Von Marianne Apfelstedt

Trockene Haut, spröde wie altes Pergament, streicht zart über die matten schwarzen Griffe des Rollstuhls. Ihr Blick im Spiegel fällt auf Hände, milchig weiß wie Porzellan, gezeichnet und runzelig durch die vielen Jahrzehnte. Auf dem Tisch vor ihr liegt die Bürste mit dem Holzgriff, der wie Honig in der Sonne glänzt. Der Blick wandert weiter zum Spiegel. Die Haare, so weiß wie Mehl, umrahmen als Bob das Gesicht. Der fehlende Pony lässt Platz für die Denkerstirn. Die lächelnden Augen glänzen, wie frisch poliertes Walnussholz, umrahmt von Runzeln einer Greisin. Der Spiegel ist ihr Freund er hat sie schon solange begleitet. Heute wird ihr 80. Geburtstag gefeiert, Schwester Katharina wartet schon. Sie lächelt ihr Spiegelbild verschmitzt an, ob sie wohl an den Schokoladenkuchen gedacht haben?

 

Mit zittrigen Fingern streift sie den breiten glänzenden Goldring vom Ringfinger der rechten Hand und legt ihn behutsam in das smaragdgrüne Kästchen vor dem Spiegel. Knotige Finger streichen ganz sacht über die Intarsien auf der Vorderseite. Nächsten Monat wäre die goldene Hochzeit gefeiert worden, nun trägt sie schwarz. Das Kleid aus Baumwolle endet am Schwanenhals mit der goldenen Ginkgo Kette. Das graue Haar im Nacken als Zopf fixiert, hat viele schlohweiße Strähnen bekommen. Es umrahmt ein Gesicht mit traurig blickenden Augen. Rote Augenlider und dunkle Schatten unter den Augen zeigen die Spuren von Tränen und Trauer. Die Frau im Spiegel ist ihr fremd sie fühlt sich uralt, dabei ist heute ihr 70. Geburtstag.

 

Noch ein Hauch vom Lieblingsduft Tresor aufgesprüht, der Sie schon so lange begleitet. Sie sucht im Schmuckkästchen nach den Perlen Ohrringen und steckt sie sich an. Durch die taubengrauen Haare ziehen sich hier und da noch einige braune Haarsträhnen. Das walnussbraun von längst vergangenen Tagen ihrer Jugend. Gerade als sie die Bürste mit dem Holzgriff vor dem Spiegel ablegt, spürt sie Martins warme Hände auf ihren Schultern. Ein Kuss landet auf ihrem Scheitel und eine zartgliedrige Goldkette mit einem Ginkgoblatt, legt sich um den faltigen Hals. „Alles Gute zum 60. Geburtstag“, haucht er in ihr linkes Ohr. Sachte streicht sie mit den Fingerspitzen über das goldene Blatt, das sich schon durch ihre Haut erwärmt und schenkt sich und Martin ein Lächeln im Spiegel.

 

Sie ist etwas aus der Übung. Auftragen von Wimperntusche und Kajal ist Nina nicht mehr gewohnt. Früher war sie stolz auf die großen Reh Augen, deshalb wurden sie gern besonders in Szene gesetzt. Seit es jedes Jahr mehr Fältchen gab, die die Haselnussbraunen Augen einrahmen, schminkt sie die Augen nicht mehr. Dafür liebt sie jetzt ihren Mund. Die volle Unterlippe, mit der gleichmäßig geschwungenen Oberlippe, kommt mit altrosa Lippenstift noch viel besser zur Geltung. Die gepflegten Hände glätten den kurzen Bob, in dem sich vereinzelt silbrige Fäden zeigen. Noch der Lieblingsduft Tresor auf das Schlüsselbein versprüht, dann umgibt sie der Duft wie eine zarte Stola. Verschmitzt grinst sie die Frau im Spiegel mit den Lachfältchen an. Ihr gefällt was sie sieht. Mit engen Jeans und dem tief ausgeschnittenen Wasserfalltop in kirschrot sieht sie jugendlich aus. Sie freut sich auf die Party zum 50. Geburtstag.

 

Kaum zu glauben, wie schnell die Jahre vergehen. Erst vor kurzem hat sie die ersten grauen Haare im Spiegel entdeckt und mit einer Pinzette entfernt. Heute feiert sie ihren 40. Geburtstag. Kritisch fokussiert sie ihr Spiegelbild. Schulterlage Haare Mahagoni braun, modern und stufig geschnitten. Der schlanke Hals und die schmalen Schultern. Strahlende Augen blicken ihr entgegen, nach dem langen Sommer zeigen sich noch einige Sommersprossen auf der geraden Nase und den Wangen. Die Denkerstirn glatt und fein, an den Augenwinkeln kann sie die ersten zarten Linien entdecken. „Ach, sind doch nur Lachfältchen“, sagt sie Ihrem Spiegelbild mit einem Lächeln. Der Terrakotta Lippenstift und etwas Lipgloss reichen völlig, im schicken schwarzen Etuikleid steht sie erwartungsfroh vor dem Spiegel. Martin wartet schon. Sie feiern ihren 40. Geburtstag nur zu zweit mit einem Candle Light Dinner

 

Langgliedrige manikürte Finger streichen über die Rundung an ihrem Bauch. Sie stellt sich seitlich vor den Spiegel und findet sich schön. Der goldene Ring am rechten Ringfinger fühlt sich an, als wäre er schon immer dort gewesen. Sie strahlt ihr Spiegelbild an. Schimmernde haselnussbraune Augen mit langen Wimpern, schulterlanges Haar mit roten Strähnen, fällt seidig über den Rücken. Das Gesicht leicht gebräunt mit den typischen Sommersprossen nach dem Urlaub in Norditalien. Martin liebt die neuen Rundungen und genießt den Anblick seiner kurvigen Frau. Es klingelt an der Wohnungstür, die ersten Gäste kommen. Noch etwas Tresor auf die Handgelenke und das Dekolleté, dann ist sie bereit. Sie feiern den 30. Geburtstag mit Freunden und der Familie und natürlich mit leckerem Essen. Zum Nachtisch gibt’s Schokoladenkuchen.

 

Das rosa Haarband bändigt die brandneuen Locken, sie reichen über die zierlichen Schultern. Die Bürste der schwarzen Wimperntusche formt den neuen Schwung der langen Wimpern. Die Sommersprossen sind auch jetzt im Herbst noch zu sehen. Zart wandern sie über die schmale Nase, zu den mit Rouge betonten Wangenknochen. Die haselnussbraunen Augen funkeln, eingerahmt von moosgrünem Lidschatten und schwarzem Kajal erwartungsfroh. Die vollen Lippen glänzen in pfirsichrosa. Jetzt noch die großen silbernen Kreolen für die Ohren. Mit flinken Fingern streift sie das Haarband ab und legt es in das smaragdgrüne Kästchen vor dem Spiegel. Die zartgliedrigen, langen Finger mit den pinken Nägeln verwuscheln gekonnt die Locken. Heute feiert sie mit ihrer Freundin Susanne ihren 20. Geburtstag, vielleicht kommt ihr neuer Arbeitskollege Martin ja auch in ihre Stammkneipe.

 

Wie aufregend Geburtstagsmorgen, schon vor dem Wecker klingeln hüpft Nina aus dem Bett. Schnell zum Spiegel, mit der Bürste kurz durch die schulterlangen Haare gefahren. Das dunkelblaue Gummiband fixiert die kaffeebraunen Strähnen. Sie streckt ihrem Spiegelbild die Zunge entgegen. Ein strahlendes Grinsen zeigt die letzte Zahnlücke. Sie streift ihre blaue Latzhose aus Cord und den kuscheligen Lieblingspulli mit der gelben Sonnenblume über. Jetzt hat Nina es eilig in die gemütliche Küche zu kommen. Der Schokoladenkuchen wartet schon, heute zieren ihn 10 froschgrüne Kerzen.

 

 

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