Von Pia Kulla

Ich habe Angst, dass das mein schlechtestes Jahr wird. Es wäre nicht das erste Mal, aber dieses hier fühlt sich wirklich noch viel schlechter an. Wie andauerndes Kämpfen, obwohl ich das doch sein lassen wollte, wie Selbstsabotage, wie ein ununterbrochenes – was mache ich hier eigentlich-. Ich fühle mich falsch aber ich weiß auch nicht, ob ich irgendwo richtig bin. Es ist, als müsste jemand in meine Dachgeschoßwohnung stürmen und mich von meinem sicheren Bett mit den dunkelgrünen Laken ziehen. Jemand, der mich hochwirbelt und sagt: „Pack deine Sachen, wir fahren an‘s Meer.“ Aber irgendwann ginge es dann ja auch wieder zurück, zurück in dieses Leben, das sich nicht mehr anfühlt wie meines. Das unter meiner Haut brennt und sich wie einschnürende Schlingen um mich legt. Es erinnert mich mit jedem Atemzug daran, dass seine Hände an Stellen lagen, die nicht ihm gehörten.

Ich weiß, dass ich zu viel Zeit habe um nachzudenken und an einem schlechten Tag viel nachzudenken ist nicht gut.  Genauso wie zu lange auf den kleinen Display des Smartphones zu starren, was neben kaputten Augen irgendwann zu deformierten Handknochen führen wird. Es ist auch nicht hilfreich, mich in die kuschelige Decke aus Polyester einzuwickeln und in eine Serie zu versinken, nicht einmal, wenn neben mir eine gute Tasse Tee vor sich hin dampft. Die eigenen Gefühle mit denen von überzeugenden Schauspielern zu überspülen, funktioniert nur, wenn man hauptberuflicher Serientester ist und das bin ich nicht. Ich sehe den Mücken zu, die sich vor meinem Fenster zu dichten Schwärmen sammeln und suche nach Selbstliebe, wo es gerade keine gibt. Mein Leben ist wie ein Buch lesen, obwohl nichts von dem was die Augen sehen in meinem Kopf ankommt. Die Gebrauchsanleitung für den Umgang mit sich selbst nicht mehr finden oder niemals besessen zu haben. Mit der Lupe auf die Suche nach winzigen Fetzen von Lebensfreude gehen und keine finden, weil ich mich in unzähligen Fallstricken verloren habe. Draußen bedecken schwere Wolken den tiefblauen Himmel wie eine wütende Armee luftiger Krieger, während ich nicht weiß, ob ich jemals wieder ganz werde. Es sieht nach einem Gewitter aus.

Ich beschließe einer Freundin zu schreiben, deren Verständnis ich hoffentlich noch nicht aufgebraucht habe. Im Nachrichtenfenster der Spruch von gestern, den ich ihr schickte, um mich selbst aufzumuntern. Wenn du denkst, dass alles auseinanderfällt, bleib ruhig. Es sortiert sich nur neu. Was ich mir da versucht habe einzureden? Ich weiß es nicht. Besser ich schreibe ihr nicht, sie soll sich mein gestriges Ich bewahren. 

Die Baumwipfel peitschen im Wind gegen die aufgeheizte Sommerluft und mir fehlen alle Worte, um zu sagen was nicht stimmt. Aus meiner Kehle kommt kein Ton. Ich bin ein tonloses Netz aus Gedanken und einem drückenden Schmerz auf der Brust. Hinter der Fensterscheibe sieht die Welt aus, als würde sie untergehen und ich spüre wie sich festgewebter Zwirn, aus innersten Wunden gewachsen, erdrückend um mich legt. Ich kann ihn immer noch riechen. Den faulen Geruch, der tief aus seinem Hals strömte, als er all das tat, was niemals hätte passieren dürfen. Ich bin ein Opfer. Ausgeliefert. Wehrlos. Ich bin stumm. In immer dichteren Bahnen wickeln sich die Fäden um meine Beine, pressen die Arme an meine Seiten, solange, bis ich nicht mehr atmen kann. Prasselnd peitscht der Sturm den Regen an mein Fenster, der Himmel fast schwarz. Wie Gift wabert Vergangenes durch meine Blutbahnen, als bestünde ich nur aus Erinnerungsfetzen und einem Körper, der unter Schmerzen bebt.

Doch das tut es nicht, ich zwicke mich. Das tut es nicht, sage ich mir zaghaft. Ich bin das nicht, sage ich dann allzu laut. Es ist vorbei, beteuere ich und es ist, verflucht noch eins, immer das, worauf man sich konzentriert. Ich blinzle, denn irgendwas wärmt mein Bein. Ein Sonnenstrahl bricht durch die dichte Wolkenwand, so hell und klar, als sei nichts gewesen. Ich strecke mich, recke mich, schlage feine Risse in die Hülle, reiße große Löcher in das feste Gewebe. Ich trete, ich tobe, ich wüte und wehre mich solange, bis alles in Fetzen vor mir liegt. Erst dann werde ich still. Ich stehe auf, öffne das Fenster weit und lasse das Licht hinein. Ganz so, als sei nichts gewesen. Es ist schließlich mein Leben. Ich greife mein Handy und schreibe der Freundin: Ich denke man sollte Einkaufsnetze häkeln, sich mit Anderen vernetzen, man sollte Orangen in grellen Netzen kaufen und ab und zu einen Fisch darin fangen, aber man sollte nicht selbst in einem leben. Das sollte man nicht! 

 

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