Von Marco A. Rauch

Es war ein Münsteraner Tag im Herbst des Lebens am Tage des Herrn im Jahr 21 nach dessen Sohnes Geburt, um genau zu sein, 2021 Jahre danach. Ein nicht näher bezeichneter Unbekannter, äh, UN-Bekannter, ein UN-bekannter Botschafter namens Wanja Wundersorg offenbarte sich eine kalorinöse Wundertüte mit allerlei unreflektiertem Inhalt. Dies bekam alsbald auch sein nicht mehr ganz leichtfüßiges Kreislaufsystem zu Gemüte geführt, das nicht mehr länger Herr der Lage war und sich damit außerstande sah, die ureigens gestellten Aufgaben zu bewältigen. Mit überhasteter Bitte um Abbitte vergab es sich bereits im Vornherein selbst und schaltete auf Notaus. Unzweifelhaft war dies der Schutzpflicht ihm übertragener, von Rechts wegen untergeordneter Systemfunktionen geschuldet, die ihrerseits dem zur Aufgabe erhobenen Befehl erforderlicher Ruhezeit nicht zögerlich nachkamen.

Es war, wie sagt man doch gleich, Tabula rasa. Irgendwann ist alles mal vorbei.

Ein eilig herbeigekrückter Vertreter der Sorte Helfender, obgleich seinerseits sicher nicht mehr Träger der Jahresmedaille „Jugend macht Sport“, tat dennoch sein Maximalstes, um dem unbekannten Wanja auf die Sprünge des Lebens zu helfen.

Nun möchte man meinen, wer selbst an Krücken geht, sollte besser keinen Hundertmeterlauf wagen. Die Taten des weit außerhalb aller Rahmenbedingungen für eine „U60-Party“ Weilenden blieben jedoch interessanterweise nicht gänzlich ohne Beleg. Schon bald formulierte das autonome Nervensystem des Beinahe-Verblichenen in einem Moment der eigenen Vergegenwärtigung eine kühne These des eigenen Seins, wonach es zum Schluss kam, eine verbindliche Befürwortung der Erledigung ureigener Aufgabenstellungen zukünftig an gewisse, zu dem Zeitpunkt nicht näher bestimmbare Bedingungen knüpfen zu wollen. Das tat es jedoch erst nach intensiver Rücksprache mit dem kardiovaskulären System, das zu diesem Zeitpunkt einen weniger elementaren, gleichfalls starrköpfigen Eintrag in das Register der zentralnervösen Datenbank des Gehirns vorgenommen hatte. Es wollte, wie sagt man noch, kündigen. Gewissermaßen, wegen andauernder und nicht nachlassenwollender Störungen der allgemeinen Ordnung und die der Blutbahn im Allgemeinen. Regeln sind schließlich Regeln.

Die im Krankenhaus zu diesem Zeitpunkt diensthabenden und aufgrund ihrer karrierlichen Laufbahn eingestellten Vertreter der Träger des Äskulapstabes als Zeichen guten Willens, übernahmen sich leicht beim geduldigen Versuch, die überhastet erarbeiteten Wünsche von Wanjas autonomen Nervensystem als quittierte Bekanntgabe einer neuen Ordnung in die Annalen der Geschichte aufzunehmen, was dazu führte, dass das Krankenblatt leer blieb. Verstorben 13:47 Uhr. Dr. J. M. Med. Sec. Prof. Dr. sowieso und überhaupt. Nun, ein wichtiger Mann, zweifelsohne.

Nun könnte man fragen, ohne die strapazierfähigen Synapsenbahnen des Gehirns in Verlegenheit bringen zu wollen, was hat das alles mit Charly zu tun?

Hier kreuzen sich erstmals die Wege zweier Ereignisse, die dem Anschein nach weder durch direkte Interaktion noch durch mentale Ambivalenz zuordenbar erscheinen. Doch Geduld ist das Maschinenfett des Lebens, so sagte schon meine mir angedichtete Uroma väterlicherseits, derer ich aufgrund temporal unmöglicher Zugreifbarkeit nicht habhaft werden kann. So bleibt sie ein Gerücht.

Kein Gerücht ist jedoch die Beurkundbarkeit der Kausalität beider Fälle, die nicht nur Wanjas leidgeprüftem und bei der letzten Routineuntersuchung maximal durchgefallenem Herzen einen Todesstoß in Aussicht hatte stellen wollen, sondern auch noch einen weiteren Spross der edlen, wenn auch wenig einflussreichen Dynastie der Wundersorgs in Beeinflussung ziehen sollte.

Die Grabrede ist von Charly Wundersorg, seines Zeichens Bruder des kürzlich über die Hürden der ernährungsphysiologischen Einzelheiten Gestolperten, verfasst und gehalten worden. Dabei verließ er sich unbesungen auf die ihm von seiner Mutter eingeredete, reckengleiche Leibesbeschaffenheit von 150 Kilo Mampfmasse, als er in der Kapelle stehend über die Widrigkeiten des Lebens und die seinem Bruder gegenübergestandenen im Besonderen lamentierte, ohne zuvor an seine tägliche, morgendliche Medikation gedacht zu haben.

So kam es, wie es kommen musste. In einem Anfall hysterischer Überreaktion und über den Ausbleib lieb gewonnener Helferlein vom Typ Chemicus totalis stark entzürnt, entschied das autonome Nervensystem von Charly, heute mal den Gürtel, Pardon, die Venen enger schnallen zu wollen. Das tat es dann auch, der Blutdruck war hoch erfreut. Hatte er doch nun Gelegenheit, sich mal so richtig druckvoll in Szene zu setzen. Ein alter Pfropf, seines Zeichens träge und per se mittelschichtgebildet von Geburt an, entschied ruckartig, bei der ganzen Sache nicht länger mitmachen zu wollen, und entschwamm seiner ihm vertrauten Wirkungsstätte, ohne dabei auf das vorläufige Armutszeugnis warten zu wollen. Die anderweitigen Einsatzmöglichkeiten sowie die Chancen im freien Binnenverkehr wären ohnehin überschaubar gewesen. Nun ist so ein Pfropf grundsätzlich bis zu einem gewissen Grad formbar, was trotz jahrelanger Versuche der Leber, dem undankbaren Untermieter das Wohngeld zu streichen, nun, sagen wir auf taube Ohren gestoßen war. In der Folge der Abfolge laufender oder besser fließender Prozesse war die letzte Instanz der Gehörfindung eine engstirnige Arterie, die sich sogleich verschloss und von all dem nichts wissen wollte. Manch einer würde das einen kapitalen Motorschaden nennen.

 

Im Zuge des Rückstaus und den angestrengten Bemühungen der herzlichen Tunica muscularis, das durch ein fehlgeleitetes Häufchen Elend angestrengte Verfahren zur Wiederausgliederung, man könnte auch unerwartete Exkommunikation sagen, zu beschleunigen, entschied sich der sonst so impulsive Sinusknoten, vorläufig eine Siesta abzuhalten. Bis auf Abruf, sozuquasi. Man gönnt sich ja sonst nix.

 

In einer Geste großer Brüderlichkeit und im Gedenken an den vorzeitigen Abzug des ehemaligen Barrikaden-Kameraden entschied sich eine erkleckliche Anzahl Erythrozyten, in Charlys Gesicht zu einer Schweigeminute zusammenzukommen, während die rechte Hand reichlich unkoordiniert mit den Rippen diskutierte, um irgendwie eine Änderung der Sachlage zu erreichen. Vergebens, freilich. Nach eingehender Untersuchung des vorliegenden Streikverhaltens einiger Angehöriger der Arbeitsgemeinschaft entschloss die Beinmuskulatur nach Rücksprache mit dem Gleichgewichtssinn, zunächst längst überfälligen Urlaub zu nehmen, bis die zugrundeliegende und ursächliche Problematik behoben wäre. Früher nannte man so was Meuterei.

 

Im Laufe der Rückbesinnung auf die Unwiderstehlichkeit der Schwerkraft bzw. an dessen Ende musste letztlich auch die hintere Schädeldecke auf- und sich geschlagen geben, wodurch ein gespaltenes Bild entstand, das einen unsachgemäßen Austritt von Blut nach sich zog, in dessen Folge auch das Stammhirn hinschmiss. So geht Teamgeist.

 

Die eilig herbeigerufenen Samariter vom Clan der Johanniter, ihrerseits Träger des Zeichens des Äskulapstabes als Zeichen guten Willens, vermochten es nicht, den voreilig zur Siesta entschwundenen und ohnehin bereits lebensmüden Sinusknoten zu einer vorzeitigen Arbeitsaufnahme zu überreden, was letztlich im vollständigen und unwiderruflichen Ableben von Charly Wundersorg mündete. Diagnose: Akute Nicht-respiratorische Sinusarrhythmie mit Sinusarrest und anhaltender Asystolie sowie Schädel-Hirn-Trauma. Todeszeitpunkt: 16:36 Uhr.

Gezeichnet Dr. Paul Ehrlerding, Pathologe. Aufzeichnung Ende.

Ehrlerding lehnte sich zufrieden zurück. Mit diesem neuen Kunstwerk von Bericht für den internen Wettbewerb der Pathologen würde er auch wieder gewinnen. Er war unbestritten, einfach der Geilste!

 

 

 

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