Von Bernd Kleber

Er steht hinter ihr, seine Hände betasten ihre Brust. Sie stöhnt und verdreht die Augen. Sie entwindet sich.

„Bitte, jetzt nicht“, haucht sie, „Hör auf! Lass uns noch etwas schlafen.“

„Okay, mein Liebling“, flüstert er. Sie legen sich nieder. Er schmiegt sich an sie. Sie atmen bald schwer und gleichmäßig, nicken ein.

 

 

Am Morgen wird sie von Gesang wach. Er ist im Bad, die Tür angelehnt, das Rauschen von Wasser versucht, die Töne zu kaschieren, die in ihren Ohren wie Bälle chaotisch hin und her springen. Der Hall der Dusche versucht das Verbergen der Misstöne zu unterstützen.

Sie setzt sich auf, greift nach dem Handy vom Nachttisch. 27 verpasste Anrufe. 12 WhatsApp. Jemand hat die ganze Nacht den Mobilfunk strapaziert. Ihr Herzschlag steigt merklich. Schnell öffnet sie den Screen und schließt ihn sofort wieder. Ihre Finger kneten die warmen Lippen des Mundes. Die Fernbedienung zum riesigen Flach-TV liegt schwer in ihrer Hand, die auf und ab federt. Das Fernsehbild erscheint nach Drücken der Taste sofort. Dort kocht eine breit lächelnde Frau, deren Stirn vom Brodem feucht glänzt. Sie palavert, als müsse sie dem Steuerfahnder erklären, dass alle Speisen pure Geschenke seien. Kiara grinst und schüttelt den Kopf. Das Bett knarrt bei ihrer Bewegung, leise aber zustimmend. Der Gesang aus dem Bad erhebt sich zur Kakophonie.

 

*

 

´Was für eine Nacht? ´, denkt er und schmeckt die Überbleibsel des Rotweines auf seiner Zunge, während er sich aufsetzt. Seine Morgenerektion ist so stabil, dass er breit grinst. Er sieht zu ihr hinüber und überlegt, ob er sich noch einmal dicht an sie kuscheln sollte. Aber nach dem Kopfsenken wird ihm schwindelig. Sein Magen scheint den Job zum Kettenkarussell gewechselt zu haben. Er beschließt, das Bad zu benutzen, und lächelt. Die Fliesen flimmern von Metallsplittern, Glitter-Effekt.

´Könnte man ja Zuhause auch das Bad veredeln … ´, denkt er, und schrubbt mit der Zahnbürste über seine Zähne. Seine Frau wird schon warten. „Marathonkonferenz!“, hat er gesagt, „Ende offen bis zur Ergebnisfindung. Das wird die gesamte Nacht dauern!“.

Aber nun erwägt er, dass dies hier sein ganzes restliches Leben anhalten sollte. Er ist nicht bereit, seine Kollegin wieder herzugeben. Was, wenn Sie einen Mann kennenlernt und selbst eine Familie gründen will. Sie ist jung, gefällt sicher nicht nur ihm, sie wird eines Tages Kinder wollen. Nein, Kiara soll seine Frau sein, nicht die Alte zuhause. Er ist sich klar, dass dies sein letzter Frühling sein würde. Keine drei Jahre mehr und er nullt das sechste Mal. Mit diesen Gedanken schlendert er, nicht gründlich abgetrocknet, ins Zimmer retour. Sie sitzt wie eine Morgenelfe auf dem Bett und starrt in den Fernseher, wo eine Vettel am Kochen und Plappern ist. Er beugt sich vor und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. Ist sie kalt? Zog sie eben ihren Kopf leicht zurück? Nein, das bildet er sich ein, sinniert er.

 

Sie erhebt sich und federt auf Zehenspitzen dorthin, wo er gerade seine Marke hinterlassen hat. Mit Schwung rollt er über das Doppelbett und greift nach seinem Slip, zieht ihn an. Das Display seines Handys leuchtet auf und flackert. Ein Anruf. Schnell sieht er auf die Zeitanzeige. Neun Uhr dreißig, bloß jetzt keine Laber-Telefonate vor dem Frühstück. Das Flackern des Displays verschwindet. Er greift das Gerät und betätigt geschickt mit dem Daumen das Touchdisplay. Der Bildschirm zeigt 29 Anrufe, 17 WhatsApp, 23 Threema-Nachrichten. ´Spinnen die, wer dreht denn da durch? Meine Alte? ´, fragt er sich. Mit der zweiten Hand öffnet er schnell die Details zu den verpassten Mitteilungen. Die meisten Messages kamen von seiner Ehefrau. Einige von seinen Kollegen aus der Zweigstelle. ´Mist! Nein! Man muss Prioritäten setzen, wir gehen erst frühstücken. ´, das Stalken seiner Alten würde er sich verbitten, die Mitarbeiter sollen merken, dass er nicht Langeweile schiebt. Er legt das Handy weg, es blinkt erneut. Er flucht leise und schlendert ins Bad.

 

 

Sie sieht im Spiegel ein übermüdetes Gesicht. Ringe unter den Augen. Die Zunge liegt pelzig-bitter im Mund. Sie hört seine Schritte und wünscht ihn auf den Mars. ´Kann der nicht einfach mal für sich selbst sein, sich beschäftigen? Das hat ja jetzt was Klettenhaftes. ´ Sie begehrte nur die eine Nacht mit ihrem Chef. Alle Frauen der Abteilung schwärmten für ihn, sie wollte die Trophäe erjagen. Es war so leicht!

An ihm war nichts außergewöhnlich. Eher das Gegenteil. Er hatte gequiekt wie ein Meerschwein. Das würde sie nie vergessen. Seine Umgangsformen haben ihr alles verübelt. ´Jetzt grabscht er wieder meine Brüste! ´, geht es ihr durch den Kopf, und entwindet sich mit angespanntem Bauch.

„Lass mich rasch duschen, dann gehen wir runter frühstücken!“

 

 

Am Frühstückstisch sieht er ihr fest in die Augen und surrt, wie ihr Epilierer, wenn der keine Härchen mehr greift. ´Widerlich! ´, findet sie.

„Kiara, ich hätte nie gedacht, dass ich das jetzt sage, was ich gleich ausspreche.“

´Bloß nicht! Spinnt der? Der wird doch nicht durchdrehen? Was habe ich angerichtet? Wie komme ich aus der Situation heil raus? ´, grübelt sie.

„Liebling, ich …“

´Was? Liebling? Jetzt aber Plan B und raus hier! ´

„… möchte gern mehr Zeit mit dir verbringen. Ich werde mich scheiden lassen und dich glücklich machen.“

Sie starrt ihn an und schiebt hastig eine zu große Tomate zwischen ihre Zähne.

Beide schweigen. Sie kämpft mit angespannten Lippen gegen die rote Kugel in ihrem Mund. Er ergreift ihre Hand auf dem Tisch.

 

Der Kellner kommt grinsend wie ein Zombie an den Platz geschlurft. Bleibt kurz stehen und fragt, ob die Herrschaften noch etwas wollen.

Sie schüttelt den Kopf. Er bittet darum, den Fernseher anzuschalten. Eifrig mit kleinen schnellen Schritten bewegt sich der Ober zum TV und bedient die Fernbedienung.

 

„Nachrichtenkanal?“, fragt er rufend.

„Ja, bitte!“, insistiert er.

 

Die Blaulichter der Einsatzfahrzeuge im TV lassen den Frühstücksraum flackern wie zu einer Discoveranstaltung. Eine Reporterin schildert etwas mit besorgt hektischem Gesicht. Er schaut auf den Bildschirm, sein Mund öffnet sich langsam.

 

„Bedienung, stellen Sie den Ton laut, sofort!“

 

„… man muss davon ausgehen, dass niemand in dem Hochhaus überlebt hat. Es brach mit unglaublichem Getöse um einundzwanzig Uhr vierzehn zusammen. Überall Trümmer und Flammen. Man geht nach aktuellen Erkenntnissen von einem Terroranschlag aus. Wieder beherrscht die Welt ein Thema: Angst und Schrecken! Damit gebe ich bis zu aktuellen Neuigkeiten zurück ins Funkhaus!“.

 

Als der Nachrichtensprecher ansetzt, weitere Fakten zu enthüllen, sprudelt es aus ihm:

 

„Kiara, hast du das gehört und gesehen? Unser Headquarter… Darum auch die scheißvielen Anrufe. … Keine Überlebenden! Du weißt, was das heißt. Man wird annehmen, wir waren ebenfalls im Haus. Wir sind frei. Wir können ein neues Leben beginnen und uns neue Namen ausdenken. Wir sind amtlich tot. Meine Alte kann mich mal. Ich heirate dich und wir werden glücklich bis ans Lebensende. Nur du bist mein Leben und sollst mein Leben immer sein.“

 

Sie springt auf.

 

„Spinnst du? Wie stellst du dir das vor? Willst du, dass man uns für tot erklärt?“

Sie glaubt nicht, was er da von sich gibt. Und setzt sich, greift mit der Hand an ihre Stirn.

 

Beide schauen wieder auf den Bildschirm. In der Nacht hat es einen Terroranschlag gegeben, auf das höchste Gebäude der Stadt. Das Haus in dem ihre gemeinsame Arbeitsstätte liegt. Dort wo sie sich angeblich zur Marathonsitzung aufgehalten haben.

In diesem Moment wirft er den Säusel-Modus an, klingt wie ein ganzer Bienenstock:

„Kiara, bitte, hör mir doch zu. Ich liebe nur dich, das war mir bei unserer ersten Begegnung klar. Ich mache dir Kinder und dich glücklich. Wirf das Schöne, was wir haben, bitte nicht weg!“

 

Er kniet sich vor den Frühstückstisch und faltet seine Hände: „Bitte werde meine Frau!“

 

Sie zieht eine Seite der Oberlippe hoch und blickt auf ihn hinab. ´ Da kauert dieser Mann in seiner Midlifecrisis bis zur Hüfte im Schlamm. ´

 

„Es kommt ja überhaupt nicht in Frage, dass ich mich deinem Netz an Lügen und Betrügen noch anschließe. Du bist Gefangener deiner selbst und armselig. Und weil wir gerade bei Unwahrheiten sind: Denkst du, ich stürze allein und hilfsbedürftig durchs Leben? Willkommen im 21. Jahrhundert. Ich bin ebenfalls verheiratet. Nur, dass mir durch die Begegnung mit dir klar wurde, was für ein Goldstück ich Daheim habe und zurück in seine Arme eilen werde. Du, sieh mal zu, wie du deiner Frau erklärst, wo du letzte Nacht überlebt hast. Das war´s … sorry! Aber ich gehe jetzt!“

 

Er sieht ihr kniend nach. Gewahrt, wie ihr Hinterteil hin und her wippt. Die Absätze erzeugen ein energisches Hämmern auf dem Marmor-Boden und werden leiser. Sein Handy klingelt.

„Darf ich Abräumen?“, fragt der Zombie.

 

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