Von Daniela Seitz

„Hilfe! Bastian hilf mir! Bastiaaan!“, kreischt sie, während sie blutüberströmt und mit wehendem, langen Haar vor ihm davonläuft.

Es ist stockdunkel. Keine Sterne am Himmel zu sehen. Hie und da raschelt das Gras. Der Wind weht durch die Bäume. Das Rauschen wird von ihren Schreien übertönt.

„Tu nicht so, als wüsstest du nicht, dass Bastian deine sadistischen Spiele nicht ausgehalten hat und es immer ich war, der dir zur Hilfe geeilt ist!“, ruft er, während er sie von hinten an ihrem Arm zu fassen bekommt.

„Ich existiere, weil er deinen Sadismus nicht erträgt! Warum hätte er sich sonst abspalten sollen? Zwei in einem. Das hat dir doch immer gefallen!“ Er zwingt sie, sich umzudrehen und riecht ihr Parfüm. Weihrauch und ganz leicht Rosen, die zu Ingwer wechseln.

„Bastian hat dir mein Parfüm gegeben!“, stellt er fest. Er ist nicht überrascht. Er weiß es längst. Wie er alles weiß, was Bastian tut, sagt oder denkt.

„Wenn ich dich überlebe, töte ich dich!“, spuckt sie ihm ins Gesicht. Gleichzeitig tritt sie gezielt auf seine Kniescheibe, kann sich dadurch losreißen und versucht vor ihm durch ein Abflussrohr zu fliehen. Dabei schreit sie weiter nach Bastian.

Er folgt ihr.

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Stille… unnatürlich und hochfrequent. Hat nicht gerade noch eine Frau geschrien? Er glaubt sich daran zu erinnern, dass der Schrei sich steigerte und urplötzlich abbrach. Die Stimme war so vertraut.

Ich kenne diese Stimme, denkt Bastian.

Er sitzt an eine Wand gelehnt, die Beine angezogen. Ihm ist kalt. Seine Kleidung durchnässt. Frierend versucht er seine Arme mit seinen Händen warm zu reiben. Alles ist nass. Eine Ratte huscht zwischen seinen Füßen durch und er springt auf. Stößt sich den Kopf. Der Schmerz lässt ihn Sterne sehen. Im Wasser vor sich, nimmt er eine liegende Gestalt mit langen Haaren wahr.

Dann dringt der Duft an seine Nase. Er erinnert ihn an Weihrauch. Doch ganz schwach duftet es gleichzeitig nach Rosen. Er spürt ihn kommen. Sein Herz beginnt wild zu pochen und pumpt Adrenalin durch seinen Körper. Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn. Seine Muskeln spannen sich an, bereit zu kämpfen oder zu fliehen. Doch er kann sich nicht entscheiden, was besser ist.

Einfach aufwachen wäre schön, denkt er, als sich der Duft zu Ingwer entwickelt.

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Er öffnet die Augen und liegt im Bett. Ihm ist nicht mehr kalt, sondern wohlig warm unter seiner Decke. Die Uhr tickt und zeigt drei Uhr morgens an. Es riecht schwach süßlich und erdig nach Hölzern und Moschus. Rechts neben seinem Kopfkissen vibriert sein Handy. Hatte er es nicht eigentlich im Flur liegen lassen?

„Werde ich wohl mitgenommen haben.“, beruhigt sich Bastian.

Sein Nokia 105 beginnt einen Song anzuspielen. „You are not alone…“, dringt an sein Ohr.

Weckalarm um fünf vor drei? Michael Jackson? Den habe ich aber garantiert nicht eingestellt, denkt er verunsichert.

„ I`am here with …“, bringt sein Mobiltelefon noch hervor, als er den Alarm abstellt. Er schaut sich im Dunkeln um. Durch das offene Fenster, weht eine kalte Brise ins Zimmer. Er schaudert. Von draußen hört er nur das Rauschen der Bäume.

„HA HA HA HA HA HA“

Lautes Gelächter erschallt aus seinem Nokia 105. Vor Schreck wirft Bastian es von sich. Springt mit einem Satz aus dem Bett. Und stößt sich an dem Schrägdach den Kopf.

Schon wieder. Diesmal wird ihm schlecht vor Schmerz, als stieße er sich, zum zweiten Mal, die gleiche Stelle am Kopf. Kämpfen oder fliehen? Kämpfen? Gegen wen? Fliehen? Wovor?

Er reibt sich die schmerzende Stelle. War das vorhin kein Traum? Warum ist er dann nicht mehr nass? Er erinnert sich nicht daran, wie er sich ins Bett gelegt hat.

Das Gelächter verebbt.

Ich kenne auch diese Stimme, schießt es Bastian durch den Kopf. Das war eine Aufnahme!

Er schluckt schwer. Die Stimme, diesmal männlich, kann er nicht zuordnen. Doch Bastian verbindet sie mit Gefahr. Mit der Zunge fährt er über seine trockenen Lippen. Dann fängt er an, auf seiner Wange herum zu kauen.

„Ich brauche das Handy. Und Licht. Nur Mut, Bastian.“, ermuntert er sich laut. Er ist neu eingezogen. Ein Telefonanschluss ist noch nicht gelegt. An eine Nachttischlampe hat er bisher nicht gedacht. Der Lichtschalter befindet sich neben dem Kleiderschrank auf der anderen Seite des Bettes. Dort ist auch das Mobiltelefon auf dem Boden gelandet.

Bastian umrundet das Bett und geht vorsichtig auf sein Nokia 105 zu.  Ein Knarren lässt ihn hastig herumfahren. Niemand da. Er steht so unter Strom, dass er sich die Wange aufbeißt und Blut schmeckt. Stocksteif wartet er. Und lauscht. Nichts. Als er sich vorsichtig bewegt, knarrt es erneut.

Das sind meine eigenen Schritte, begreift Bastian erleichtert und  geht weiter. Er hat sich noch nicht an die Geräusche seines neuen Hauses gewöhnt.

Er greift nach seinem Handy. Der Duft von Weihrauch streift seine Nase. Seine Hand zuckt zurück, als hätte ein Rohrstock nach ihr geschlagen.

Bastian dreht sich hastig um und tastet neben dem Kleiderschrank nach dem Lichtschalter. Bevor er das Licht anmachen kann, leuchtet sein Mobiltelefon auf. Ein kurzer Dreiklang informiert ihn, dass er eine Nachricht bekommen hat. Er findet endlich den Schalter und macht das Licht an. Nichts passiert.

Er bückt sich nach seinem Nokia 105 und nimmt gleichzeitig einen schwachen Duft von Rosen wahr. Irritiert blickt er zum Kleiderschrank, aus dessen Richtung der Duft zu kommen scheint.

Der Dreiklang ertönt wieder. Er hat eine zweite Nachricht bekommen.

Vom Handy abgelenkt, öffnet er die Nachrichten und sieht Fotos.

Von sich. Schlafend im Bett. Diesem Bett. Seiner Uhr. Die zwei Uhr fünfzig anzeigt.

Von seiner jüngeren Schwester. Die 500 km entfernt wohnt. Bei ihm am Bett. Diesem Bett.

Sie kommt blutüberströmt aus dem Kleiderschrank, weint und schreit: „Es tut mir leid Sebastian! Sepp muss sterben!“

Fassungslos sieht er seine Schwester an. Der Schrei der Frau an den er sich zu erinnern glaubte. Die Stimme, die ihm so vertraut war, gehörte seiner Schwester.

Ein Messer blitzt in ihrer Hand auf. Der Duft nach Weihrauch und Rosen kommt von ihr. Als sie sich auf ihn stürzt, riecht Bastian den Ingwer.

       ****

Aus der tiefsten, hintersten Ecke seiner Seele, erhebt er sich. Wild, roh und dominant, verlangt er die Führung. Todesangst übermannt Bastian. Er will nicht wieder in den Kerker des Unterbewusstseins zurück. Doch er kann sich nicht gleichzeitig gegen ihn und seine Schwester wehren. Er gibt auf. Diesmal endgültig. Kampflos räumt er das Feld.

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Über Bastian triumphierend, kann Sepp nicht aufhören zu lachen.

Mühelos entwaffnet er seine Schwester und wirft sie aufs Bett.

„Du hättest alles beenden können, wenn du nicht Mitleid mit Bastian gehabt hättest. Einfach im Schlaf die Kehle durchschneiden! Und was machst du? Andenkenfotos. Spielst an unserem Handy rum. Michael Jackson! Herrgott! Geht’s noch kitschiger? Versteckst dich im Schrank und verschickst Nachrichten. Aber so tötet man nicht!“, belehrt Sepp sie.

Sie will aufspringen und sich erneut auf ihn stürzen, doch Sepp drückt sie mit seinem Gewicht wieder runter auf das Bett. Mit dem Messer fährt er ihr Gesicht entlang. Er sieht die Angst in ihren Augen. Sicher hat sie noch Schmerzen, die von den Wunden herrühren, die er ihr vor fünf Stunden zugefügt hat. Als Sepp sie das erste Mal umbrachte.

„Aber zum Morden und Spuren beseitigen, hast du ja immer mich gebraucht, nicht wahr? “

Sie weiß sehr genau, wozu Sepp fähig ist. Haben sie doch gemeinsam bereits andere in den Wahnsinn getrieben und umgebracht. Dabei wird sie sein Lachen auch aufgenommen haben. Sie ist so viel mehr, als nur seine Schwester. Auch, wenn Sepp wegen des letzten, von ihr verpatzten, Mordes umgezogen ist.

„Dieses Mal, lasse ich dich nicht zum Sterben in einem Abflussrohr liegen! Bastian kann dir nicht mehr helfen! Er kommt nie mehr zurück!“

Genussvoll schnüffelt Sepp an ihrem Hals und riecht den Weihrauch, die Rosen. Und vor allem den Ingwer und die darauffolgenden Moschos- und Holznoten. Der Duft vermischt sich mit dem Geruch nach ihrem Blut. Wahrhaft eine Passage zur Hölle. Ihrer Hölle. Denn für sie, muss er besonders kreativ sein.

„Passage d´Enfer ist mein Duft! Bastian hatte kein Recht es dir zu geben. Aber du, du hast versucht ihn zu decken und mir über Jahre ins Gesicht gelogen. Dann verpatzt du nicht nur den Mord, nein du kommst mir nachgelaufen, damit man mir auch ja auf die Spur kommt! Aber methodische Vorgehen, war ja noch nie deine Stärke.“

Er ist wie im Rausch. Genießt ihre Gegenwehr. Kostet seine Macht voll aus. Beim zweiten Mal, wird er noch kunstvoller vorgehen. Jetzt, nachdem Bastians letzter Versuch gescheitert ist, wieder zurückzukehren, ist selbst sie ihm vollends ausgeliefert.

 

Version drei