Von Nadine Edel
Der rote Schein der Flammen erhellte den frühen Morgen. Rufus stand fassungslos vor seinem Haus und sah den Feuerwehrmenschen beim Löschen zu. Wie hatte es so weit kommen können? Er hatte doch lediglich versucht dem Nachbarn klarzumachen, dass seine ständige Lärmbelästigung an seinen Nerven zerrte. Gut, er hatte sich ein paar Streiche ausgedacht, aber alles in allem war es doch nicht so schlimm gewesen, dass Kurt sein Haus hatte anzünden müssen, dachte er zumindest zunächst.
Rückblickend hätte Rufus schon vor dem Einzug in das kleine Einfamilienhaus mit eigenem Garten wissen müssen, dass er hier nur Ärger haben würde. Als er zum ersten Besichtigungstermin mit der Maklerin das Haus betrat, hörte er nicht nur im Haus den Lärm des Schlagzeugs, sondern erst so richtig laut, als er die Terrasse betrat. Kurt Lehmann, so sein bürgerlicher Name, gehörte zu der bekannten Band Los Wochos, die seit einiger Zeit ihren Durchbruch in der Ballermann-Hits-Szene feierten. Anfangs hatte Rufus gedacht, dass sie wohl einen Proberaum haben würden, in dem sie proben würden, dass sich dieser aber im nicht schallabgedichteten Keller des Nachbarhauses befand, wurde ihm erst nach und nach klar. Wer denkt denn auch daran, dass ein Schlagzeuger im popeligen heimischen Keller übt? Im Nachhinein hätte der günstige Preis des Hauses, das Rufus beabsichtigte zu kaufen, ihn schon stutzig werden lassen müssen.
Die Maklerin hatte ihm erklärt, dass das Haus nur so günstig zu haben sei, weil die Vorbesitzerin, eine alte Dame, im Schlafzimmer des Hauses verstorben sei und viele Menschen einfach Skrupel hätten, in aus diesen Gründen verwaiste Häuser zu ziehen. Rufus hatte schon immer eine morbide Ader gehabt und fand den Gedanken eigentlich ganz charmant. Da er heimlich auch ein wenig an Geister glaubte, hoffte er, dass er dem der Frau Großmann über den Weg laufen würde.
Bei der zweiten Besichtigung des Hauses erklangen abermals die scheppernden Töne des Schlagzeuges. Auch jetzt wurde Rufus nicht stutzig, so verliebt war er in den Gedanken bald Besitzer eines günstigen Geisterhauses zu sein. Insgeheim redete er sich schön, dass die Geräusche von nebenan gar nicht so laut wären und dass man sie mit der Zeit auch einfach gar nicht mehr hören würde, Gewöhnung ist halt alles. Nein, ganz bestimmt würde man die Schlagzeuggeräusche nicht hören, denn es machte nicht den Anschein als würden andere Nachbarn sich gestört fühlen.
Die ersten Wochen gingen sehr geschäftig vonstatten. Rufus hatte nur einen kleinen Freundeskreis und daher auch nicht unendlich viele Leute zur Verfügung, die ihm bei der Renovierung helfen konnten. Er hämmerte, werkelte und malerte, bis das Häuschen von innen genauso aussah, wie er es sich immer erträumt hatte. Der Tag des Umzugs kam und schon nach ein paar Tagen ging ihm auf, dass er sich die ganze Angelegenheit wohl schöngeredet hatte.
Ein erster Plan reifte in ihm. Wenn er nachts, wenn der Nachbar schlief, einen kleinen Lautsprecher an dessen Schlafzimmerfenster verstecken würde und auf volle Lautstärke Death Metal laufen lassen würde, wäre es Herrn Lehmann sicher eine Lehre. Andere mit seinem Lärm zu belästigen kann eben sowas mit sich ziehen. Gesagt, getan. Er fand eine leistungsstarke Bluetooth-Box, die Musik war sowieso eine seiner favorisieren Richtungen, und wartete nur noch einen Abend ab, von dem er wusste, der liebe Nachbar würde mit gekipptem oder sogar offenem Fenster schlafen. Das Ergebnis war genauso, wie er es sich erhofft hatte. Bewaffnet mit einem Fernglas saß er im dunklen Wohnzimmer und beobachte, wie der Störenfried vor Schreck fast einen Herzinfarkt bekam. Leider hatte er die Rechnung ohne den Übeltäter gemacht. Kurt war ziemlich schnell klar, dass hinter diesem Streich nur der neue Nachbar stecken konnte, denn alle anderen Nachbarn hatten noch nie einen Ton bezüglich seiner Musik verlauten lassen. Also beobachtete Rufus eines frühen Abends, wie der Musiker Teile seines Schlagzeugs in seinem Garten schleppte, diese zusammenbaute und vor seinen Augen bzw. Ohren anfing. zusammen mit der bandeigenen Musik auf Band, zu musizieren. Damit aber nicht genug, denn er hatte sich die ruhigste Zeit des Abends ausgesucht, nämlich genau dann, wenn die meisten Leute gerade zu Abend gegessen hatten und gesättigt und zufrieden den Abend genossen.
So ging es über Monate munter weiter. Ein Streich jagte den nächsten, sie wurden sogar immer fantasievoller. Letztendlich und das war der Anfang vom Ende, überlegte Rufus sich, als er die Idee hatte, den Mann von nebenan in seinem Keller einzusperren und ihn so ein für alle Mal zurechtzuweisen. Zugegeben, das war nicht die brillanteste Idee und auch nicht wirklich gut durchdacht. Er wusste, dass Herr Lehmann im Sommer so gut wie immer die Tür zu seiner Terrasse geöffnet hatte, außer, wenn er nicht zu Hause war. Als Rufus wieder diese äußerst nervigen Töne von nebenan hörte, schlich er sich ins Haus, platzierte die eigens dafür mitgebrachte Eisenstange so vor der Kellertür, dass es von innen kein Entrinnen gab und huschte wieder hinaus.
Einige Zeit später, Rufus saß mittlerweile auf der Terrasse des Nachbarn und grinste vergnügt vor sich hin, hörte er auch schon die ersten Anzeichen davon, dass der Musiker versuchte, aus seinem Keller zu kommen. Er trat vor die Tür, rüttelte an der Klinke und rief. Man hörte ihm seine Angst, dort nicht mehr rauszukommen, an. Ein wenig wollte Rufus ihn noch leiden lassen, nicht wissend, dass genau dieses eingesperrt sein eine der größten Ängste seines Widersachers war. Die Schreie von unten wurden immer lauter und drängender, aber Rufus rührte keinen Finger. Nach zwei Stunden hatte er ein Einsehen und befreite Herrn Lehmann. Was er sah, beunruhigte ihn sehr. Schweißüberströmt, mit rot geränderten Augen, wildem Blick und hechelndem Atem verließ der Nachbar seinen Keller. Für Rufus hatte er keine Worte, nur noch einen geringschätzigen Blick übrig. Rufus hatte nicht gewollt, dass Kurt Todesängste ausstand, das war ihm direkt danach klar. Er war regelecht erschrocken, als er sah, in welcher Verfassung der Nachbar seinen Keller verlies. Er hatte ihm doch nur eine Lektion erteilen wollen, ihn darauf aufmerksam machen wollen, dass es nun endlich einmal reichte, dass er auch mal seine Ruhe brauchte, was ja bei dem dauerhaften Lärm nicht möglich war. Denn Kurt übte nicht nur für seine Band, er hörte auch den lieben langen Tag sehr laut Schlager. Das zerrte einfach an Rufus Nerven.
Nun stand er hier und bereute zutiefst, was er dem armen Mann angetan hatte. Gut, mit ihm war nicht zu sprechen, er beharrte darauf, dass das Recht hätte zu musizieren, wann es ihm beliebte und auch in seinem Haus so viel Musik im Laufe des Tages hören zu dürfen, wie es ihm genehm war. Aber ihn so zu traumatisieren, war nicht sein Ziel gewesen. Ein Denkzettel, ja, aber nicht diese Todesangst, die der Mann in seinem Keller wohl erlitten hatte. Er hatte versucht, sich zu entschuldigen, hatte ihm einen Präsentkorb mit verschiedenen Sorten Bier, Wurst und Schnäpsen gebracht, aber ihm wurde immer die Tür vor der Nase zugeworfen. Ja, verständlich war es, aber man muss doch anderen auch mal eine Chance geben, sich zu erklären und vielleicht kann man dann auch noch einen Kompromiss schließen.
Eines Abends war es dann geschehen. Rufus hatte das Splittern seines Wohnzimmerfensters im Schlaf gehört, hatte das Geräusch erst in seinen Traum eingewoben, war dann aber von einem immer lauter werdenden Knistern aufgeschreckt und hatte direkt ein seltsames Gefühl. Als er die Augen öffnete, sah und kurz danach roch er den Rauch, den man bereits im Obergeschoss feststellen konnte. Dem selbstgebastelten Molotow-Cocktail des Nachbarn konnte er nichts entgegensetzen und ihm blieb nur, die Feuerwehr zu rufen.
Nebenan stand er, der Mann, der sein Haus auf dem Gewissen hatte, breitbeinig mit verschränkten Armen sah er sehr zufrieden auf das brennende Nachbarhaus. Beim nächsten Mal würde er schneller reagieren und sich nicht mehr so viel gefallen lassen. Kurt Lehmann war noch nie ein angenehmer Mensch gewesen. Rufus hatte dies schmerzhaft lernen müssen.