Von Miklos Muhi

»Hallo Irene! Wie geht es dir? Wieso kommst du nicht mehr zur Arbeit?«

 

Irene schrak auf. Vor ihr Stand Oskar mit rotem Gesicht, mit einer Regenjacke in der Hand und winkte ihr zu. Die Tatsache, dass sie ihm auf offener Straße begegnete, erschreckte sie. Er sollte im Knast sitzen.

 

Schweren Herzens hatte sie ihm damals das verhängnisvolle Geschenk überreicht. Zuerst hatte sie nicht geglaubt, dass man ihm eine Cannabis-Pflanze als Sternblume unterjubeln konnte, aber das gelang auf Anhieb. Oskars Naivität ließ etwas in ihr erwachen, was sie nicht unter Kontrolle hatte. Ihr fiel der Anruf ans Drogendezernat aus einer Telefonzelle schwer.

 

Sie hatte versagt. Sie konnte nichts dafür, denn sie hatte genau das gemacht, was von ihr verlangt wurde. Der Chef saß zwar gerade in der U-Haft, aber das änderte nichts an seiner Macht und seinem Einfluss.

 

»Hallo«, antwortete Irene. »Es tut mir leid.«

»Was tut dir leid? Was ist los?«, fragte Oskar.

»Du solltest aufpassen.«

»Tue ich. Bob, mein Schwamm, bleibt immer bei mir und ich gehe mit ihm während meiner Schicht nicht mehr in die Küche und …«

 

Ein schwarzer Transporter bog mit quietschenden Reifen und laut brüllendem Motor in die Straße ein. Anstatt an ihnen vorbeizufahren, bremste der Fahrer abrupt. Zwei Männer sprangen heraus. Irene lief los und die zwei rannten ihr hinterher.

 

*

 

Oskar verstand das Ganze nicht.

 

Die zwei hatten Irene schnell zu fassen bekommen und sie zerrten sie zurück zum Auto. Sie schrie. Die Männer bugsierten sie in den Laderaum. Währenddessen ging Oskar zur Hintertür des Transportes und winkte mit seiner Regenjacke in der Hand Irene zu.

»Tschüss Irene. Man sieht sich.«

»Eh, Bist du schwer vom Begriff? Verpiss dich endlich, du Arsch!«, brüllte ihn einer der Männer an, knallte die Hintertür zu und klemmte Oskars Regenjacke ein. Der Wagen fuhr los und nahm die Jacke mit.

 

Oskar war stinksauer. Die Jacke hatte er noch von seinem Vater geschenkt bekommen, kurz bevor dieser starb. Sie war ein Erinnerungsstück und ein unentbehrlicher Gebrauchsgegenstand. Er rannte eine Weile hinter dem Auto her, in der Hoffnung, dass der Fahrer die eingeklemmte Jacke bemerken würde.

 

Zu Hause dachte er nach, was er machen sollte. Sein Vater hatte ihm immer wieder erzählt, dass, wenn jemand etwas Schlimmes anstellte, würde die Polizei kommen und ihn festnehmen. Oskar hatte keine Ahnung, wo sich die Polizei befand. Nach kurzem Nachdenken holte er eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche. Die hatte er von einem Polizisten bekommen, die ihn mit mehreren anderen besucht und sein Zimmer auf den Kopf gestellt hatte. Ein freundlicher Hund war auch dabei.

 

Oskar griff zu seinem altmodischen Handy und rief die Nummer auf der Visitenkarte an.

 

*

 

Als das Telefon bei der Rechtsabteilung der Polizei München II klingelte, ging Erik Fischer, der diensthabende Jurist, ran.

»Fischer.«

»Hier spricht Oskar Bender. Meine Jacke wurde mir weggenommen.«

»Herr Bender, Sie sind hier bei der Rechtsabteilung. Wir gehören zwar zur Polizei, aber Sie können bei uns keine Anzeige erstatten.«

»Aber ich habe diese Nummer von einem Polizisten bekommen, der bei mir in der Wohnung war und wegen irgendeines Papiers sich entschuldigte und ging.«

»Hören Sie, Herr Bender …«, sagte Erik und verstummte plötzlich. Der Name kam ihm bekannt vor. Eriks Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Vor Kurzem war Polizeimeister Lorenz in seinem Büro und berichtete von einer Hausdurchsuchung. Man fand eine Cannabis-Pflanze und eine gültige Genehmigung für den Anbau. Lorenz erzählte ebenfalls, dass man die  Wohnungstür aufbrechen musste und Schadensersatzforderungen zu erwarten wären.

 

Der Name des Anrufers fiel vor einigen Tagen auch während eines Gesprächs mit der Abteilung Bandenkriminalität. Es ging um einen potenziellen und unterbelichteten Kronzeugen.

»Sind Sie noch da?«, fragte der Anrufer.

»Herr Bender, ich stelle Sie zu den zuständigen Kollegen durch. Bitte bleiben Sie dran.«

 

*

 

Oskar verstand nicht, warum man mehr über das Auto, die Männer und Irene wissen wollte. Er gab widerwillig die geforderten Auskünfte, verlor aber den ursprünglichen Grund seines Anrufs nicht aus den Augen.

 

Als er endlich damit rausrücken konnte, dass seine Jacke von der Hintertür des Wagens eingeklemmt worden war, fragte man nach deren Beschreibung.

 

Man forderte ihn auf, bis auf Weiteres zu Hause zu bleiben und auf den Besuch der Beamten zu warten. Das ging in Ordnung, denn er hatte zwei Tage frei.

 

*

 

»Oleg, ich muss pinkeln!«

»Wir müssen die Schlampe abliefern, sonst gibt es Ärger.«

»Dann mache ich es im Wagen«, murmelte Mustafa.

»Nein, das machst du nicht, sonst murkse ich dich echt ab!«, schrie Oleg, setzte aber den Blinker bei der nächsten Ausfahrt zu einem Parkplatz.

»Danke, Alter«, sagte Mustafa. »Eh, warum ist die Autobahn plötzlich so leer?«

»Interessiert mich nicht«, murmelte Oleg. »Beeil dich.«

 

Mustafa stieg aus und ging ins dichte Waldstück neben dem Rastplatz. Oleg versank in Erinnerungen über Borschtsch, Wodka und Blenis.

 

Lautes Schreien und Autolärm brachten ihn ins Hier und Jetzt zurück. Er griff nach seiner Waffe, als die Scheibe zu seiner Linken zerbrach und der Lauf einer Maschinenpistole bei seiner Schläfe zum Stehen kam.

»Polizei! Hände hoch, aber ein bisschen plötzlich!«

Als Oleg sah, dass es am Rastplatz plötzlich von Polizisten nur so wimmelte und dass Mustafa in Handschellen und mit heruntergelassenen Hosen zu einem Polizeiwagen geschleppt wurde, hob er seine Hände.

»Raus aus dem Wagen! Los!«

Sobald er draußen war, wurde er gefesselt, durchsucht und zu einem Polizeiauto hinter dem Transporter gebracht. In der Hintertür sah er ein grün-gelbes Etwas eingeklemmt. Bevor Oleg gezwungenermaßen in den Wagen stieg, hörte er, wie der Einsatzleiter in sein Funkgerät sprach:

»Wir sind hier fertig. In zehn Minuten könnt ihr die Autobahn freigeben.«

 

Zwei Beamtinnen holten die Frau, die Oleg und Mustafa bei den Knochenbrechern abliefern sollten, aus dem Laderaum.

 

*

 

Oskar musste nicht lange warten. Die Beamten kamen bald und forderten ihn auf, alles zusammenzupacken. Dann wurde er in eine andere Wohnung gebracht, wo er einige Zeit mit drei weiteren Polizisten zusammenwohnte. Man sagte ihm, dass er nicht mehr zur Arbeit dürfte. Er verstand nicht warum.

 

Bald kamen einige Menschen vom Gericht. Sie haben eine Kamera aufgebaut und Oskar musste alles erzählen, was er wusste. Ihm wurden viele Fragen gestellt. Alle waren sehr nett.

 

Nach der Befragung kamen wieder andere Polizisten und erklärtem ihm, dass er bei einem Spiel, das als irgendein Programm bezeichnet wurde, mitmachen musste. Teil des Spiels war es, dass er ab sofort ein Belgier war und Otto Bäcker hieß.

 

Irene wurde zu Ilona Saanen. Oskar war froh, als er erfuhr, dass die Spielregeln auch besagten, dass Irene und er verheiratet waren.

 

*

 

Otto mochte seine Arbeit. Gut bezahlt wurde er dafür nicht, aber Miete für seine Wohnung müsste er nicht zahlen. Zusammen mit seiner Frau, Ilona, arbeitete er im Reinigungstrupp eines großen Hotels in Eupen.

 

Ilona passte sehr genau auf, dass alle Regeln des Spiels eingehalten wurden.

 

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