Von Maria Monte

Das gemeinsame Trainingslager liegt erst eine Woche zurück. Alle sind hochmotiviert. In diesem Jahr wollen sie die Verbandsoberliga gewinnen.

Ute, Gabi, Sabine und Brigitte, die zur „Ü 30“ Mannschaft zählen, sind wie immer pünktlich und diszipliniert um 16.45 Uhr auf dem Tennisplatz. „Ich stelle noch mal kurz die Bewässerungsanlage an“, informiert Sabine ihre Mitspielerinnen, während Ute eine Thermoskanne, Kekse und Obst aus ihrer Tasche zaubert. „Gut, dann stärken wir uns noch, bevor wir loslegen“.

Gabi greift sich den Linienbesen. „Wer kommt denn heute noch zum Training? Wollen wir gleich zwei Plätze für uns vorbereiten?“ Brigitte holt die Punkteanzeiger. „Ich hänge sie an beiden Plätzen auf.“ Kurz nach siebzehn Uhr spielen sich die vier bereits ein. Brigitte dirigiert: „Jetzt Vorhand- und Rückhandschlag, jetzt diagonal, jetzt Schmetterschlag vom Gegner, Stoppschlag ausprobieren, jetzt noch Volley, dann Lob, zum Schluss Aufschläge. Nach zwanzig Minuten sprechen alle vier ihre Doppelspielaufstellung ab. Inzwischen sind auch Petra und Ulrike erschienen, ein fröhliches „Hallo“ schallt über die Plätze. „Danke, dass ihr beide Sandplätze vorbereitet habt“, ruft Ulrike den vier Damen zu. „Wir wollen eine Stunde lang Einzel üben, die anderen kommen erst um achtzehn Uhr dazu.“ Auch sie spielen sich langsam ein, beginnen ihr Trainingsspiel mit gezielten Dehnübungen, um Muskeln und Gelenke auf die folgenden schnellen Bewegungen vorzubereiten. Die erste Stunde vergeht wie im Fluge. Alle Damen sind konzentriert und haben beim Spielen ihre Arbeitsprobleme vergessen. Um achtzehn Uhr kommen noch Barbara, Anke und Monika dazu. „Hey, ihr, schwitzt ihr schon?“, begrüßen sie ihre Mitspielerinnen. Die Stimmung ist ausgelassen, das fröhliche Lachen zeigt, dass sich alle auf das Training zum Feierabend freuen. „Wie wollen wir uns zum zweiten Doppel aufstellen,“ übernimmt Brigitte die Planung. „Ich möchte heute gerne an der Ballmaschine trainieren“, meldet sich Anke zu Wort. „Dann gehst du am besten auf den dritten Platz“, legt Brigitte fest. „Barbara und Monika müssen sich kurz dehnen und warmspielen, derweil gönnen wir uns noch den Rest Kaffee und das Obst,“ meint Ute.

Anke hat sich ein Trainingsprogramm ausgearbeitet. Sie steht noch unter Schock von den Erlebnissen der Trainingswoche, will ganz für sich alleine damit klarkommen. Alle Schlagarten und Schlagkombinationen kann sie an der Ballmaschine ausprobieren. „Oh, Mann, schiebt die sich heute schwer“, schnauft sie beim Herausfahren aus dem Schuppen. Gabi springt schnell dazu und hilft ihr beim Aufstellen. Nun noch den Stecker in die Steckdose, die extra dafür im Schuppen angebracht ist. Anke macht sich warm, dann stellt sie das Programm ein. Nun noch einschalten, jetzt spuckt die Maschine die Tennisbälle Anke entgegen. Mit Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Gewandtheit kann sie der Maschine Paroli bieten. Nach dem langen Arbeitstag und den vielen Grübeleien fällt die Konzentration etwas schwer. Das kann sie durch ihr Reaktionsvermögen wett machen. Sie merkt, wie sich ihr Körper lockert und sich ganz auf die Wurfmaschine einstellt. Vor, zurück, seitwärts, Vorhand, Rückhand, immer wieder. Nun noch das Augenmerk auf die Zielgenauigkeit legen, mal diagonal nach rechts in das Aufschlagfeld, mal diagonal nach links zur Grundlinie.

Sie weiß, dass der erarbeitete Schlag sicher beherrscht werden muss, „löffeln“ war gestern. Anke ist ehrgeizig, denn sie zählt als Jüngste in dem Team der Damen noch als Anfängerin. Im Trainingslager nahm sich der Trainer besonders viel Zeit für sie. Ankes Gedanken schweifen ab. Er stellte sich als Kai vor, gab ihr sogar Extrastunden. An seinem athletischen Körper war kein Gramm zu viel. Ein echter Adonis. Seine dunklen Augen blitzten vor Freude und Übermut, wenn er mit ihnen allen trainierte. Er ging ganz in seinem Beruf auf und sagte selbst: „Das ist meine Berufung.“ Anke schüttelt ihren Kopf. Die Gedanken bleiben. Nach einhundertzwanzig Bällen ist die Ballmaschine leer und tuckert vor sich hin. Die Spielerin schaltet sie aus, wechselt ihr durchnässtes Stirnband und beginnt, die Bälle aufzusammeln. Ihre Gedanken kreisen wieder um Kai. Er war sehr einfühlsam, sie denkt an die vielen körperlichen Berührungen, wenn er sie korrigierte. Am Ende der Woche reagierte ihr Körper mit Gänsehaut und Kribbeln. Peinlich! Und Kai muss es bemerkt haben. Er lud sie am vorletzten Abend ins Restaurant der Nachbaranlage ein. Ihre Mitspielerinnen machten dazu natürlich dumme Bemerkungen. Sie schwebte verliebt davon. Beim Essen beobachtete sie seine Muskeln, die er mit dem kurzärmeligen Hemd gut zur Schau stellte. Diese durchtrainierten Arme, diese knackig sitzende Hose, diese lockere Atmosphäre, alles erregte und faszinierte sie gleichzeitig.

Ich habe nicht viel getrunken, in den drei Stunden nur drei kleine Radler. Ob er mehr als drei Bier getrunken hat, weiß ich nicht mehr. Verdammt, ich konnte dann wohl nicht nein sagen. Es schien, als wenn er nach dem netten Vorspiel plötzlich seine Identität wechselte. Er wurde zum Raubtier, wild und zügellos, fast gefährlich. Wenig einfühlsam dachte er wohl, auf dem Platz zu stehen und die Bälle hart und kross zu schlagen. Ich schrie und wandt mich, er schien es nicht zu bemerken. Dann hatte ich keine Kraft mehr und ergab mich. Enttäuscht und gedemütigt lag ich den Rest der Nacht wach. So ein Arsch, so ein Miststück, so ein skrupelloser Narzisst. Ich hatte keine Worte mehr für ihn, zu schade, zu sinnlos.

Am nächsten Morgen gab sie Migräne vor, vergrub sich in ihrem Bett, zog die Decke über den Kopf. Ihre Mitspielerinnen ahnten, dass dem Date kein Happyend folgte und ließen sie in Ruhe.

Anke hat die Ballmaschine neu befüllt und schaltet nun das Programm auf mehr Schnelligkeit. Schalter umgelegt, ab geht´s. Plopp, plopp, die Bälle schießen Anke entgegen. Sie haut, ja drischt auf die runden Dinger, als wenn sie Kai vor sich hätte. Da sieht sie sein Gesicht, da ist sein Körper, immer draufhalten, knallharte Bälle schlägt sie über den Platz. Direkter Angriff, ihre Wut und Enttäuschung entladen sich endlich. Wie konnte sie nur so blauäugig sein? Diese Erniedrigung in Zusammenhang mit ihrem Lieblingssport tut weh, da zählt der körperliche Schmerz kaum. Ja, schleudere mir nur die Bälle entgegen, ich brauche heute harte Trainingseinheiten, die ich parieren kann. Du bist der faire Partner!

Mit Ausdauer und Reaktionsvermögen kann sie ihr Bewegungstempo steigern. Oh, wie gut das tut! Und Anke schlägt zurück.

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