Von Steffen Fritz

Sie trat aus der kalten Dusche und trocknete sich ab.

Die Hitze war drückend in der kleinen Dachgeschosswohnung und die Luft stand feucht und dick. Laura spürte die alten, rauen Holzdielen unter ihren Füßen. Der dunkle Boden knarrte in der Stille dieses Sommertages, dessen Sonne die Menschen in ihre Wohnungen und Häuser zwang. Sie trat an das geöffnete Fenster unter der Dachschräge und trocknete die noch feuchten Haare.

Die Luft flimmerte über den heißen Dächern der großen Stadt, in der Ferne richteten sich Gewitterwolken auf. Hunderte Fenster mit geschlossenen Läden blickten in ihre Richtung. Auf der Straße fuhr eine Vespa zweitaktend an- und abschwellend vorbei. Irgendwo hupte es.

Sie ging zurück ins Badezimmer, vor dem Spiegel blieb sie stehen. Ihr Blick fiel neben sich. Im Haus gegenüber meinte sie, eine sachte Bewegung wahrgenommen zu haben. Wie ein schwacher Windhauch, der einen leichten Vorhang in kaum merkliche Bewegung versetzt; vielleicht gar nicht da war.

Laura blickte über ihre Schulter, bedeckte sich mit einem Handtuch und ging zur Dachschräge, blickte hinaus. Sie suchte im gegenüberliegenden Fenster nach jemandem, konnte aber niemanden sehen.

Wieder im Bad warf sie das Handtuch über einen Haken, blickte in den Spiegel. Sie kämmte vorsichtig Knoten aus ihren Haaren. Da war sie wieder, diese kleine, kurze Bewegung im Schatten, reflektiert.  Sie trat an das kleine Fenster. Jemand war da. Auf der Fensterbank des geöffneten Fensters gegenüber stand eine Topfpflanze, mit dicken, grünfetten Blättern. Im Zimmer war nichts zu erkennen, das Fenster verschluckte das Licht. Ein dunkles Loch in der Fassade. Hatte sie eben bläulichen Rauch gesehen, wie von einer Zigarette?

Laura blinzelte. Das helle, von weißen Wänden reflektierte Licht nahm ihr unangenehm die Sicht und sie trat wieder in den Schatten ihrer Wohnung. 

 

Sie hatte Durst und füllte sich in der Küchennische ein Glas mit kaltem Wasser aus dem Wasserhahn, trank es, während sie weiter das gegenüberliegende Fenster im Blick behielt. Nichts.

Ihr kleiner Esstisch, auf dem neben einer Kaffeetasse ein Murakami lag, stand schräg in einer Ecke. Laura schob ihn vor das Fenster, rückte den alten Stuhl nach, setzte sich, mit dem Blick hinaus. Sie streckte ihre Beine auf den Tisch, nahm das Buch in die Hand, begann zu lesen. 

 

„The man on the screen wears a dark brown business suit. The suit may well have been an impressive article of clothing in itsday…“

Ihr Blick wanderte über den Rand der Seite hinaus. Nichts zu sehen.

„…but now its clearly worn out.“

 

Laura stand auf, hielt das Buch wenig verdeckend vor sich und trat wieder an das Fenster, mit zusammengekniffen Augen. Aus der Ferne hörte sie ein anschwellendes, rollendes Grollen. Die Luft war noch schwüler, drückender geworden. Von der Straße drangen keine Geräusche mehr hoch.

Sollte sie einfach winken? Rufen? Wollte sie, dass jemand reagierte? Wollte sie überhaupt, dass da jemand war?

Laura zögerte. Sie legte das Buch auf den Tisch, nahm einen Schluck Wasser und legte sich auf das kühle, weiße Leintuch ihres Bettes, betrachtete die alte Stuckdecke über ihr.

Sie nahm sich eine Zigarette vom Nachttisch, zündete sie an, rauchte, achtete nur wenig auf die Glut, verbrannte sich nicht.

Sie stand auf, schnippte die zum Filter abgesaugte Zigarette zum Fenster hinaus. Erste Tropfen fielen auf die heißen Dächer. 

 

Laura stütze sich auf das Fensterbrett, streckte den Kopf hinaus, schloss die Augen, sog die Luft ein. Es roch nach Regen, der Wind kühlte die Tropfen, die auf ihr Gesicht fielen.

Ein Blitz, wenige Sekunden später Donner. Der Regen nahm zu, prasselte laut auf die grünspangedeckten Nachbarhäuser.

Der Himmel verdunkelte sich, Fensterläden öffneten sich, Gesichter erschienen, schauten raus und in den Himmel. Mit der Dunkelheit und der abkühlenden Luft kam das Leben zurück in die Stadt. Ein Auto fuhr durch die mit Wasser bedeckte Straße, Gullys konnten die Regenmassen kaum mehr aufnehmen. Laura hatte Lust im Regen zu tanzen. Draußen, im Park oder auf der Straße. Der Regen fiel auf sie, auf den Sims, auf den Boden. Tropfen liefen ihr Gesicht, den Hals hinab. Laura lachte und ging zum Kühlschrank. Sie nahm sich eine Flasche, öffnete sie und warf den Kronkorken der Kippe hinterher. Sie trank, stieß auf, grinste und wiederholte sich, bis die Flasche leer war. Sie widerstand der Versuchung, die Flasche auf die Straße zu werfen, stellte sie auf den Sims.

 

Im Fenster gegenüber blieb alles ruhig und dunkel.  

Der Regen wurde noch stärker, Blitze und Donner erstickten an diesem Abend alles unter sich. Sie schloss kichernd das Fenster und ging durch ihre kühlere Wohnung, es war auszuhalten. Wieder ein Blitz. Ein Gesicht zeigte sich gegenüber. Ein Junge, kaum älter als sie selbst. Er winkte und trotz der Distanz konnte Laura ein Lächeln erahnen. Sie zog sich schnell zurück, zu schnell, ging rückwärts, stolperte über den Stuhl, fiel rückwärts der Länge nach hin, blieb liegen.

 

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