Von Monika Heil

Nein, eine Scheidung kam nicht infrage. Viel zu teuer. Ludmilla hatte ihn in den fünf Jahren ihrer Ehe genug gekostet. Leider wurde kein Ehevertrag geschlossen, damals, als die Liebe noch präsent war. Oder zumindest die Dankbarkeit.

 

Herbert Ott stand unschlüssig am Fenster seines Arbeitszimmers. Seine Gedanken drehten sich ständig im Kreis. Die Geschehnisse der Vergangenheit konnte er nicht ändern. Er musste endlich zur Ruhe kommen. Spontan beschloss er, am Wochenende mit dem Boot hinauszufahren. Allein. Seine Frau hatte sich mit einer Freundin für ein Schönheitswochenende verabredet. Das passte. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch, wo schlechte Bilanzen und miese Umsatzzahlen auf ihn warteten. Am liebsten würde er einfach abhauen. Die stille Reserve aus der Schweiz holen, das Boot aufrüsten und nichts wie weg. Wenn das so einfach wäre.

 

Zeitgleich saß Ludmilla Ott in ihrem elegant eingerichteten Salon und telefonierte mit Freddy Steinmeier.

„Ich habe ihm gesagt, ich sei mit Pia unterwegs. Dass die gerade in Ägypten ist, weiß mein lieber Mann nicht. Ich nehme den Porsche und hole dich, wie immer, am Industrieparkplatz ab. Ich freu´ mich.“ Sie legte auf und lächelte. So war das Leben zu ertragen. Ab und zu musste sie raus aus der Enge ihrer Ehe. Wann kratzt er endlich ab?, fragte sie sich nicht zum ersten Mal und wusste, dass sie undankbar war. Doch sie konnte ihre negativen Gedanken nicht ablegen.

 

Als sie vor sechs Jahren seine private Krankenpflegerin wurde, war Herbert Ott ein gebrechlicher und sterbenskranker Mann. Ludmilla hatte ein paar Semester Medizin studiert, Praktika in einem Warschauer Krankenhaus absolviert und erkannt, dass sie keine befriedigende Anstellung in Polen finden würde. So hatte sie sich bei einer Agentur für Auslandsaufenthalte gemeldet. Es schien ihr wie ein Geschenk des Himmels, als sich der Unternehmer für ihre Offerte interessierte. Nach kurzem Kontakt via Internet war sie nach Deutschland gekommen. Ludmilla hatte sich alle Mühe gegeben, seine Erwartungen zu erfüllen. Offenbar habe ich ihn doch zu gut gepflegt, überlegte sie und lachte freudlos. Ihr zuerst nur dienstliches Verhältnis  hatte nach etwas über einem Jahr in eine anfangs durchaus harmonische Ehe geführt. Inzwischen hatten sich ihre Gefühle stark abgenutzt und sie ahnte, Herbert ging es nicht anders. Außerdem gab es seit einem halben Jahr Freddy Steinmeier. Eine Internet-Bekanntschaft.

 

Als Ludmilla gleich nach dem Frühstück startete, verlief ihr Abschied sachlich knapp. Herbert packte in seinen SUV, was er für ein Wochenende brauchte – ein bisschen Wäsche, Lebensmittel, Wein und sein Angelzeug.  Er liebte den See, das kleine Strandhaus und das Boot. Trotz seines Alters war er noch, oder besser gesagt wieder, fit genug, mit diesem allein hinausfahren zu können. Vor fünf Jahren hatte ihm sein Arzt eine Lebensdauer von ein bis zwei Jahren prognostiziert. Und letzte Woche hatte Dr. Braun erklärt, in seiner jetzigen Verfassung könne er hundert werden. Unglaublich! Herbert machte sich keine Illusionen. Bei ihrer Eheschließung wäre keiner von beiden auf die Idee gekommen, dass er dem Tod ein Schnippchen schlagen und sie nicht alsbald zur Witwe machen würde. Damals hatte er Ludmilla aus reiner Dankbarkeit wirklich ein bisschen geliebt.

 

Müßig ließ er sich mit seinem Boot treiben. Seine ausgeworfenen Angelruten lenkten ihn nicht ab. Im Gegenteil. Da die Fische nicht anbissen, hatte er Zeit, Pläne zu schmieden. Finstere Pläne. Der alte Mertens tuckerte vorbei. Sie grüßten sich mit Handzeichen.

„Beißen sie?“

„Noch nicht. Und selbst? Gute Beute gemacht?“

„Nicht der Rede wert.“

Sie waren gleich alt, kannten sich seit Kindertagen, waren zusammen zur Schule gegangen. Trotz unterschiedlicher Biografien hatten sie ihre Freundschaft bewahrt. Einer konnte sich bedingungslos auf den anderen verlassen.

 

Mertens war der letzte Fischer am See. Es lohnte nicht mehr. Ott war Geldfischer an der Börse. Lohnte auch nicht mehr. Mertens zog sein Schleppnetz durch den heimischen See, Ott schickte Zahlen durch das weltweite Datennetz. Beide hatten keine Lust mehr und machten doch immer weiter.

 

Am Abend trafen sie sich auf der Bank am grünen Schilfrand, wo ihnen nur der Kuckuck und ein paar Spatzen zuhören konnten. Das Bier wurde warm zwischen ihren Händen. Sparsame Dialoge unterbrachen die Stille. Diese Atmosphäre liebten beide.

„Ich brauche ein altes Schleppnetz. Kann schadhaft sein. Hast du so was?“

„Wozu?“

„Frag nicht.“

Schweigen.

„Ich brauche eine neue Haushälterin. Kannst du mal deinen Computer fragen?“

„Was ist mit Grete?“

„Frag nicht.“

Schweigen.

„Wie groß muss es sein?“

„Muss um die sechzig Kilo aushalten.“

„Kannst du haben.“

„Ich besorge dir eine Haushälterin. Wie alt?“

„Nicht zu jung. Die jungen Dinger machen nur Ärger.“

„Wem sagst du das?“

Schweigen.

„Was macht deine Frau?“

Schulterzucken. Schweigen.

„Wann brauchst du das Netz?“

„Bald.“

„Kommst du allein damit klar?“

„Kannst du mir helfen?“

„Sicher doch.“

„Hast sie von Anfang an nicht leiden mögen, oder?“

Schulterzucken. Schweigen.

 

Sechs Wochen später.

Die Notiz in der örtlichen Tageszeitung war knapp und sachlich.

Tragischer Unfall am See. Fischer zog Frauenleiche an Land. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Nähere Einzelheiten waren bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

 

Alles hatte lächerlich einfach geklappt.

Ihr Hochzeitstag bot einen guten Anlass, gemeinsam mit dem Boot hinaus zu fahren. Sie hatte für das Picknick gesorgt, er für die Getränke. Das leichte Schlafmittel, das er in ihren Wein gemischt hatte, begann gerade zu wirken, als schlechtes Wetter aufzog. Fürsorglich half er seiner Frau, ihren leuchtend gelben Friesennerz anzuziehen. Dass dies ein Zeichen war, wussten nur Herbert und der alte Mertens, der jenseits des Schilfrandes über die Ungerechtigkeiten der Welt nachdachte. Eine Viertelstunde später tuckerten sie gemeinsam zurück.

„Das vergesse ich dir nie, mein Freund.“

„Schon gut.“

Schweigen.

„Mein Boot macht´s auch nicht mehr lange.“

„Kannst meines haben.“

„Wie das?“

„Ich brauch´s nicht mehr. Gehe in die Schweiz, wenn das hier alles vorbei ist.“

„Verstehe.“

„Muss halt erst freigegeben werden.“

„Klar doch. Danke“

„Schon gut.“

 

Als am nächsten Tag zwei Polizisten klingelten, fanden sie einen höchst beunruhigten Hausherrn vor.

„Fischer Mertens hat eine Tote im See gefunden und als Ihre Ehefrau identifiziert“, informierten sie ihn. Erschüttert zeigte Herbert den Beamten die letzte SMS seiner Frau, die er, wie er mit brechender Stimme erklärte, gerade erst gelesen hatte.

„Wo hätte ich nach ihr suchen sollen?“, fragte er verzweifelt. Die Polizisten stellten Routinefragen. Sein Alibi war dürftig. Er war am Abend zuvor allein in seinem Jagdrevier unterwegs gewesen und erst spät in der Nacht nach Hause gekommen. In seinem Arbeitszimmer hatte er den Computer eingeschaltet vorgefunden und darauf die kurze Nachricht: „Ich komme nicht heim Liebling, gute Nacht.“ Da hätte er sich noch nichts weiter gedacht. „Mein Handy hatte ich im Auto vergessen. Heute Morgen bin ich spät aufgestanden und deshalb habe ich diese Nachricht erst vorhin gelesen.“ Er zeigte auf die SMS „Tut mir leid Liebling. Ich kann nicht mehr, leb´ wohl.“ Noch während er über die Bedeutung dieser kurzen Botschaft nachgedacht habe und gerade, als er überlegte, was er unternehmen könnte, seien sie, die Herren von der Polizei bei ihm erschienen. Die Beamten baten Herbert Ott, sie zur Dienststelle zu begleiten. Sie erwähnten, man habe ein Boot mit diversen Gegenständen gefunden, die noch auf Fingerabdrücke untersucht würden, um Fremdverschulden auszuschließen. Herbert wusste, sie würden keine finden. Und so war es auch.

 

Die Boulevardpresse schmückte das Geschehen später aus.

Fischer M. steht heute noch unter Schock. In seinem Schleppnetz verfing sich die Leiche von Ludmilla O., der Frau seines besten Freundes. Die Verstorbene – vierzig Jahre jünger als ihr Ehemann – war mit leuchtend gelbem Ölzeug bekleidet. Offenbar hatte sie die Tasche mit schweren Steinen gefüllt und kurz vor ihrem traurigen Ende größere Mengen eines alkoholischen Getränkes zu sich genommen. Ein grausamer, einsamer Tod. Die Polizei fand ein Boot, in dem einige Steine lagen, zwei leere Weinflaschen sowie das Handy der Toten, mit dem sie ihre letzte traurige Nachricht an ihren Ehemann abgesetzt hatte.

Die Polizei hat ihre Ermittlungen abgeschlossen.

 

Sechs Wochen später.

„So, das war´s, mein Freund. Morgen fahre ich.“

„Schade. Trotzdem, gute Reise.“

„Komm mich doch mal besuchen.“

„In der Schweiz? Nee, zu viele Berge.“

„Hier, die Schenkungsurkunde für mein großes Boot. Das kleine wolltest du ja nicht.“

„Nee, zu viele Erinnerungen.“

„Hast Recht, mein Freund. Pass auf dich auf.“

„Du auch. Danke.“

„Was hast du jetzt vor?“

„Mache das Boot klar. Gehe auch auf Reisen. Finnland, Norwegen, Schweden.“

„Als wenn´s da keine Berge gäbe.“

„Stimmt auch wieder.“

 

V 2