Von Kai Braddick

„Sehen Sie, ich sammle Tiere.“

„Was Sie nicht sagen,“ antwortete ich, während ich mich in der Halle umsah. 

Max hatte nicht gelogen, als er mir das Anwesen dieses komischen Kauzes beschrieben hatte. Von außen machte das Gebäude schon einiges her, doch das Innere ließ mich schier erstaunen. Es lag nicht nur an den prunkvollen Gemälden oder den ewig hohen Säulen und den sündhaft teuren Wandteppichen. Es waren die Tiere. Kein Zoo der Welt besaß eine so große Auswahl an Lebewesen, wie Sir Angus Miller.

Überall standen Käfige, Terrarien und Aquarien, in denen so manches Getier kreuchte und fleuchte. Regale, die bis an die Decke reichten, waren vollgestopft mit Käfigen, in den sich die merkwürdigsten Vögel tummelten. Das Gezwitscher war ohrenbetäubend, doch der alte Mann, der in seinem Morgenmantel und verfilzten Pantoffeln durch die Reihen der Tiere wanderte, schien das nicht zu kümmern. Der Gestank tat sein Übriges.

„Ist das da ein Dodo?“, fragte ich, mehr als überrascht, während ich versuchte meine Nase, so gut wie möglich, abzuschirmen.

„Aber, aber“, zwinkerte er mir zu und beachtete mein Gebaren dabei erst gar nicht. 

„Die sind doch ausgestorben.“ 

Sein süffisantes Lächeln zog mich unweigerlich in seinen Bann. Kauz hin oder her. Mister Miller hatte ein einnehmendes Wesen, das einen so schnell nicht losließ.

Er zog mich weiter.

Hier und da huschten Personen an uns vorbei, bei denen es sich allem Anschein nach um Tierpfleger handelte. Verstohlene Blicke wurden mir zu geworfen.

„Da sind wir schon“, sprach er, doch ich verstand nicht gleich, denn wir standen vor einem völlig überfüllten Bücherregal.

Mister Miller drängte an mir vorbei und nahm scheinbar wahllos ein Buch aus dem Regal. Irgendwo klackte es und mit einem unangenehmen Quietschen fuhr plötzlich ein Teil des Regals zur Seite. Milchiger Staub legte sich über die Öffnung und eine Treppe zeigte sich, die nach unten zu führen schien. An der Wand hingen elektronische Fackeln, die einen Teil eines Weges beleuchteten.

„Bitte nach Ihnen“.

Ich schritt die Treppen hinab, gespannt darauf, was mich unten erwarten würde. Ich muss zugeben, dass mich ein mulmiges Gefühl begleitete, und ich verfluchte die Tatsache, dass ich meine Pistole zu Hause gelassen hatte. 

Aber wer ging auch schon mit einer Waffe zu einem potentiellen Kunden?

Als ich das Ende der Stufen erreicht hatte, offenbarte sich mir ein Anblick, den ich so schnell nicht vergessen sollte. Ich befand mich in einer Art Lagerhalle unter der Erde. 

Soweit das Auge reichte, reihten sich Regale aneinander. Auch hier standen allerlei Käfige. Der ganze Raum war erfüllt von dem Lärm zahlloser Tiere. Selbst der große San Diego Zoo beherbergte weniger Arten. Das Ende der Halle war nicht auszumachen. Es musste sich unter dem ganzen Anwesen ausbreiten, vermutete ich.

Mister Miller stapfte an mir vorbei. 

Nach einer Weile kamen wir in einen Bereich, der den Tieren des Meeres vorbehalten schien. Unzählige Aquarien, wurden durch aufwändige Pumpenanlagen mit Sauerstoff versorgt. 

Vor einem großen Becken blieb er stehen. Außer Wasser enthielt es nichts als einen großen Felsen, der über dem Glas herausragte. 

„Deshalb sind Sie hier,“ sprach Mister Miller und deutete auf das Becken. 

Er sah meinen fragenden Blick und fischte einen Umschlag aus dem Inneren seines Morgenmantels. Ich nahm das dicke Kuvert und warf verstohlen einen Blick hinein. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Noch nie hatte ich so viel Bargeld auf einmal gesehen. 

„Ich habe gehört, dass Sie einer der besten Jäger sind.“

„Ich bitte Sie,…“, gab ich bescheiden zurück. 

„Sie wurden mir sehr empfohlen.“ Mister Miller nahm meine Hand und schaute mich herausfordernd an. 

„Sie sollen dieses leere Becken mit etwas ganz Besonderem füllen. Etwas, was mir in meiner Sammlung noch fehlt.“

Verschwörerische Blicke trafen mich.

„Bringen sie mir eine Meerjungfrau!“

 

Das Boot schob sich langsam durch das trübe Wasser. Die Sonne war bereits vor Stunden untergegangen. Ein kleiner Scheinwerfer diente mir zur Orientierung. Die pechschwarze See drückte bedrohlich gegen die Wände des Bootes. Der Wind trieb den Wellengang noch zusätzlich an. 

Es konnte nicht mehr weit sein. Der Alte hatte eine erstaunlich genaue Karte dieser Gegend und das hochmoderne Navigationssystem des Bootes tat sein Übriges. 

Eine Meerjungfrau. Seine Worte klangen mir noch im Kopf. Ich glaubte nicht an Fabelwesen, aber für diese Summe hätte ich auch einen Drachen gejagt. Ich war mir sicher nichts zu finden, doch das Geld würde ich auch nicht mehr hergeben. Irgendetwas würde mir schon einfallen, schließlich hatte auch ich Rechnungen zu bezahlen. 

Vor mir lag eine kleine Felsformation. Ich stoppte das Boot und lies mich auf das schroffe Gestein zu treiben. 

Der Lichtkegel meiner Lampe huschte über Felsen. Nichts.

Ich wartete eine Weile, doch das Einzige, das ich ausmachen konnte, war das Glitzern der Wellen im Scheinwerferlicht. Die Müdigkeit kroch mir langsam in die Glieder. Ich streckte mich, schaute noch einmal auf das Meer und wollte gerade abdrehen und aufgeben, da vernahm ich ein Geräusch.

Ein Lachen? Ein Kichern?

Irgendetwas schien sich im Wasser zu bewegen. Vielleicht nur ein paar Fische, die durch das Licht angezogen wurden. Doch Fische zeichneten sich nicht gerade dadurch aus, dass sie irgendwelchen Lärm machten, schon gar nicht lachten. 

Konnte ich mich getäuscht haben?

Dann sah ich sie und ich traute meinen Augen kaum. Nie zuvor hatte ich so etwas Unwirkliches und zugleich Schönes gesehen. Ihre langen schwarzen Haare wallten über ihrer Brust und obwohl das Meer sie umgab, schien jede Strähne trocken zu sein. Ihre elfenbeinfarbene Haut glitzerte im Schein des Lichtes. Dunkle Mandelaugen funkelten mich an und auf ihren schmalen Lippen lag ein sanftes Lächeln. Sie schwamm im Wasser und ihre Schwanzflosse glitzerte, wie eine Muschel, auf der Meeresoberfläche.

Eine Meerjungfrau!

Geistesgegenwärtig griff ich nach dem Netz, das ich mitgebracht hatte und warf es aus. Der erste Treffer sass. Zappelnd und kreischend lag das Wesen in den Maschen, während ich es auf das Boot zog. 

Ich griff nach der Meerjungfrau und im selben Moment erinnerte ich mich an die Warnung des alten Mannes.

Lassen sie sich nicht von ihr berühren.

Ich spürte den Kratzer, die Dunkelheit, das Nichts.

 

„Minerva, wie wunderbar.“ 

Mister Miller öffnete die Arme und empfing die hochgewachsene, dunkelhaarige Frau. Er musste sich strecken, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

„Ich wollte doch einmal sehen, was deine neuste Errungenschaft so macht.“

Der alte Mann führte sie durch die Halle zu den Aquarien.  Minerva blieb vor einem besonders großen Becken stehen und strich ihren Rock glatt, der wie eine Muschel glänzte.

„Unsere, meine Liebe.“

Im Becken schwamm ein Wesen, das zum Teil Mann und zum Teil Fisch war.

Minerva blickte Mister Miller streng an.

„Ich hoffe, der hier lebt dieses Mal länger, als die anderen.“

„Das hoffe ich auch“, antwortet der Alte und lächelte.

 

Ende

 

Version 3