Von Ingo Pietsch

Franzi starrte auf ihr Handy und wollte das Date wieder absagen, doch da klingelte es schon an der Tür.

Sie schüttelte den Kopf und ihre losen Haare wehten ihr ins Gesicht. Warum hatte ihre andere Hälfte, Franziska, sich schon wieder verabredet?

Sie hatten sich doch eigentlich abgesprochen, es vorerst sein zu lassen.

Und doch sehnte sie sich nach Nähe. Sie konnte ihre Arbeit zu meist von zuhause aus ihrem Homeoffice erledigen. Da geriet sie auch nicht in Gefahr, die Kontrolle zu verlieren.

Franzi und Franziska teilten sich einen Körper. Die meiste Zeit bestimmte Franzi, doch wenn sie in einen Spiegel oder auf eine spiegelnde Oberfläche blickte, war Franziska am Drücker. Dann wurde die andere Persönlichkeit in den Hintergrund gedrängt, verdammt nur zuzuschauen, was die andere machte, ohne eingreifen zu können.

Und die beiden konnten unterschiedlicher nicht sein.

Franzi blickte an sich herunter: Sie trug nur einen Shorty und ein Flanellhemd.

Oh, wie sie Franziska hasste! Immer dieses Spontane. Immer diese wilde Durcheinander.

Wieder klingelte es.

Franzi sprang vom Sofa und hüpfte in den kleinen Flur.

„Ich bin sofort da, kleinen Moment!“, rief sie zur Wohnungstür und streifte dabei ihr Hemd ab.

„Kein Problem“, kam eine Männerstimme gedämpft zurück.

Franzi überlegte, wie ihr Date noch mal hieß. Derek? Rick? Tobias!

Inzwischen war sie im Schlafzimmer angekommen und hatte eine blaue Bluse an, die sie zuknöpfte.

Sie schaute in ihren Franziska-sicheren Spiegel, den sie sich selbst gestaltet hatte: Ein Stück Aluminium, auf dem sie gerade so ihre Umrisse sehen konnte, um sich zu schminken, zu frisieren und dabei sie selbst zu bleiben.

Pferdeschwanz gebunden und in die Jeans geschlüpft, fertig.

Wie langweilig.

Franzi ignorierte die Stimme in ihrem Kopf und ging zur Tür. Sie holte tief Luft und öffnete sie.

Vor ihr stand ein junger Mann ihren Alters, der direkt einer Bachelor-Folge entsprungen sein könnte.

Du hast echt Geschmack.

Ich weiß.

Franzi war starr vor Nervosität und bewegte sich kein Stück.

„Darf ich reinkommen?“, fragte Tobias und hielt ihr einen Blumenstrauß entgegen.

„Oh, danke. Ja, bitte.“ Franzi winkte Tobias herein.

Im Flur hingen ein paar Nachdrucke berühmter Künstler der Neuzeit. Natürlich hinter Kunststoffscheiben, die kaum spiegelten.

Sie betraten das Wohnzimmer und Tobias setzte sich in den einladenden Ledersessel.

Franzi ihm gegenüber auf die Couch, auf der sie gerade eben noch ihr Handy angestarrt hatte.

Nur vage erinnerte sie sich an den Chat, den Franziska mit Tobias geführt hatte.

Sie scrollte schnell einmal den Verlauf herunter und errötete dabei.

„Alles in Ordnung?“, wollte Tobias wissen. Der Sessel knarzte, als er sich zu ihr hinbeugte.

„Haben wir das wirklich miteinander geschrieben?“

Jetzt stell dich doch nicht so an, sowas gefällt dir doch auch.

„Ich fand es ziemlich direkt von dir. Und auch gut. Aber ich würde dich doch lieber erst mal näher kennenlernen, um zu wissen, dass es zwischen uns klappt. Ich bin nicht so der Typ für eine Nacht.“

Ach komm schon, ich habe nicht ewig zu leben, lass uns ins Schlafzimmer verschwinden.

„Ich kann mir auch nicht erklären, warum ich das geschrieben hab. Manchmal stehe ich total neben mir.“ Franzi kicherte unsicher. „Ich bin auch eher der Typ für feste Beziehungen.“

Mir wird gleich schlecht. Hallo! Schau dir mal die Oberarme an. Der trägt uns auf Händen.

Franzi massierte sich die Schläfen, in der Hoffnung Franziska würde aus ihrem Kopf verschwinden.

Zum Glück entschärfte Tobias die peinliche Situation: „Wir könnten eine Pizza essen gehen.

Auf dem Weg hierher habe ich einen kleinen Italiener gesehen. Da können wir uns ein ein bisschen ungezwungener unterhalten. Und wer weiß, was dann noch ist?“ Er lächelte sie charmant an.

Ich habe keinen Hunger auf Pizza, ich würde lieber dich vernaschen.

„Ja, das klingt gut. Ich hole eben meine Tasche und meine Sonnenbrille.“

Tobias starrte sie ein wenig ungläubig an, weil die Sonne längst untergegangen war.

„Äh, das ist so ein Tick von mir. Ich arbeite in einem Büro und die künstliche Beleuchtung hat mich ein wenig lichtempfindlich gemacht.“ In Wirklichkeit schützte sie die Brille. Spiegelungen wurden dadurch gedämpft.

So ein Blödsinn. Los, krall ihn dir.

„So, es kann losgehen.“

 

Gegen Mitternacht standen sie wieder vor Franzis Wohnungstür.

Sie hatten sich den ganzen Abend über unterhalten und gelacht. Es war schön gewesen.

Franzi konnte sich nicht mehr erinnern, wann es ihr zuletzt so gut gegangen war. Franziska hatte ihre letzten Beziehungen abrupt beendet, weil sie einfach zu viel verlangte.

Und wer ließ sich schon gerne auf eine gespaltene Persönlichkeit ein?

Franziska hatte sich seit dem Spaziergang nicht mehr gemeldet und Franzi fand es schön, ihren Körper mal für sich allein zu haben.

Tobias trat näher, nahm ihr die Sonnenbrille ab und küsste sie.

Ein warmes Gefühl durchflutete sie und sie ließ es geschehen.

Wer wusste schon, wann sich wieder die Gelegenheit bieten würde. Ausnahmsweise hatte Franziska  mal den richtigen Typen an Land gezogen. Ihre Verehrer waren alles Psychos gewesen. Naja, eigentlich war sie selbst ja auch einer. Aber das hier war anders.

„Kommst du noch mit rein?“, fragte sie verlegen, wie ein kleines Mädchen.

„Wenn es dir wirklich recht ist?“

Oh, ich muss gleich kotzen.

Jetzt mach mir das nicht kaputt. Ich habe auch mal das Recht glücklich zu sein.

Ich komme mir vor, wie in einem schlechten Liebesfilm.

Dann schalt dich doch aus.

Franzi schloss die Tür auf und sie gingen erst wieder ins Wohnzimmer.

„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragte sie.

Tobias ging ganz nah an sie heran, nahm ihren Kopf in seine Hände und hauchte: „Eigentlich möchte ich nur dich.“ Dann küsste er sie so leidenschaftlich, dass ihr die Luft wegblieb.

„Los, komm mit.“ Sie fasste ihn an der Hand und zog ihn mit ins Schlafzimmer. Sie knipste das Nachtlicht an und dann warfen sie sich angekleidet aufs Bett.

Wild küssend wälzten sie sich hin und her.

Decke und Kissen fielen herunter.

„Moment mal“, schreckte Tobias auf. Er lag mit dem Rücken auf etwas kaltem und hartem. „Was ist das?“ Er fasste vorsichtig danach und zog ein dreißig Zentimeter langes Fleischmesser hervor.

Die Klinge blitzte unter der kleinen Leuchte auf und beide sahen ihr Spiegelbild auf der jeweiligen Seite der Klinge.

Ehe Tobias reagieren konnte, griff Franziska mit beiden Händen nach dem Messer und rammte es nach unten.

Tobias rollte zur Seite und die Klinge fuhr in die Matratze. Er sprang auf und stand in Lauerstellung neben dem Bett: „Ey, sag mal spinnst du? Das ist mir ein bisschen zu heftig.“

Franziska knirschte mit den Zähnen: „Ich dachte, du magst so was?“

„Das war nicht abgesprochen. Heftig ja, aber dass du mich umbringen willst doch nicht.“

Ihr habt das geplant? Ohne, dass ich davon wusste?

Ja Franzi, so kann das doch nicht weitergehen. Ich kann dich vollkommen ausblenden. Ich wollte dich so schocken, dass du nie mehr zurückkommen würdest.

Und dafür würdest du jemanden ermorden?

Franziska zuckte mit den Schultern.

„Redest du mit der Spießerin?“, fragte ihr gegenüber.

„Ja und sie nervt. Ach Franzi, dass ist übrigens Tobi. Seine  bessere Hälfte.“

„Nur um das klarzustellen: Du wolltest mich doch nicht wirklich umbringen?“ Tobi kniff die Augen zusammen.

Franziska zog das Messer aus dem Bett und warf es auf den Boden. „Ich bin doch nicht verrückt.“

Tobi ging zum Bett zurück und warf Franzi rücklings aufs Bett. „Jetzt zeige ich dir mal, wie ich Tobias schocke, damit er tagelang nicht zur Besinnung kommt.“

Unter stürmischen Küssen keuchte Franziska: „Vielleicht sollten wir uns mal zu viert treffen?“

Beide lachten und liebten sich die ganze Nacht.

 

Die Polizei fand eine Woche später die Leichen der beiden im Schlafzimmer. Tobi steckte ein Messer in der Brust und Franziskas Hals war von seinen Händen umschlossen.