Von Amelie Sorglos

Es ist eine düstere Novembernacht und ich bin allein Zuhause. Der Hund hat schon ein paar Mal angeschlagen, als er gegen Mitternacht endlich Ruhe gibt. Ich wälze mich noch eine Weile hin und her, höre das alte Haus ächzen und knarren und bin gerade eingeschlafen, als ich spüre, dass es ganz hell im Zimmer ist. Ich öffne die Augen. Schlafe oder träume ich? Junge Mädchen in wunderschönen Gewändern bewegen sich anmutig um mein Bett herum. Schnell ziehe ich die Bettdecke hoch, verstecke mich darunter und beobachte fasziniert die elfengleichen Gestalten aus der Tiefe meiner Kissen. Wer sind sie, woher kommen sie und was wollen sie in meinem Haus? Musik dringt an mein Ohr, Stimmen vermischen sich mit den Klängen. Die zierlichen Geschöpfe tragen weiße Kleider aus hauchdünnen Stoffen, um ihre Haare und Schultern wehen zarte Schleier. Sie tanzen, lachen und trinken Wein aus funkelnden Gläsern. Immer wenn sie sich im Kreise drehen, fliegen die Röcke hoch und entblößen ihre nackten Beine.  Ihre Haare sind hell und kunstvoll geflochten. Zwei der Mädchen setzen sich auf den Rand meines Bettes, ihre Gesichter sind blass, kindlich und sinnlich zugleich. Sie halten einen Kranz in Händen, der Duft von Orangenblüten umschmeichelt meine Nase. Flinke Hände huschen unter mein Deckbett und ziehen mir das Nachthemd vom Körper. Wie gelähmt lasse ich sie gewähren. Die Frauen hüllen mich in ein langes weißes Kleid, das mit Blüten bestickt ist und nach Yasmin und Rosen duftet. Kühl und glatt liegt es auf meiner Haut. Sie drücken mir den Kranz ins Haar, kichern und klatschen in die Hände.

Ein Ruck geht durch mein Bett, es ist ein Bett mit Holzrahmen, eines das quietscht, wenn man sich hineinlegt und eines das knarrt, wenn man aufsteht. Jetzt setzt es sich in Bewegung, nimmt Fahrt auf und schießt auf den Spiegel zu, der goldgerahmt an der Wand hängt. Aufrecht sitzend sause ich auf mein Spiegelbild zu, sehe die Frau, geschmückt wie eine Braut, erkenne, dass ich es bin, fühle den Schreck, wie er durch meine Glieder fährt und mein Herz, das droht, aus der Brust zu springen. Sekunden später fliege ich durch den Spiegel hindurch in die Nacht. Der Wind zerrt an dem Blütenkranz auf meinem Haar, die bauschigen Ärmel meines Kleides blähen sich, bläuliches Mondlicht liegt auf meinen Kissen, spiegelt sich matt im Fluss,  tief unter mir.

Nebelschleier begleiten mich auf meiner nächtlichen Reise, werden dichter, hüllen mich ein und verwehren mir die Sicht. Ich höre Saitenspiel, vernehme Flüstern und Raunen. Plötzlich gibt es einen Ruck, mein Bett bleibt stehen. Bin ich angekommen? Flackernde Lichter schwirren herum, necken mich, verstecken sich, tauchen neben mir auf und lassen Geister ahnen, die sich irgendwo verbergen. Wo bin ich? Der Klang einer Glocke lockt Elfen herbei, zarte, schwebende Geschöpfe   auf nackten Füßen. Hände heben mich hoch und tragen mich davon. Mir schwinden die Sinne. 

Als ich erwache liege ich auf seidenen Kissen, über mir ein hoher Himmel. Fahles Mondlicht wirft geheimnisvolle Schatten an die Wand. Ich halte den Atem an, ein Mann steht vor meinem Bett. Er trägt eine goldene Krone auf dem Haupt, seine dunklen Augen sind auf mich gerichtet und als er den purpurnen Mantel zurückschlägt sehe ich, dass er nackt ist. Seine Ohren sind lang und spitz. Der Elfenkönig! Gefangen in einer Mischung aus Furcht und Erregung liege ich still,  wage es nicht, mich zu bewegen.

Ohne einen Laut schlägt er die Decke zurück, behutsam schlüpft er neben mich. Der Mann riecht nach würzigen Kräutern, nach Farnen, nach Gräsern und wildem Wein. Seine Arme umschlingen mich, ich kann mich nicht wehren. Ich fühle seinen heißen Atem auf meiner Brust, seine weichen Hände, die wie Flügel über meinen Körper huschen. Seine Hand gleitet hinab in das Tal meiner Lust, ich werde ganz schlaff, ganz weich. Er legt seinen Mund auf  meinen, berührt meine Lippen mit seiner Zungespitze, sanft, vorsichtig, abwartend. Ich fühle seine tastenden Finger, kreisend wie ein Adler um seine Beute. Mein Körper empfängt Signale, Lust breitet sich aus, überschwemmt mich wie ein reißender Bach. Das Lager, auf dem wir ruhen, beginnt sich zu bewegen, schwingt hin und zurück und steht wieder still. Meine Finger berühren sein Gesicht, er rückt näher, ich weiche zurück, voller Angst und doch voller Begehren. Er richtet sich auf, seine Augen lüstern auf mich gerichtet. Ich betrachte das dunkle Haar auf seiner flachen, muskulösen Brust. Er lächelt. Ein Drängen steigt in mir auf, ich muss ihn haben, jetzt.

Unsere Körper schmiegen sich aneinander, unser Atem geht schneller. Wie zufällig berühren meine Hände den Blütenkranz auf meinem Haar. Erschrocken zucke ich zurück. Ich bin seine Braut, er will mich besitzen. Für immer!  Nein! Nein! Ich will das nicht. Sein Mund auf meinen Lippen, seine Hände auf meinem Leib. „Hilfe!“ 

Wer schreit so laut, bin ich das? Der Hund bellt. Ich schlage die Augen auf, fühle mein Herz rasen. Morgendämmerung auf den Tapeten. Ich richte mich auf, schaue in den Spiegel an der Wand gegenüber, er ist unversehrt. Was für ein Traum!