Von Ingo Pietsch

„Jetzt leg doch mal dieses verdammte Ding weg!“ Lennard hatte wütend seine Stimme erhoben, was er eigentlich nie tat.

Hannah schaute von ihrem Smartphone auf und sah ihn von der Seite an. Das war jetzt schon das vierte Mal in drei Tagen, dass er aus seiner Haut fuhr. Sonst war er die Ruhe in Person.

Stress auf der Arbeit, ein geplatzter Immobilienkredit, seine Mutter hatte Lungenkrebs bekommen und jetzt hatten sie sich auch noch verfahren.

„Meinst du etwa, du bist der Einzige, der Probleme hat. Es geht hier immer nur um dich. Ich kann doch nichts dafür, dass wir mitten in der Pampa weder GPS noch irgendwas anderes empfangen können.“ Hannah hielt hier Handy höher, in Erwartung, doch ein Signal zu bekommen.

„Wer wollte denn unbedingt in den Harz fahren? Hier gibt es weit und breit keine Tankstelle.“ Lennard tippte wahllos auf dem Display des Radios herum.

„Du und dein blödes Elektroauto! Hättest ja einen Reservekanister einpacken können.“

Die geteerte Straße hatte sich inzwischen in einen platt gefahrenen Trampelpfad verwandelt. Eigentlich war es sehr idyllisch. Sie hörten die Vögel zwitschern durch die offenen Fenster und im Schatten der Bäume ließ es sich gut aushalten.

Die Klimaanlage hatte sich schon vor einer Viertelstunde ausgeschaltet, damit der Wagen noch ein paar Kilometer weiter fahren konnte.

Das Lenkrad knarrte, als Lennards Hände sich darum verkrampften. „Du kannst mir ja deine Powerbank geben, die du ständig mit dir rumschleppst, weil du Angst hast, von der Außenwelt abgeschnitten zu werden.“

Hannah klappte energisch ihr Handy zu: „Es reicht jetzt! Du hast mir doch überlassen, wo wir diesen Urlaub hinfahren wollten. Außerdem kannst du nicht mal den einfachsten Anweisungen eines Computers folgen!“ Mit den Worten schaltete sich das Hauptdisplay aus.

„Ich drehe jetzt bei der nächsten Gelegenheit und lasse uns den Berg runterrollen. Wir können ja nicht mal den ADAC anrufen!“ Lennard fuhr sich durch seine schweißnassen Haare.

„Weiß du was, das ist das erste Vernünftige, was du heute von dir gibst! Lass mich am besten raus und ich genieße meinen Wanderurlaub!“

„Es reicht jetzt Hannah! Such dir einen anderen, den du ausnutzen kannst! Oh, ne!“ Lennard trat so kräftig auf die Bremse, dass beide in die Gurte gerissen wurden.

„Du Vollidiot, willst du mich umbringen? Jetzt krieg ich auch noch einen Bluterguss am Hals!“ Hannah fasste sich unter das Kinn.

„Schade, dass es nicht geklappt hat. Ohne dich wäre die Welt wahrscheinlich besser dran!“

Plötzlich waren beide ruhig und starrten den Grund an, weswegen Lennard eine Vollbremsung hingelegt hatte.

Vor ihnen stand das wahrscheinlich älteste Paar der Welt.

Beide in lockerer Kleidung und für das Alter auf den ersten Blick ziemlich fit. wettergegerbte Haut und freundliche Gesichtszüge, so als hätten sie ihr ganzes Leben an der frischen Luft verbracht.

„Wo kommen die denn her?“, Hannah hatte ihr Handy weggelegt.

„Keine Ahnung. Moment.“ Lennard steckte seinen Kopf aus dem Fenster. „Können Sie uns sagen, ob es hier in der Nähe eine Tankstelle gibt.“

„Oh, sicher“, antwortete der Alte mit rauer, netter Stimme. „Einfach dem Weg folgen, es sind nur ein paar Minuten.“

Die Alte war an Hannahs Fenster herangetreten und diese wich ein Stück zurück, als würde die Frau ihr etwas Böses wollen.

„Lasst die Sonne nicht untergehen, ohne dass ihr euch vergeben habt.“ Die Frau tätschelte Hannahs Hand und ging zu ihrem Mann, der ihr seinen Arm um die Schulter legte.

„Gute Fahrt!“, wünschten die beiden und winkten dem E-Auto hinterher.

Lennard beschleunigte das Auto. „Boah, war das gruselig. Die kamen wie aus dem Nichts.“

„Und geben die uns auch noch Tipps fürs Leben. War das so ein Bibelspruch?“ Hannah drehte sich um, konnte das merkwürdige Paar aber nicht mehr sehen. „Vor solchen Leuten ist man echt nirgends sicher.“

„Ausnahmsweise hast du mal Recht“, meinte Lennard.

„Jetzt fang doch nicht schon wieder an. Reicht es nicht allmählich?“

Lennard wollte etwas erwidern, verkniff es sich aber. „Ist das da hinten ein Hitzflimmern? Naja, heiß genug ist es ja, aber wir sind mitten im Wald!“

„Keine Ahnung, ist mir auch egal, ich bin müde von alldem hier. Fahr einfach durch. Ist ja nicht mehr weit bis zur Tankstelle.“ Hannah fielen die Augen zu.

Lennard fuhr unbeirrt in das Flimmern hinein und als er es passiert hatte, ging der Wagen plötzlich aus.

Er tippte Hannah an. „Ich glaube, die Batterie ist komplett leer.“

„Dann roll doch einfach weiter.“ Hannah öffnete angestrengt die Augen. „Da vorne kann ich schon die Tankstelle sehen. Oh, mein Handy ist auch aus.“ Sie versuchte es neu zu starten, aber nichts passierte. „Merkwürdig.“

„Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das ist ja alles uralt.“

Der Wagen kam vor der Tanksäule zum Stehen.

Lennard wollte gerade aussteigen, als ein Servicemitarbeiter angerannt kam. „Die Herrschaften wünschen einmal Tanken?“, fragte der Tankwart überschwänglich.

„Ähm, haben Sie eine Elektro-Ladestation?“

„Wir haben nur Normal, Super und Diesel. Mit was fährt Ihr Auto denn?“

„Mit Strom?!“, hatte der Mann noch nie was von Elektroautos gehört?

„Das ist ein Volkswagen. Ich habe mal Bilder von einem neuen Modell in einer Zeitschrift gesehnen. Golf oder Polo oder so. Ist das so einer?“

„Nein, das ist ein ID4“, antwortete Lennard stolz.

„Ei die Vor? Das klingt so englisch, ich dachte es wäre in deutsches Auto.“ Der Tankwart war völlig verwirrt.

Lennard wurde langsam wütend: „Was glauben Sie, welches Jahr wir wohl haben?“

„Natürlich 1975! Welches denn sonst?“

 

Das alte Paar setzte sich auf einen Baumstamm.

„Ich hoffe, die beiden finden wieder zueinander“, meinte die Frau.

„Natürlich werden sie das. Was Besseres kann den beiden doch gar nicht passieren. Ich liebe dich, Hannah!“

„Ich liebe dich auch, Lennard!“ Die beiden lachten, küssten sich und gingen weiter spazieren …

 

V2