Von Christina Deisewerd

„Komm schon, komm schon, komm schon!“
Susan hielt das Lenkrad ihres Ford Explorers fest umklammert und starrte nervös die Nadel des Drehzahlmessers an. Immer wieder sackte diese ab, um dann ein bisschen nach oben zu wippen, bevor sie wieder abfiel. Der Motor ächzte, versagte stotternd und die Motorkontrollleuchte funkelte Susan rot blinkend an.

„Verdammt!“ Susan schlug mit den Fäusten auf das lederne Lenkrad ein. „Und das ausgerechnet hier!“
Ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus. Sie sah nichts als trostloses Gestein, abgesehen von den Joshua-Bäumen, die in dieser Einöde die einzigen farblichen Kontraste bildeten. 

„Was ist denn passiert?“, fragte Andrea gähnend, die auf dem Beifahrersitz eingenickt und nun durch Susans Gefühlsausbruch aufgeweckt worden war. Sie rieb sich verschlafen die Augen: „Sind wir immer noch nicht in Las Vegas angekommen?“

„Nein und das werden wir auch nicht. Der Wagen ist tot.“

„Wie tot?“

„Ja, so wie ich es sage. Futsch, finito, im Popo“, knurrte Susan. 

„Und nun?“ Andreas Augen weiteten sich entsetzt. „Wir sind hier in der Wüste!“
Ihr Herz klopfte hinauf bis zum Hals. Nervös wanderten ihre Blicke durch die öde Landschaft und dann wieder zu Susan. „Wir können doch nicht hierbleiben!“
Sie löste den Gurt, öffnete die Beifahrertür und trat in die Hitze hinaus, die mit geballter Kraft zuschlug. Unter ihren Füßen kochte der Asphalt und die Luft, die sie einatmete, war so heiß, dass ihr das Atmen schwerfiel. Stöhnend umrundete Andrea den Wagen, öffnete den Kofferraum und ließ fluchend die Heckklappe wieder zurückfallen.
„Wir haben noch zwei Flaschen Wasser! Und ich habe doch so einen tierischen Durst.“

Susan war ebenfalls ausgestiegen. Mit entgeisterter Mine starrte sie Andrea an, die sich eine der Flaschen griff und gerade trinken wollte. „Stopp! Wir sollten uns das Wasser einteilen. Wer weiß, wie lange wir hier festsitzen.“

Andrea hielt inne: „Was? Und was ist, wenn niemand vorbeifährt?“

„Wir sind auf dem Highway, der direkt nach Las Vegas führt, also wird hier wohl jemand vorbeifahren. Vielleicht nicht in den nächsten Minuten, aber garantiert werden wir nicht hier in dieser Wüste versauern.“

Andrea hielt ihre Hände schützend vor die Augen und schaute erst links, dann rechts die verlassene Straße entlang, die sich wie eine Schlange durch das karge Wüstengestein schlängelte. „Ich sehe nichts und niemanden.“

 

*** 

 

„Auf einem Highway, der direkt nach Sin-City führt, auf dem müssen doch Biker, Trucker und Autofahrer unterwegs sein?!“, dachte Susan, die sich mit der rechten Hand über die schweißnasse Stirn strich. 

Zusammengekauert saßen die beiden Freundinnen auf der Schattenseite des Wagens. Je weiter die Sonne wanderte, desto kleiner wurde der schattenspendende Bereich und bald würde das letzte Fleckchen Schatten verschwinden und sie wären der Sonne schutzlos ausgeliefert. 

„Komm mir vor wie ein Spiegelei“, nuschelte Andrea, die nach der Wasserflasche griff und einen Schluck trank. 

„Trink nicht zu gierig, bald haben wir nichts mehr!“, tadelte Susan, die auf die bereits geleerte Flasche deutete, die vor ihnen lag.

„Aber ich habe so einen Durst“, hechelte Andrea und setzte erneut an. “Mir ist schon ganz schwindelig.“

„Reiß dich zusammen. Ich schaff es doch auch“, antwortete Susan, die aber auch am liebsten die Flasche genommen und vollständig geleert hätte. Ihre Zunge klebte wie ein trockener Fetzen Leder am Gaumen und ihr Gehirn schien bald auf Grund zu laufen. Aber sie mussten noch durchhalten. „Es wird garantiert bald einer kommen.“ 

 

*** 


„Hast du nicht gesagt, dass wir auf dem Haupthighway nach Las Vegas sind?“, keuchte Andrea. Ihr Kopf dröhnte und ihr Körper schien trocken wie Dörrobst zu sein. Mit müden Bewegungen stand sie auf und trat auf die Straße. Da erhellte sich ihr Blick.

War da nicht etwas?

„Susan! Schau mal! Wolken, da sind Staubwolken! Jemand kommt!“ Voller Vorfreude streckte sie ihre Arme aus und winkte der Staubwolke zu, die immer näher kam. „Sieh mal! Ein Reiter auf einem schwarzen Hengst! Wie edel!“
Susan war aufgesprungen und stellte sich ebenfalls wild winkend neben ihrer Freundin. Aber wo sah Andrea einen Reiter auf seinem Pferd?
„Das ist kein normales Pferd, das ist ein Einhorn!“, jubelte Susan, die plötzlich neue Kraft in ihren Körper spüren konnte und freudig drauf losrannte. „Komm, lass uns zum Einhorn!“

Keuchend rannten die beiden Freundinnen die Straße hinauf. Der Hengst oder das Einhorn kam näher, doch da blieben Susan und Andrea auf einmal stehen. 

„Warte!“, rief Susan.

Andrea gehorchte.
Mit zusammen gekniffenen Augen erkannte sie, dass die Staubwolke sich legte und das Pferd wiehernd stehen blieb. Der Reiter sprang ab und kam auf sie zu gelaufen.
War das nicht?

„Boah, Susan! Das ist Jamie Dornan! Sieh mal wie in Shades of Grey! Wahnsinn, was für ein Körper!“

„Was redest du denn da?“ Susan schüttelte den Kopf. „Das ist Chris Hemsworth! Sieh doch mal diese blonden Haare und diese Muskeln!“

„Du hast doch einen Knick in der Optik!“, entgegnete Andrea. „Er kommt näher! Jamiiiee!“

„Nee, du!“, entgegnete Susan. „CHRIIISS!“

Jamie-Chris kam immer näher. Er winkte ihnen zu, und als er so nah war, dass Andrea und Susan klar und deutlich erkennen konnten, ob es sich nun tatsächlich um Jamie oder um Chris handelte, wollten sie es nicht wahrhaben.

Vor ihnen tauchte weder ein hammerwerfender Thor noch ein Peitsche schwingender Christian Grey auf, sondern ein Biker, der seinen Helm unter dem Arm trug und sie mit völlig verschwitzen Gesicht anlächelte. Anstatt eines Sixpackes glich sein Bauch eher einem kleinem 5 Liter Fass.
„Hallo! Braucht ihr Hilfe?“, fragte er freundlich.

Susan und Andrea starrten ihn verdattert an. 

„Wo ist Jamie denn hin? Und wo ist das Pferd?“, fragte Andrea ungläubig.

„Pferd? Meinst du etwa mein Motorrad? Und wer ist Jamie?“
Der Biker runzelte die Stirn.

„Ähm!“, brachte Susan hervor. Wo war denn ihr Einhorn und wo war Chris geblieben? 

„Habt ihr ein Problem mit eurem Auto?“ Der Biker trat auf dem Explorer zu, dabei registrierte er die leeren Wasserflaschen, die neben dem vorderen Reifen lagen. „Oje.“ Er drehte sich um, ging zu seinem Motorrad zurück, griff in den Beiwagen hinein und holte zwei Getränkeflaschen heraus. „Ihr solltet etwas trinken.“

„Vielen lieben Dank!“ Andrea setzte die Flasche an und trank in großen Schlucken den gesamten Inhalt leer. 

Susan tat ihr gleich. „Das tat gut. Und ja, mein Auto springt nicht mehr an. Ich habe keine Ahnung, wieso.“ Unwissend zuckte sie mit den Schultern. 

„Soll ich mal schauen?“

 

***

 

„Tut mir leid, aber ich kann euch auch nicht helfen“, entschuldigte sich der Biker, der seine Hände an einem alten Öllappen abwischte.

„Oh nein! Und wie kommen wir nun hier weg!?“, jaulte Andrea auf. „Wir sind verloren!“

„Auf dem Highway?“ Der Biker lächelte. „Ich glaube eher weniger. Wolltet ihr nach Las Vegas?“

Susan nickte.

„Ich könnte euch mitnehmen, wollte da auch hin. Den Wagen lassen wir abschleppen, sobald wir in der Stadt sind.“

Andrea zögerte. Mit einem fremden Mann, der überhaupt nicht wie Jamie aussah und dann auch nicht auf einem schwarzen Hengst angeritten kam, mit dem wollte sie eigentlich nicht fahren. „Wie soll das gehen? Wo sollen wir denn sitzen?“

„Ich habe doch den Beiwagen.“

Susan und Andrea tauschten unsichere Blicke, dann nickten sie zustimmend.

„Ach, ich sollte mich vielleicht auch mal vorstellen. Ich heiße Bard Pitt.“

„Bard Pitt?“ Susan lachte drauf los, dann entschuldigte sie sich, als sie das verdutzte Gesicht von Bard sah. „Tut mir leid, aber wir haben eigentlich mit Jamie Dornan auf einem schwarzen Hengst beziehungsweise mit Chris Hemsworth reitend auf einem Einhorn gerechnet und nicht mit dem nächsten Namensverwandten von Brad Pitt.“

Bard verstand zuerst nicht, aber da Susan und Andrea so herzhaft kicherten, gluckste er: „Anscheinend ist euch die Hitze ein wenig zu Kopf gestiegen. Soll ja vorkommen, wenn man in der Wüste strandet!“ 

„Hitze zu Kopf gestiegen?“, fragte Susan irritiert, doch da fiel der Groschen. „Andrea, das war eine Fata Morgana! Chris und Jamie waren gar nicht da gewesen!“

„Nein!“ Andrea blickte sie mit großen Augen an. „Das heißt, da war niemals Jamie Dornan?“

„Nein“, sagte Bard. „Nur ich Bard Pitt!“

„Na ja, immerhin ein Pitt“, lachte Andrea.

„Aber lasst uns lieber losfahren, bevor ich noch Angelina Jolie sehe!“, alberte Bard herum und deutete auf den Beiwagen. 

Susan und Andrea nahmen Platz und die Fahrt konnte losgehen.
„Auf geht’s nach Las Vegas!“, rief Susan. Die Arme jubelnd in die Höhe gestreckt fuhr sie fort. „Viva Las Vegas!“

Das Gespann verschwand in einer dichten Staubwolke und die Stadt der Sünden kam immer näher.

 

Version II