schmatzendes. Etwas Knackendes. Fast so, als wenn Max auf seinen kleinen Knochen rumkauen würde. Aber es war lauter und noch dazu unmöglich, dass es tatsächlich Max gewesen war. Dann hätte man auch seine beim Laufen auf den Fließen klackernden Krallen hören müssen.

Jonas stand zunächst wie versteinert da, bevor er sich schließlich die Hose hochzog und danach das gekippte Fenster zurückdrückte, ohne es zu schließen.

Mit der Taschenlampe im Mund, wusch er sich seine Hände und trocknete sie ab. Das Licht fing schon an zu flackern.

Da war es wieder. Schmatz. Knack. Schmatz. Knack.

Nun war endgültig der Moment gekommen, sich zu fürchten.

„Hätte ich wenigstens das Licht angemacht“, sagte er sich leise und blickte auf seine Taschenlampe, deren Batterien langsam aber sicher ihrem Ende entgegen eilten.

Knack. Schmatz. Ein leises Stöhnen. Knack. Schmatz.

Der Vergleich mit Max und seinem Knochen war gar nicht so falsch. Es hörte sich tatsächlich so an. Nur musste es ein viel größerer Hund sein und ein viel größerer Knochen.

Warum hörten seine Eltern das nicht? Oder Max, der dann bellen und so seine Eltern wecken würde? Elena stellte keine Hilfe dar. Wenn sie schlief, hätte selbst eine Bombe sie nicht aufwecken können.

Das Geräusch wurde immer lauter. Es schien, als ob es sich der Badezimmertür näherte. Jonas schlich sich leise zur Tür. Mit zittriger Hand griff er zum Riegel und sperrte sich ein. Es kam ihm nun vor, als wäre das Schmatzen direkt an seinem Ohr.

Jonas ging mit leisen Schritten wieder von der Tür weg. Er atmete nun ganz flach und schnell. Sein Herz pochte wie nach einem Fußballspiel. Würden doch nur seine Eltern endlich wach werden.

Das Fenster öffnete sich wieder. Jonas erschrak. Der Wind. Nur der Wind.

Schmatz. Knack. Stöhn.

Jonas musste wieder. Diesmal nicht wegen der Cola. Diesmal aus Angst.

Die Taschenlampe erlosch. Jonas saß nun in völliger Dunkelheit auf der Toilette.

Dunkelheit. Die Geräusche. Jonas hatte große Angst.

Sollte er nach seinen Eltern rufen? Würden sie ihn hören? Wenn sie schon die Geräusche nicht mitbekamen, wie sollten sie dann sein Rufen wahrnehmen? Würde das, was hinter der Tür die Geräusche machte, noch wilder werden, wenn er nach seinen Eltern rufen würde?

Ein leises Kratzgeräusch kam nun dazu. War das, was diese Laute machte, jetzt direkt an der Tür?

Jonas setzte sich auf den Boden, die Knie zum Kinn hochgezogen und mit den Händen umschlossen. Er versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Manchmal hielt er gar die Luft an, um noch unauffälliger zu sein.

Warum musste denn sonst keiner aufs Klo?

Das Kratzen wurde lauter. Das Schmatzen. Das Knacken. Was war das nur?

Jonas starrte in die Dunkelheit des Raumes. Bewegen wollte und konnte er sich nicht. Er wollte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erzeugen.

Schließlich, nach gefühlten Stunden, wurden das Kratzen, Schmatzen und Knacken wieder leiser, bis es ganz verschwand.

Jonas saß noch immer in seiner Position. Er wartete noch eine ganze Weile, bis er sich dazu entschloss, sich eng mit dem Rücken an die Wand gedrückt seitlich auf den Boden zu legen. Nach draußen zu gehen, traute er sich nicht. Auf keinen Fall. Einschlafen wollte er auch nicht. Auf keinen Fall. Er wollte solange auf bleiben, bis er seine Eltern hören würde.

Nachdem sein Körper allmählich zur Ruhe kam, besiegte ihn aber die Müdigkeit.

 

„Wer ist da drin?“

Jonas schnellte wie von der Tarantel gestochen auf. Wo war er? War er wirklich eingeschlafen? Es war Morgen. Das Tageslicht schien durchs Fenster.

„I-I-Ich“, stotterte Jonas. „Ich bin gleich fertig.“

„Alles klar, Jonas. Ich warte.“

Es war sein Vater. Endlich. Endlich war jemand wach.

Als Jonas aus dem Badezimmer raus kam, schaute er sich sofort die Tür an. Es waren aber keine Kratzspuren zu sehen.

„Guten Morgen. Na, hast du gut geschlafen?“

„Nein, Papa. Nicht wirklich gut. Ich würde mich gerne nochmal hinlegen.“

„Na gut. Aber du weißt, dass du heute Mittag noch ein Spiel hast. Ich wecke dich rechtzeitig.“

Jonas war hundemüde und konnte sich überhaupt nicht vorstellen, heute noch auf dem Fußballplatz zu stehen.

„Ist gut, Papa“, sagte er aber und schlenderte in sein Zimmer. Kurz bevor er dort ankam, drehte er sich nochmal um.

„Ach, Papa, hast du eigentlich gut geschlafen?“, fragte er, in der Hoffnung, sein Vater hätte auch irgendetwas Merkwürdiges gehört.

„Oh ja, wie ein Murmeltier.“

„Dann ist ja gut.“

Jonas ging in sein Zimmer und lehnte die Tür nur an. Er legte sich ins Bett, deckte sich bis zum Hals zu und drehte sich auf die Seite. Nicht auf jene, die stundelang auf dem harten Fließenboden lag. Da hörte er wieder dieses Knacken. Er erschrak.

Diesmal war es aber nur sein Bett.

 

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