Von Klaus-Dieter Oettrich

Die Mutter las abends am Bettchen von Bettina vor dem Schlafen immer schöne und gut ausgehende Geschichten vor. So konnte Bettina immer danach gut einschlafen und hatte eine angenehme, ruhige Nacht.

Eines Abends sagte Bettina: „Mutti, erzähle mir doch mal eine schlechte-Nacht-Geschichte.“

„Aber warum denn, mein Liebes? Dann kannst du wahrscheinlich nicht mehr gut schlafen und träumst schlecht.“

„Ich will es aber mal probieren.“

An einem Samstagabend bat Bettina wieder ihre Mutter eine schlechte-Nacht-Geschichte zu erzählen. „Also gut, wenn du es unbedingt willst. Aber ich habe dich gewarnt.“

 

„Es war einmal ein Monster, welches sein Unwesen in der Stadt trieb,“ begann die Mutter zu erzählen. „Es erschreckte Kinder, schubst Menschen um, versteckte Spielzeuge und malte Häuserwände an. Doch gesehen wurde es von niemanden. Auch die Polizei stand vor einem großen Rätsel.

Alle Bewohner in der Stadt hatten Angst vor dem Monster. Als es dann noch an Gartenmauern schrieb, dass es  kleine Kinder in der Nacht aus dem Bett holt und sie in den Wald verschleppen würde, waren alle Mütter sehr besorgt.“

Bettina war von der Geschichte ganz gebannt. Die Mutter wollte schon zweimal die Geschichte beenden und gute Nacht sagen, doch Bettina bat immer weiter zu lesen. Dann endlich schlief sie ein. Aber ihre sonst so entspannten Gesichtszüge waren verhärtet und sie hatte Angstfalten auf ihrer Stirn.

Die Mutter dachte, ich glaube, da habe ich Mist gebaut.

 

Es dauerte kaum 3 Stunden und Bettina stand am Bett von ihrer Mutter. Ihr Schlafanzug war ganz nass vor Schweiß.

„Mami, Mami war das Monster schon da?“

„Nein, nein das gibt es nur in der Geschichte. Komm her, ich ziehe dir erst mal einen anderen Schlafanzug an. Dann erzähle ich dir noch eine gute Geschichte.“

Bettina legte sich in das Bett ihrer Mutter. Sie erzählte wie die Engel kamen und das Monster vertrieben und es nun in der Stadt wieder ganz friedlich war.

Bettina schlief wieder ein und Mutter trug sie in ihr Kinderbett. Am Morgen kam Bettina ganz aufgeregt zu ihrer Mutter und teilte mit: „Mami, das Monster hat mir heute Nacht einen anderen Schlafanzug angezogen.“

„Nein, das war ich. Du hattest so geschwitzt. Dein Schlafanzug war ganz nass.  Ich habe dir einen anderen anziehen müssen.“

„Zum Glück gibt es Engel, jetzt gibt es kein Monster mehr.“

„Soll ich dir heute Abend eine gute oder schlechte Geschichte erzählen?“

„Bitte, bitte nur eine gute, denn schlechte-Nacht-Geschichten möchte ich nicht mehr hören.“

 

Fünfzig Jahre später

 

Die Mutter war nun fünfundsiebzig Jahre alt und wohnte bei ihrer Tochter Bettina im Haus. Bedingt durch eine schwere Krankheit war sie bettlägerig. Der schönste Augenblick war für sie am Abend, wenn Bettina zu ihr kam und eine schöne Geschichte erzählte. Danach konnte sie gut und entspannt einschlafen.

Eines Tages fragte die Mutter ihre geliebte Bettina: „kannst du mir mal eine schlechte-Nacht-Geschichte erzählen?“

Bettina überlegte kurz und fragte:

„Mami, als ich klein war, habe ich dich doch das Gleiche gefragt. Stimmt,s?“

„Ja, aber an die Geschichte kann ich mich nicht mehr erinnern.“

„Du erzähltest mir die Geschichte von einem Monster. Diese Geschichte habe ich nie vergessen.“

„Dann erzähle mir doch die Geschichte.“

„Aber Mami dann kannst du bestimmt nicht gut und entspannt schlafen. Du weißt ja wie wichtig für dich der Schlaf ist.“

„Aber ich bin doch kein Kind mehr.“

„Dies nicht, aber nun bist du fünfundsiebzig Jahre und bedingt durch deine Krankheit brauchst du viel Ruhe. Aber gut, wenn du es unbedingt willst, erzähle ich dir die schlechte-Nacht-Geschichte.“

„Ich will es. Beginne mit der Geschichte.“

 

Bettina erzählte ungern die Monstergeschichte. Die aber dann ein anderes Ende nahm.

Sie berichtete von dem Unwesen was das Monster trieb. Ihre Mutter wurde sehr unruhig und ihre Hände begannen zu zittern.

„Mami, ich will nun zum Schluss kommen.“

„Ich möchte aber wissen, wer das Monster ist.“

„Ja, noch einen Moment. Eines Nachts hörten einige Bewohner in der Stadt wie das Monster sagte: „ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Dr. Müller heiß. Ich kann nicht nur Blödsinn verteilen, sondern ich kann auch heilen.“

„Bettina, das habe ich auch gehört,“ teilte die Mutter mit. „Ja, ganz deutlich konnte ich es hören.“

 

Nachdem die Mutter den Namen nun wusste schlief sie ein.

Nach 3 Stunden rief die Mutter über das Haustelefon ihre Tochter an. „Bettina komm doch bitte, ich kann nicht mehr schlafen.“

„Ich habe es dir doch prophezeit. Komme sofort.“

Als Bettina die Türe öffnete und in das Zimmer eintrat, traf sie fast der Schlag.

Ihre Mutter, die seit einem Jahr bettlägerig war, stand am offenen Fenster.

„Mami, Mami was ist mit dir los?“

„Dr. Müller war bei mir und hat mich geheilt.“

„Dann ist er ein Wunderheiler. Wir konsultierten doch schon so viele Ärzte, die keinerlei Aussicht auf eine Besserung prophezeiten.“

 

„Wie ist Dr. Müller ins Haus gekommen?“

„Durch das Fenster. Du hattest das Fenster nicht geschlossen. Es war ja eine sehr heiße Sommernacht.“

„Hast du ihn gesehen?“

„Nein, ich hörte nur seine Stimme. Dann spürte ich eine angenehme Wärme in meinem ganzen Körper. Bevor er sich verabschiedete, sagte er zu mir: „Steh auf und geh zum Fenster und schaue über die hell erleuchtete Stadt.

Ich habe getan was er gesagt hat.

Du kannst dir gar nicht vorstellen welches überwältigendes Gefühl ich hatte wieder gehen zu können. Ich konnte es nicht glauben. Danach habe ich dich angerufen.“

„Das ist ja unglaublich. Sage mir bitte noch, wer hat die CD aufgelegt von Katja Ebstein mit dem Titel – Wunder gibt es immer wieder -?“

„Dr. Müller.“