Von Eva Fischer

Sie

Es ist schon heller Morgen. Ich bin auf den Weg zum Badezimmer. Da sehe ich auf dem Fenstersims ein Insekt. Keine Fliege, keine Spinne, keine Mücke. Nein, das Tier ist deutlich größer als die Insekten, die uns schon mal ungebeten besuchen. Es ist grasgrün. Eigentlich fasziniert mich die filigrane Schönheit des Tieres, aber es gehört eindeutig nicht in mein Haus. Wie kann ich es nach draußen befördern? Ich schaue mich suchend nach einem passenden Gegenstand um. Vielleicht hat das Insekt in meinem Zahnputzglas Platz? Die Öffnung müsste ich irgendwie verschließen. Vielleicht mit einem Tempotaschentuch? Ich habe Angst, die zarten Gliedmaßen zu verletzen. Hier bleiben, kann es jedenfalls nicht.

„Markus!“, rufe ich nach unten, wo die Kaffeemaschine gurgelnd ihren Betrieb aufgenommen hat.

„Komm mal! Hier ist ein Rieseninsekt in unserem Haus!“

Ich gehe unter die Dusche und spüre, es war ein Fehler. Verantwortungslosigkeit und Schuldgefühl lassen sich nicht einfach abwaschen.

Er

Ach, wie ich diese unausgesprochenen Befehle hasse! Kann meine Frau nicht sagen: „Markus entferne bitte dieses Insekt aus unserem Haus!“  Das wäre eine klare Ansage. Wenn ich jetzt das Küchentuch nehme und das Tier töte, dann stehe ich wieder als Mörder da. Auf der anderen Seite sind wir uns doch einig. Das Tier muss weg. Es gehört nicht ins Haus. Bei Ungeziefer bin ich nicht zimperlich. Ich töte jede Spinne, die sich in meiner Dusche tummelt, jede Fliege, die hartnäckig und laut brummend um mich herumfliegt. Ich hole den Kammerjäger, um das Wespennest auf dem Balkon zu entfernen. Ich verteile Schneckenkorn auf der Terrasse und streue Gift, um die Mäuse von meinem Grundstück zu vertreiben.

Sie weiß also genau, worauf sie sich einlässt, wenn sie mich ruft. Aber jetzt beim Kaffeetrinken zieht sie einen Flunsch.

„Was hast du mit dem Insekt gemacht?“, fragt sie.

„Das willst du nicht wirklich wissen!“, antworte ich.

 

Sie

Ja, ich ärgere mich, dass ich den einfachen, bequemen Weg gegangen bin. Wieder mal! Das ist wohl eine schlechte Angewohnheit vieler Ehefrauen.

Das Insekt hat mich durch sein unerwartetes Auftauchen und seine Größe erschreckt. Anderseits sah es irgendwie schön und friedlich aus. Ich glaube, es war ein Grashüpfer. Das werde ich bei Gelegenheit googeln.

 

Es

Das Insekt, das Tier, ja sogar das Ungeziefer!

Für die meisten Menschen bin ich ein geschlechtsloses Es, was natürlich Quatsch ist. Ich bin ein Grünes Heupferd. Lateinisch klingt das schon eleganter: Tettigonia Viridissima. Da ich weiblichen Geschlechts bin, habe ich eine Länge von 40 Millimetern erreicht.

Wie bin ich nur in das Netz menschlicher Zivilisation geraten? Wir Insekten sind ähnlich dumm wie die Menschen, wollen immer zum Licht, wollen immer höher hinaus, bilden uns ein, wir hätten Sphärenklänge der Liebe gehört.

Die Menschen sind momentan auf dem grünen Trip. Jetzt, wo die Natur zurückschlägt, meinen sie, uns Insekten zu Freunden machen zu müssen. Auf den Schulhöfen reißen sie die Steinplatten auf und pflanzen Blumen, damit wir uns auf ihnen verlustieren können. Sie glauben tatsächlich, wir könnten sie retten!  

Auf der anderen Seite ziehen sie eine klare Grenze. In ihr Haus lassen sie uns nicht. Da sind wir genauso unerwünscht wie die Migranten, die sie auf ihren Booten ersaufen lassen. Es wird ihnen nichts nützen. Wir sind zwar klein, aber viele. Meine Brüder und Schwestern sind schon in Afrika zu Milliarden unterwegs und fressen den Menschen die Felder kahl. Eine neue Welle von Menschen wird sich aufmachen Richtung Norden und dann wollen wir doch sehen, wie lange sie sich in ihren steinernen Häusern verstecken können.

Also, töte mich nur, du feiger Mensch! Mein ist die Rache! Das steht schon im Alten Testament, denn bereits da werden wir erwähnt. Wir sind unsterblich und werden nach und nach eure fadenscheinige Humanität in Stücke reißen.

 

*

 

Er: Nun lass mich nicht zappeln! Du weißt, ich mag keine Überraschungen. Wer kommt heute Abend zu Besuch? Für wen ist das dritte Gedeck? Doch nicht etwa für deine Freundin Gisela? Hat sie wieder mal Liebeskummer und muss von dir getröstet werden? Das kannst du gerne machen, aber lass mich da raus! Nein? Sag nicht, deine Mutter kommt. Das halten meine Nerven nicht aus.

Sie: Ich habe deine Mutter eingeladen. Wir haben sie schon so lange nicht mehr gesehen. Ich habe auch ein leckeres Curry gekocht. Das magst du doch auch?

Er: Willst du mich wie einen Hund mit Leckerli ködern? Danke, dass du für mich mitentscheidest, aber ich bin schon erwachsen, weißt du. Hör endlich auf, mich zu bevormunden! Was sich gehört und was nicht, interessiert mich nicht. Ich pfeife auf die Konventionen. Das solltest du mittlerweile wissen. Aber bitteschön, wenn du mit meiner Mutter zu Abend essen möchtest, ich werde dich nicht daran hindern. Ich hau jedenfalls ab.

Sie: Das kannst du nicht machen! Wie sieht das denn aus? Was soll deine Mutter denken?

Es: Das Drehbuch verlangt an dieser Stelle nach einem Es, sächlich, Neutrum. Wer könnte diese Kriterien besser erfüllen als ich, ein Haus? Na ja, ob ich neutral bin, mögen Sie entscheiden.

Ich beherberge die beiden schon seit vielen Jahren.  Ich bin Menschenwerk und doch werde ich noch da sein, wenn sie längst unter der Erde liegen. Szenen einer Ehe wie diese erlebe ich täglich. Das war schon bei den Vorgängern so. Meist gehen sie glimpflich aus. Sie wollen sicher wissen, wie dieser Abend endete.

Wenn Männer keine Gewalt anwenden, sind Frauen klar im Vorteil, denn ihnen gehen nie die Worte aus. In diesem Fall hat sie auch noch die besseren Argumente. Was soll er schon ins Feld führen gegen den Besuch seiner Mutter, wenn nicht seine Bequemlichkeit? Er will seine Ruhe haben nach einem Arbeitstag. Das ist zwar verständlich. Genügt aber nicht.

So sitzt er diesmal schweigsam mit einem Flunsch beim Abendessen, was die beiden Frauen tunlichst ignorieren, ja sie gerade zu verbaler Hochform auflaufen lässt. Die alte Dame wird sich herzlich bei ihrer Schwiegertochter für den schönen Abend bedanken, die wiederum ihr Ziel erreicht hat. Das nächste Familientreffen wird erstmal auf sich warten lassen.

 

*

 

Es: Ich bin das Finale, auf das jeder Leser einen Anspruch hat.

Er und Sie sind unermüdliche Schauspieler auf der Bühne des Alltags.

Sie: Iiieh!! Guck mal! Auf der Terrasse liegt eine tote Maus!

Er: Wo? Zeig mal! (Er nähert sich mit einer Mischung aus Neugier und Ekel. Er weiß, er muss jetzt mannhaft stark sein wie sein Vater und das Tier beim Schwanz packen und entsorgen. Er schaut sich suchend um.)

Sie: Was machst du da? Wir müssen das arme Tier beerdigen. Hast du eine Schaufel? Ich pflücke inzwischen Blumen.

Er legt resigniert die Maus auf den Boden und holt seine Schaufel, die man als Fünfjähriger natürlich in petto hat.

Sie tänzelt summend zum Blumenbeet. Die kleine Maus soll die schönsten Sommerblumen bekommen, egal, was die Mama sagt. Die blutrote Geranie, die himmelblaue Glockenblume, die weiß-gelbe Margerite, die zartrosa Cosmea…

Die Rosen lässt sie stehen. Die pieksen zu sehr.