Von Michael Kothe

Düster reckte sich die Villa über die mannshohe Ligusterhecke, gerade so, als wolle sie beobachten, was auf der anderen Seite im Nachtdunkel vor sich ging. Unbeugsam streckte sie dem Novemberniesel ihren Giebel entgegen. Gerade wie aus Trotz, weil er das gedämpfte Licht, das sich durch die Lamellen der Fensterläden quälte, zur Gänze aufsog. Bei diesem Wetter jagte man keinen Hund vor die Tür, wobei bekanntermaßen niemand im Viertel seinen Hund selbst Gassi führte. Das besorgten tagsüber die Hundesitter. Hätte dennoch jemand hier draußen etwas zu erledigen gehabt, hätte er ohnehin von dem lautstark geführten Disput hinter den Läden nichts mitbekommen. Was die Hecke an Geräuschen nicht schluckte, spülte der Regen beharrlich fort.

»Krempel, Krempel, nicht als Krempel!« Wie immer, wenn Charly erregt war, bildeten sich rote Flecken auf seiner Stirn und seinen Wangen. »Du hattest behauptet, er würde unsere Sore so im Wert hochtreiben, dass wir nicht einmal einen Abschlag für seine Hehlerdienste befürchten müssten. Und nun hast du ihn umgebracht, bevor er …«

»Es war ein Unfall! Er ist ein angesehener Antiquitätenhändler und ein anerkannter Kunstsachverständiger. Da hätte es ihm leicht fallen sollen, unsere Beute zu einem guten Preis abzusetzen. Manchmal macht er das auch über Tauschgeschäfte. Aber als er sagte, ‚Ich hab für euch auf Pferde gesetzt‘ und dabei ironisch grinste, habe ich Rot gesehen.« Die Nasenflügel von Charlys Kumpan bebten und versetzten seine buschigen Nasenhaare in Aufruhr.

»Wenigstens hättest Du ihm noch die Gelegenheit geben sollen, uns zu sagen, wo er den Wettschein deponiert hat! Das ganze Haus haben wir durchsucht und nichts gefunden. Auch sonst nichts von Wert. Das ganze Porzellan in den Vitrinen … Wenn es wenigsten Meißner wäre oder meinetwegen auch Fürstenberg! Aber was steht auf dem Boden jeden Stücks? ‚Made in China‘! Jetzt stehen wir mit leeren Händen da, und er liegt erschlagen vorm Kamin. Morgen früh haben wir die Polizei auf dem Hals.«

Der mit den Nasenhaaren grinste. »Nee! Wir beseitigen alle Spuren. Den Wettschein finden wir ohnehin nicht, also können wir die Hütte auch abfackeln. Außerdem …« Verschwörerisch beugte er sich zu Charly und sprach mit gesenkter Stimme weiter. »Außerdem kann ich mir vorstellen, wo er den Wettschein versteckt hat. Er hat da noch eine Ferienwohnung. Und die ist ziemlich schlecht gesichert.« Schon kniete er sich neben den Leichnam und richtete ihn so aus, dass eine Hand beinah in die Flammen reichte. Den Zwischenraum überbrückte er mit einem Holzscheit. »Das sollte uns Zeit genug verschaffen. Bis der Ärmel seines Hausmantels Feuer fängt, sind wir über alle Berge.« Befriedigt grinsend richtete er sich auf und stapfte Richtung Haustür. »Was stehst du noch rum, Charly? Willst dich wohl verabschieden?«

»Eher weniger. Dass du impulsiv und unsensibel bist, wusste ich, aber wenigsten bist du auch gründlich. Nur, wenn die Polizei den zerschmetterten Hinterkopf untersucht … wir brauchen noch irgendetwas, womit …« Ein Lächeln flog über Charlys Gesicht, und zufrieden mit seinem Einfall griff er die schwere Porzellanfigur vom Kaminsims und hieb sie dem Verblichenen mit Wucht auf den Hinterkopf. Während er noch klatschend die Hände aneinander rieb, als wolle er die Scherben abklopfen, folgte er seinem Komplizen nach draußen.

 

Die fahle Morgensonne ließ in dem kleinen Luftkurort die Nebelkristalle weiß glitzern. Der matte Schein, der seinen Weg durch die transparenten Stores fand, ermöglichte Charly und Nasenhaar ihre Suche, ohne dass sie drinnen das Licht hätten anschalten müssen. Am Ende erwies sich die Ferienwohnung als nicht ergiebig. Frustriert und wütend überlegten sie, was sie sich zum Ausgleich für ihren Verlust aneignen könnten, als Nasenhaar Charly abrupt an beiden Schultern packte und hinter einem Sessel auf den Boden zwang.

»Der Zeitungsjunge! Gerade schaut er herüber. Wenn er uns bemerkt, ist der nächste Weg der Polizei von der Villa hierher. Und noch ein Brand wäre verdächtig. Lass uns verschwinden, wenn er außer Sicht ist.«

Lange mussten sie nicht warten, und so fühlten sie sich sicher, als sie kurz darauf unbemerkt durchs Treppenhaus nach draußen schlichen. Nasenhaar hatte beinah den Bürgersteig erreicht, als Charly ihn zurückrief.

»Das musst du gesehen haben! Die Presse ist wirklich auf Zack.« So heftig wedelte er mit der Zeitung, dass sein Kumpan tatsächlich umkehrte. Minuten später saßen sie im Wohnzimmer auf der Couch und studierten aufgeregt die erste Seite des Kreisboten.

Charly wehrte sich nicht, als er die Hände seines Komplizen um seinen Hals spürte. Zuerst, weil er zu überrascht war, um den Angriff ernst zu nehmen, und schließlich, weil er dazu keine Kraft mehr hatte.

 

Wäre die Nachbarin aufmerksamer gewesen, als sie um 7 Uhr 56 vor die Haustür trat, hätte sie Nasenhaar noch die Straße hinabeilen gesehen. So aber stand sie mit offenem Mund und mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor dem leeren Briefkasten ihres Nachbarn und fluchte leise. Eigentlich, so hatte ihr der Eigentümer der Ferienwohnung erlaubt, dürfte sie sich seine Zeitung erst um 10 Uhr holen, so sie denn noch da sei, denn dann sei er nicht anwesend. Sie aber wusste, dass er nicht vorgehabt hatte, diese Woche überhaupt in dem Kurort zu verbringen. Was sie nicht wissen konnte, war, dass Charlys lebloser Körper den Kreisboten vom Tisch auf den Boden gewischt hatte, als er von der Couch sank. Als hätte der Artikel für ihn noch im Tod eine Bedeutung, wies der Zeigefinger seiner erschlafften Hand auf die Schlagzeile der Titelseite und den Aufmacher darunter:

Antiquitätenhändler und Kunstexperte stirbt bei Zimmerbrand.

Nachdem sich in der vergangenen Nacht die Feuerwehr gewaltsam Zugang in eine brennende Villa in der Kreisstadt verschafft hatte, konnte sie den Zimmerbrand schnell eindämmen. Für den Bewohner des Hauses, einen stadtbekannten Preziosenhändler, kam jedoch jede Hilfe zu spät. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Nach ihrer vorläufigen Einschätzung gehen die Brandermittler davon aus, dass der Hausherr Kaminholz nachlegen wollte und dabei mit dem Schürhaken eine schwere Porzellanfigur vom Kaminsims stieß, die ihm den Hinterkopf zertrümmerte. Der Stempel am Boden des zersplitterten Porzellans, einer Pferdegruppe, weist die Buchstaben KPM der Königlichen Porzellanmanufaktur auf. Experten schätzen den Wert des Dekorationsstücks in unbeschädigtem Zustand auf 340.000 Euro.

 

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