Von Eva Fischer

Ein Wort mit vier Buchstaben oder eine Tragödie in vier Szenen

„Seit einer Woche bin ich im Ruhestand. Weißt du überhaupt, was das bedeutet? Nach vierzig Arbeitsjahren habe ich mir wahrlich die Ruhe verdient. Ich muss nichts mehr müssen. Kein Wecker, der mich aus dem Schlaf reißt! Kein Chef, der mir Anweisungen gibt! Keine Kollegen, die mich bei der Arbeit austricksen und hinter den Rücken der anderen lästern.

Ab jetzt herrscht hier absolute R u h e. Hast du das verstanden? Ich will nichts mehr hören. Dieser Ton! Srrrrrr! Unmenschlich! Er ist nicht zum Aushalten. Lass mich in Frieden! Glotze mich nicht so doof an! Warum kannst du nicht Abstand halten? Warum musst du mich ständig umkreisen? Du weißt, dass du mit deinem Leben spielst. Patsch und das war es! Das geht manchmal ganz schnell.

Du hast es nicht anders gewollt. Ich stehe jetzt aus meinem Sessel auf und hole die giftgrüne ein-Euro-Fliegenklatsche aus der Küche. Ich kriege dich! Das schwöre ich dir, du dummes, nichtsnutziges Vieh!“

 „N e i n, Helmut! Was machst du da? Bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach die Vase in tausend Scherben schlagen! Das war ein Erbstück meiner Mutter! Echtes Meißener Porzellan! Die Vase war richtig wertvoll! Ganz abgesehen von den Erinnerungen, die daran hängen. Sie ist unersetzbar!

Ach, wärest du doch nur noch in deinem Büro und gingst mir nicht auf die Nerven! Du sitzt hier nur doof rum und blockierst das Wohnzimmer. Heute Nachmittag kommt meine Freundin zum Kaffeeklatsch. Da erwarte ich, dass du mal das Haus verlässt. Ein Spaziergang würde dir guttun, sonst wirst du am Ende noch fett. Wenn du ein paar Arbeitsaufträge haben willst, bitte schön! Ich muss hier nicht alle Arbeit alleine machen. Du glaubst wohl, weil du jetzt Rentner bist, kannst du dich asozial verhalten. Irrtum! Wenn dir das Leben zu viel ist, dann lege dich doch gleich in die Kiste!“

„H a s s ! Aus deinen Augen schaut purer Hass. Was habe ich dir getan, Elvira? Vierzig Jahre habe ich mich krummgelegt für die Familie und das ist jetzt der Dank. Bin ich weniger wert als die blöde Vase deiner Mutter? Ich fand sie schon immer hässlich. Doch ich wollte sie nicht kaputtmachen. Das war ein Unfall, also kein Grund so auszurasten! Ich habe mir den Ruhestand wirklich schöner vorgestellt, endlich frei sein. Stattdessen ist unsere Ehe ein einziger Scherbenhaufen.“

*

„Wie geht es Elvira, Helmut?“

„Weiß ich nicht.“

„Wie? Weißt du nicht?? Wohnt ihr nicht unter einem Dach?“

„Sie ist ausgezogen.“

„Wohin?“

„Weiß ich nicht. Ist mir auch egal. Die Alte hat seit meiner Rente nur Ärger gemacht. Ich bin froh, dass sie ausgezogen ist. Da muss ich nicht auch noch wissen, wohin sie verschwunden ist.“

„Ist ja gut, Helmut. Rege dich nicht so auf. Soll ich mal auf ein Bierchen heute Abend vorbeikommen?“

„Sollst du nicht.“

„Nicht?“

N e i n! Nur weil wir uns kennen, muss ich mit dir kein Bier trinken. Ich fand dich schon immer langweilig, wenn du es genau wissen willst.“

„Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum Elvira ausgezogen ist.“

„Leck mich, Achim!“

*

„Hast du etwas von Helmut gehört?“

„Nein.“

„Er scheint sich in seinem Haus verbarrikadiert zu haben. Die Rollos sind seit Wochen unten, als ob er verreist wäre. Nachts hört man Pistolenschüsse. Ich glaube, er zieht sich alle Western rein, die es gibt. Das ist doch ungesund, diese Isolation! Man müsste Hilfe holen.“

„Wen willst du denn zu Hilfe holen? Die Polizei?? Jeder hat das Recht und die Freiheit so zu leben, wie er will, solange er sich und anderen Menschen nichts antut.“

„Aber genau das ist das Problem. Er tut sich etwas an!“

„So einfach ist das nicht. Dann müsstest du alle Zigarettenraucher, alle Alkoholiker, alle Übergewichtige hinter Gitter bringen.“

„Ich rede nicht von Gittern. Ich rede von menschlicher Hilfe.“

„Ach Gabriel, du Weltverbesserer! Dann klingle mal bei Helmut. Viel Erfolg!“

*

„Haut ab, ihr dummen Viecher! Es gibt hier nichts zu fressen für euch. Wenn ihr nicht freiwillig abhaut, dann knalle ich euch alle ab. Das ist mein Haus! Ihr habt hier nichts zu suchen. Frechheit! Jeden Tag werden es mehr. Feindliche Übernahme von Mäusen, ich fasse es nicht. Ich wollte meine R u h e. Ist das zu viel verlangt. Die Menschen haben verstanden. Sie lassen mich jetzt in Frieden. Nun attackieren mich die dummen Viecher.

Erst die Fliegen, dann die Küchenschaben, jetzt die Mäuse. Was kommt als nächstes? Wölfe?! Aber ich habe mir Munition zugelegt. In meinem Keller sind leere Flaschen von Monaten. Damit kriege ich euch. Das Blut wird spritzen, das sage ich euch. Man legt sich nicht mit einem Helmut an! Ich bin nämlich mutig, auch wenn ich mir in vierzig Jahren Berufsleben zu viel gefallen lassen habe. Doch das ist vorbei. Und wenn das nichts fruchtet, ich kann auch anders. Ich werde euch alle ausräuchern. Ist mir doch egal, wenn ich selbst dabei draufgehe.“

E n d e

„Herr Wolf! Hier spricht die Polizei. Öffnen Sie bitte umgehend die Tür! Ihre Nachbarn haben merkwürdige Geräusche gehört. Haben Sie eine Geisel in Ihrem Haus? Seien Sie bitte vernünftig und vermeiden Sie jegliches Blutvergießen! “