Von Paul Wlaschek

Das Telefon klingelt. Es ist extra groß, extra rot und hat extra große Tasten. Nicht so ein kleines Ding, ohne Schnur, dass man nie wiederfindet, wenn man es irgendwo hingelegt hat. Agnes schlurft ein wenig, als sie zum Apparat geht. Ihre Hüfte ist nicht mehr die beste. Ihr Arzt legt ihr seit einiger Zeit nahe, über ein neues Hüftgelenk nachzudenken. Aber dafür fühlt sie sich zu jung. 

„Bernreiter …?!“

„Hallo Omi, rate wer dran ist! Hab mich lange nicht gemeldet, tut mir echt Leid!“ Agnes stutzt. Die Pause nimmt der jugendliche Anrufer zum Anlass, seinerseits für Aufklärung zu sorgen:“ Ich bin’s, dein Enkel!“, und: „Geht’s dir gut? Was macht dein Rücken?“

Agnes ist verwirrt. Am anderen Ende geht das fröhliche Geplauder weiter: „Ist es bei dir auch so warm? Furchtbar, nicht wahr? Trinkst du auch genug? Das ist wirklich sehr wichtig, weißt du?! Mach dir am besten morgens eine Kanne Früchtetee und die trinkst du dann den Tag über.“

Agnes schaut auf das Display des Telefons, aber die Nummer sagt ihr überhaupt nichts. 

„Hallo, hier Bernreiter?!“

„Omi, ich bin’s, dein Enkel.“

„Ja …?!“

„Ich wollte mich mal wieder bei dir melden. Ich hab jetzt eine neue Handynummer, mein altes Handy hab ich verloren. Sollte man nicht glauben, nicht wahr?! Ich habe die Nummer von meinem verlorenen Handy angerufen, weil ich dachte, es klingelt irgendwo in der Nähe. Aber nichts. Man sollte meinen, wenn es jemand gefunden hat, dann bringt er es zum Fundbüro oder so. Aber da war es nicht. Jetzt habe ich ein neues gekauft. Ärgerlich. So dicke hab ich es ja auch nicht mit dem Geld.“

„Was machst du denn jetzt so?“

„Was mit Computern und Internet, ein bisschen schwierig zu erklären.“

„Computer, das ist gut. Das wird ja immer gebraucht“

„Genau. Momentan läuft es zwar gerade nicht so gut, die Firma steckt seit der Pandemie in Schwierigkeiten. Kann sein, dass sie Personal abbauen müssen.“

„Abbauen?“

„Ja, Entlassungen. Ich bin ja noch jung und noch nicht so lange dabei, da kann es sein, dass es mich auch erwischt.“

„Entlassen?“

„Na ja, noch nicht. Aber man weiß in diesen Tagen nie so genau.“

„Früher gab’s das nicht. Da hast du mit sechzehn in einem Betrieb angefangen und bist mit fünfundsechzig in Rente gegangen.“

„Ja, das ist heute alles anders. Da mach ich mir schon ein bisschen Sorgen. Jetzt mit der neuen Wohnung.“

„Bist du umgezogen?“

„Ich habe mir doch die kleine Zweizimmerwohnung gekauft vor einem Jahr. In der Südstadt. Sehr schön, sonnig, mit einem kleinen Balkon. Ich lade dich gerne mal auf Kaffee und Kuchen ein. Dann machen wir es uns richtig gemütlich, was meinst du?“

„Das wäre schön. Ich komme ja wenig raus. Alleine ist es sowieso nicht so toll, ins Cafe zu gehen. Mit der Hüfte fällt es mir nun auch schon schwer, gerade beim Einkaufen mit der schweren Tasche.“

„Ja, die Hüfte. Ich komme gerne mal vorbei und helfe dir, mit Einkaufen oder auch Gardinen waschen oder so. Hast du in deiner Nachbarschaft niemand, der dir helfen kann? In deiner Straße? Wie hieß die noch gleich?“

„Ludwig-Uhland-Straße! Ludwig-Uhland-Straße 12a! Weißt du das nicht mehr?“

„Jetzt fällt es mir wieder ein, klar, Uhland. Ich wusste nur noch, dass es ein Dichter war. Ich war ja als Kind so oft da!“

„Ach das war immer schön, wenn einer von euch zu Besuch da war. Wo wohnst du jetzt?“

„In der Südstadt, Omi, hab ich doch gesagt. Mit Blick ins Grüne. War nicht ganz billig die Wohnung, 229.000 Euro hat die gekostet, aber es ist eine sichere Geldanlage.“

„Hast du denn soviel Geld? Das ist schon viel, 200.000 Euro …“

„Natürlich nicht. Wohnungen kauft man doch über Kredit. Man nimmt eine Hypothek auf die Wohnung auf und die Bank leiht einem das Geld.“

„Dann hast du jetzt Schulden?“

„Ja, wenn man es so nimmt, habe ich Schulden. Ich muss jeden Monat einen Betrag zurückzahlen. Aber wenn ich zur Miete wohne, muss ich auch jeden Monat zahlen, aber das Geld ist dann weg, beim Vermieter. Und so schaffe ich mir wenigstens mein eigenes Eigentum.“

„Bist du noch mit diesem netten Mädchen zusammen? Wie hieß sie doch? Tilda?“

„Ach, leider nein. Tilda ist nach Kanada gegangen. Und dann war es aus. Das ist auch der Grund, weshalb ich mit dem Geld ein bisschen in Schwierigkeiten bin.“

„In Schwierigkeiten?“

„Ja, wir haben die Wohnung ja zu zweit bewohnt, aber nun ist sie ausgestiegen und ich kann die Hypotheken jeden Monat nicht allein tragen. Jetzt bin ich da im Rückstand.“

„Hm, hört sich an, als stecktest du in Schwierigkeiten?!“

„Ja, tatsächlich. Wenn ich eine kleinere Summe hätte, würde mir das schon über die Runden helfen.“

„Und Tilda?“

„Tilda ist in Kanada. Hab ich doch gesagt. Sie hat jeden Monat etwas bezahlt, als Miete sozusagen. Das Geld fehlt mir natürlich jetzt.“

„ Tilda ist in Kanada? Was macht sie in Kanada? Das ist doch sehr weit.“

„ Tilda hat ja Fremdsprachen studiert, Englisch und Französisch. Sie hat ein Stipendium bekommen  für einen Auslandsaufenthalt, für ein Jahr. Ein Glückstreffer. Da ist sie nach Kanada, weil da englisch und französisch gesprochen wird. Das musste sie natürlich wahrnehmen. Nur dass sie halt jetzt die Miete nicht mehr bezahlt.“

„Die Miete?“

„Ja, den monatlichen Betrag, der mir jetzt fehlt, weswegen ich im Rückstand bin mit meiner Hypothek.“

„Ach ja.“

„Aber das kriege ich schon irgendwie hin. Ich muss nur acht geben, dass die Bank mir meine schöne Wohnung nicht wegpfändet …“

„Wegpfändet?“

„Ja klar. Solange ich den Kredit nicht zurückgezahlt habe, gehört die Wohnung eigentlich der Bank. Also darf der Rückstand nicht so groß werden. Sonst ist die Wohnung futsch.“

„Aber das ist ja schrecklich. Dann hast du gezahlt und gezahlt und hast zum Schluss nichts!“

„Ja genau, das ist nicht so angenehm. Du kannst mir nicht durch Zufall etwas Geld leihen?“

„Geld?“

„Ja, nur vorübergehend. Jetzt wo die Arbeit in der Firma so unsicher ist, könnte ich eine kleine Finanzspritze gut gebrauchen. Das würde den Druck nehmen.“

„Den Druck? Hast du es mit dem Blutdruck?“

„Nein, ja, ich meine den finanziellen Druck. Aber das Ganze wirkt sich natürlich auch gesundheitlich aus. Ich fühle mich manchmal schon wirklich schlapp.“

„Du musst unbedingt zum Arzt, wenn es dir nicht gut geht! Gerade Blutdruck, damit ist nicht zu spaßen. Erinner dich nur an Onkel Heinz. Auf unserer Feier, war das nicht der Fünfzigste von Opa? Plötzlich wurde er ganz grün im Gesicht und dann kam der Rettungswagen. Na ja, hat ja auch immer ungesund gelebt. Das Rauchen …! Rauchst du eigentlich?“

„Nein Omi. Ich rauche nicht. Könnte ich mir auch gar nicht leisten, ist doch viel zu teuer. Und wenn man im Rückstand ist mit der Hypothek, fängt man nicht auch noch an zu rauchen.“

„Im Rückstand?“

„Ja, hab ich doch gerade erzählt, dass Tilda ausgezogen ist und ich jetzt eine kleine Finanzspritze gebrauchen könnte.“

„Ach ja, richtig. Wie viel brauchst du denn? Vielleicht kann ich dir helfen?!“

„Fünfundvierzigtausend wären meine Rettung. Aber, na klar, es würde auch mit weniger schon helfen. Vierzigtausend.“

„Vierzigtausend?“

„Ja.“

„Also ich habe ja ein bisschen was gespart. Und von dem Hausverkauf ist auch noch Geld auf der Bank. Sechzigtausend müssten vom Hausverkauf noch auf der Bank sein. Ich habe ja damals meinen Bruder ausgezahlt. Ich weiß aber gar nicht genau.“

„Du würdest mir die fünfundvierzigtausend geben? Natürlich nur geliehen. Ich zahle sie dir zurück, sobald wieder alles rund läuft. Das wäre fantastisch. Omilein, du bist meine Rettung!“

„Ich kann aber immer nur dreihundert Euro am Automaten abheben. Da musst du ein bisschen Geduld haben.“

„Nein, nein, nein. Ich meine, ich bräuchte das Geld recht bald, am besten sofort. Die Bank hat schon ein Mahnschreiben geschickt. Und ich möchte meine schöne, kleine Wohnung nicht verlieren.  Dann wäre es nichts mit unserem gemütlichen Kaffee auf dem Balkon.“

„Kaffee? Du musst aufpassen mit deinem Blutdruck. Kaffee ist da gar nicht gut. “

„Omi, ich kann momentan hier nicht weg. Ein Freund wäre so nett, dich abzuholen und mit dem Taxi zur Bank zu fahren, da kannst du das Geld als ganze Summe abheben. Er bringt sie mir dann vorbei.“

„Ja, das klingt gut. So machen wir das. Ich warte dann auf deinen Freund. Wann wird er kommen?“

„Er könnte sofort los, wenn es dir passt. Du kannst schon mal dein Sparbuch heraussuchen. Du weißt doch hoffentlich, wo du es aufbewahrst?“

„Natürlich! Ich habe Ordnung in meinen Sachen, was glaubst du?! Wann lädst du mich zum Kaffee ein?“

„Ich muss schauen, ich rufe dich nochmal an. Ich muss jetzt Schluss machen. Omilein, mach’s gut, halt dich gesund! Ich melde mich. Tschüss!“

Als Agnes auflegt, schaut der blonde Kopf von Tilda durch die Küchentür herein, der Pferdeschwanz schwingt hinter ihr her: „Sag mal, mit wem telefonierst du denn da so lange?“

„Ach, da war ein Trickbetrüger am Telefon, der wollte mich um fünfundvierzigtausend Euro erleichtern.“ Agnes kichert. „Ich habe ihm eine falsche Adresse gesagt. Gleich gegenüber, wir können vom Balkon aus zusehen, wenn er kommt.“

„Aber lieber Gott! Warum hast du denn so lange mit ihm geredet, wenn du weißt, dass es ein Betrüger ist? Anstatt die Polizei zu rufen?!“

„Ach weißt du, ich habe nicht so viel Kontakt, bin ja immer recht allein. Da ist es eine schöne Abwechslung, mal ein bisschen am Telefon schwatzen zu können. Hol mal das Fernglas aus dem Wohnzimmerschrank!“

 

 

(Version 2)