Von Carola Hofmann

Das Ereignis, vom dem ich hier erzählen möchte, geschah an einem sonnigen und sehr warmen Sonntag im Juli. Sylvana und ich saßen am Kanal, genossen die Sonne und erzählten uns die Neuigkeiten der letzten Woche. Nebenbei grübelte ich über eine Geschichte für ein Literaturprojekt, bei dem ich endlich mitmachen wollte und Sylvana schrieb an ihrem Buch über Naturheilkunde. Um uns herum saßen weitere Besucher, die die Ruhe genossen und in entspannter Atmosphäre miteinander plauderten. Ein älteres Ehepaar war darunter und eine Mutter mit ihrem etwa zehn Jahre alten Sohn und dem Familienhund. Weiter entfernt saß noch eine Gruppe Jugendliche, die in der Sonne dösten.

 

Die ruhige, entspannte Stille wurde durch ein Platschen durchbrochen. Ein Gegenstand schien in das trübe Wasser gefallen zu sein. Gleich darauf ertönte die aufgeregte Stimme einer Frau. 

 

„Du musst das holen, du hast es reingeworfen!“ 

 

Neugierig schauten die Anwesenden in die Richtung der Frau. Was war wohl geschehen? Der Sohn, bestürzt und ebenso aufgebracht wie die Mutter, schrie zurück. 

 

„Hab ich nicht! Ich geh da nicht rein!“ 

 

„Doch, du musst. Spring da jetzt rein!“ 

 

Die Mutter war unerbittlich. Der Junge begann zu weinen und blickte ebenso entsetzt wie zerknirscht drein. Was auch immer ins Wasser gefallen sein musste, war entweder teuer gewesen oder etwas, an dem beide hingen. Der Junge blickte auf das Wasser, von dem einige Blasen aufstiegen. dann schaute er wieder zurück auf den Steg und sagte:

 

„Ich weiß doch gar nicht wo es ist.“ 

 

„Na dort, wos blubbert. Nun spring schon rein, los!“ 

 

„Nein!“ 

 

Der Blick des Jungen wanderte wieder vom Steg auf das Wasser und wieder zurück. Irgendetwas ging in ihm vor. Er schien hin und her gerissen zu sein, von dem Wunsch, den Gegenstand wieder an die Oberfläche zu holen und dem Abscheu vor dem dunklen Wasser, in dem einige Algen zu sehen waren.

 

„Das sind 400€. Es ist dein Handy, du hast es erst zum Geburtstag bekommen! Nun spring endlich rein und hol es endlich!“

 

Der Junge zog unter Tränen seine Schuhe aus und machte einige Anstalten, doch hineinspringen. Blieb aber zunächst zögerlich am Rand des Stegs stehen. Man sah ihm an, dass er um keinen Preis der Welt hineinspringen wollte. Das Wasser an dieser Stelle war zwar nicht tief, jedoch wuchsen dort zahlreiche Algen und andere Wasserpflanzen, mit denen sich einige Stunden zuvor ein paar Teenager unter lautem Gekreische beworfen hatten. Besonders sauber war das Wasser zudem auch nicht. 

 

Mittlerweile schauten alle dem Treiben zu, ich selbst überlegte kurz, ob ich dem Jungen helfen könnte. Doch Wasser ist nun einmal nicht mein Element. Und so kalt, nass und trüb wie es war schon gleich gar nicht. Also beschloss ich, die Szene zu beobachten und sie kurzerhand für die Kurzgeschichte zu nutzen.  

 

Nach weiterem Zögern und der nächsten Aufforderung der Mutter, doch endlich in die Brühe zu springen, überwand sich der Junge und sprang. Kaum war er drin, keifte Frau Mama hinterher: 

 

„Nun tauch schon runter und hol das Handy!“ 

 

„Nein, ich sehe da nichts und ich kann nicht stehen!“,

 

Der Junge klammerte sich mit einer Hand am Steg fest und inspizierte die Stelle, an der das Handy reingefallen sein sollte. 

 

„Nun hab dich nicht so, tauch endlich und hol das Handy!“ befahl die Mutter.

 

„Nein, ich habe Angst, ich tauche da nicht runter!“, erwiderte der Junge. 

 

„Los, jetzt mach schon!“ kam es von der Mutter. 

 

Man sollte eigentlich meinen, dass sie ihren Sohn ermutigt und ihm hilft seine Angst zu überwinden. Doch es geschah das genaue Gegenteil. Plötzlich drückte sie mit der flachen Hand den Kopf des Jungen unter Wasser. Von den Umsitzenden hörte man ein gemeinschaftliches Raunen. Jedoch kam niemand dem Jungen und seiner Mutter zu Hilfe. Nur der Hund lief unruhig auf dem Steg hin und her. Das gemeinschaftliche Raunen der Umstehenden genügte immerhin, um die Mutter zur Vernunft zu bringen. Sie ließ von ihrem Sohn ab. Aber zufrieden war sie natürlich noch nicht. Schließlich ging es hier um viel Geld, dass auf dem Grund des Hafenbeckens versenkt war.

 

„Los jetzt. Hol das verdammte Handy hoch, da ist auch dein Schülerausweis drin! Es ist ein Outdoorhandy, das hält das Wasser schon aus. Und du hast es doch auch rein geschmissen!“ 

 

„Das war ich nicht, das war verdammte Köter! Und ich tauche da nicht runter, ich hab Angst!“

 

Die Mutter war unerbittlich. Der arme Junge stand in dem dreckigen Wasser, klammerte sich an den Steg und weinte. Ein Mann, der die Szene genau so beobachtet hatte wie wir, kam schließlich  zu dem Jungen rüber und versuchte ihn zu beruhigen und ihm Mut zu machen. Eine Geste, zu der die Mutter des Jungen augenscheinlich nicht bereit war zu tun.

 

Sie nutzte lieber die Gunst der Stunde und sprach den Mann an.

 

„Vor vier Tagen noch, als seine Großeltern da waren, ist er hier noch geschwommen und hat getaucht. Und jetzt hat er sich so affig. Das sind ja auch nur 400€, die da unten liegen. Ist ja auch nur mein Geld. Wie kann man auch nur so blöd sein und das Handy so nah an die Kante legen?!“

 

Ich dachte, ich höre nicht richtig. Wie kann sie ihren Sohn jetzt auch noch derartig runter machen und vor Fremden beschimpfen? Das war für mich der Moment, wo ich nicht mehr an mich halten konnte, mich aufrappelte und zu Mutter und Sohn rüber ging. 

 

„Wie reden Sie denn mit Ihrem Sohn? Anstelle ihm Mut zu machen, damit er seine Angst überwinden kann, reden Sie in so einem Ton mit ihm. Das geht doch nicht!“

 

„Aber das sind 400€, ist ja nur mein Geld.“ kam es von der Mutter zwar noch ziemlich aufgebracht aber doch recht kleinlaut zurück.

 

„Ja und? Ihr Geschrei bringt doch nichts.“

 

Damit gab ich dann auch auf, und der Mann und ich zogen uns zurück. Hier war nicht mit Vernunft beizukommen, soviel war klar. 

 

Der Junge jedoch hatte ob dem Zureden nun einen Versuch unternommen und war kurz untergetaucht. Ohne Erfolg, wie er gleich darauf verkündete. 

 

„Hier ist alles voller Algen und Zeugs. Ich sehe nichts.“

 

„Dann muss du es eben ertasten!“ kam es stoisch von der Mutter zurück. 

 

„Nein, ich tauch da nicht nochmal runter. Ich hab Angst.“ 

 

Die Mutter fing unterdessen an, ihre Sachen zusammen zu suchen und nahm den Hund wieder bei Fuß.

 

„Ich gehe jetzt nach Hause.“ 

 

Dies brachte für den Jungen das Faß zum Überlaufen. Dieser, eh schon hin und hergerissen zwischen seinem Handy und dem Wunsch es wieder zu bekommen und dem Ekel vor den Pflanzen im Wasser, schrie und tobte. 

 

„Das kannst du nicht machen!“ 

 

Doch die Mutter entfernte sich bereits. Der Junge kletterte mit nachlassender Kraft zurück auf den Steg und kauerte sich hin. „Ich bin klatschnass und du lässt mich hier mit nassen Sachen und ohne Schuhe zurück!“ „Dann hättest du die Sachen vorher ausziehen müssen!“

 

Es war ein so ungerechter Satz. Sie hatte ihrem Sohn ja gar nicht die Zeit gelassen, T-Shirt und Hose auszuziehen. Er sollte sofort hinterher springen. Tief ist das Wasser an dieser Stelle tatsächlich nicht, aber voller Wasserpflanzen und dementsprechend trüb und undurchdringlich. Schließlich traten Mutter und Sohn den Heimweg an. Die eine wütend, der andere todtraurig. 

 

Sylvana und ich schauten uns ratlos an. 

 

„Ich kann die Mutter schon verstehen, sind immerhin 400€, die jetzt da unten liegen.“ meinte ich. „Aber so wie die mit ihrem Sohn geredet hat, war auch nicht in Ordnung. Hätte ihn ja wirklich mal ermutigen können, aber ihr ging es die ganze Zeit um den Verlust des Geldes.“

 

„Ja, schon, aber muss ein 10 jähriger ein 400€-Handy haben?“ entgegnete Sylvana. 

 

Da konnte ich nur zustimmend nicken. Wir gingen wieder unserer jeweiligen Beschäftigung nach. Ich begann die Geschichte aufzuschreiben und Sylvana widmete sich wieder ihrem Buch. Eine halbe Stunde später, mittlerweile waren wir die Einzigen, die noch da waren, ließen uns wohlbekannte Stimmen aufhorchen. 

 

Mutter und Sohn waren wieder da. Diesmal ohne Hund, dafür mit Fahrrädern, Taucherbrille und Schnorchel. Die Mutter hatte sich sichtbar beruhigt und versuchte ihrem Sohn zu helfen, nachdem er, diesmal nur mit einer Badehose bekleidet, ins Wasser gesprungen war. Doch auch mit Schnorchel und Taucherbrille war es unmöglich etwas zu sehen oder ertasten zu können. Nach einigen erfolglosen Versuchen gingen sie schließlich ohne Handy wieder nach Hause.

 

Dritte Version