Von Irmi Feldman

Mr. Peabody hatte den schönsten Vorgarten in seiner Straße. Nein, nicht nur in seiner Straße, sondern im ganzen Viertel. Hätte man Mr. Peabody gefragt, so hätte er ohne zu zögern ausgerufen: „Natürlich in der ganzen Stadt!

 

Mr. und Mrs. Peabody hatten keine Kinder; so war es nur verständlich, dass der Rasen diese undankbare Aufgabe übernehmen musste.

 

Denn Rasen und sonst nichts war es, woraus Mr. Peabodys Vorgarten bestand. Zugegeben, es war der gepflegteste Rasen, den man sich vorstellen konnte. Fast wie im Bilderbuch.

 

Von morgens früh bis spät in die Nacht wachte Mr. Peabody über seinen Augapfel. Erblickte er auch nur einen Grashalm, der sich anmaß zu schnell oder zu schief oder am falschen Platz zu wachsen, stürmte er mit Nagelschere bewaffnet herbei, um dieser Unerhörtheit ein abruptes Ende zu bereiten. Unkraut – in jedem anderen Garten ungehemmt sprießend – hatte in seinem Vorgarten keine Überlebenschancen, zumindest nicht für lange.

 

Wenn Mr. Peabody nicht mit Rasenmaniküre beschäftigt war, dann schaute er dem Rasen beim Wachsen zu. Und nicht nur das, er nahm auch seine Nachbarn quasi als Geiseln, wenn sie nichtsahnend daherschlenderten und ihre einzige Schuld darin bestanden hatte, dass sie in ihrer Zerstreutheit vergessen hatten einen Umweg einzuschlagen, um nicht Mr. Peabody in die Hände zu fallen.

  

Wohlgemerkt, Mr. Peabody wollte seinen Rasen bewundert, aber – God forbid – nicht betreten haben. Kinder, Hunde und dergleichen nichtsnützige Kreaturen, die sich nichtsahnend auf seinen Rasen verirrt hatten, wurden sogleich verscheucht.

 

So war die Situation, bevor Mr. Peabodys sorgsam manikürte Rasenwelt zusammenbrach.

 

Eines unschuldigen Morgens, wie jeden Tag nach dem Frühstück, trat Mr. Peabody mit seiner Nagelschere bewaffnet in den Vorgarten, um seinen Rasen zu inspizieren.

 

Der Schock traf ihn so unerwartet, dass er sogleich zu Boden sank. Mrs. Peabody, nichtsahnend in der Küche am Spülbecken stehend und das Frühstücksgeschirr spülend, sah durchs Küchenfenster ihren Mann umkippen. Alles stehen- und liegenlassend, stürmte Mrs. Peabody in den Vorgarten.

 

„My dear“, rief sie aus. „Was ist denn nur geschehen?“

 

Mr. Peabody, noch keiner Worte fähig – zumindest keiner, die Sinn gehabt hätten – deutete hektisch auf eine Stelle im Vorgarten, wo sich ein frischer Erdhaufen auf dem perfekten Rasen aufgetürmt hatte.

 

„Da, da, da …“, stotterte Mr. Peabody.

 

„Ein Maulwurf“, rief Mrs. Peabody aus. “Das muss ein Maulwurf gewesen sein.“

 

„Nicht auf meinem Rasen!“, protestierte Mr. Peabody, endlich seine Sprache wiederfindend.

 

„Anscheinend doch“, sagte Mrs. Peabody trocken, was ihr allerdings nur einen abwertenden Blick seitens Mr. Peabodys einbrachte.

 

„Wir müssen etwas dagegen unternehmen“, schrie Mr. Peabody. „Und zwar sofort.“

 

Ohne Mrs. Peabodys Antwort abzuwarten, rappelte er sich auf und stürmte in den Schuppen, um Schubkarre und Schaufel zu holen.

 

Sogleich schaufelte er den Erdhaufen in die Karre, glättete die aufgewühlte Erde, und säuberte – Erdkorn um Erdkorn – den unschönen Fleck. Danach stellte er die Grashalme wieder aufrecht, sprengte gleich noch den ganzen Rasen, und siehe da, nach vier Stunden harter Arbeit war der Schandfleck beseitigt.  

 

Am Abend hatte Mr. Peabody sich schon fast wieder von dem Schock erholt. Morgen wird mir alles wie ein schlechter Traum vorkommen, beschwichtigte er sich.

 

„Manchmal kommen die wieder“, murmelte Mrs. Peabody, aber Mr. Peabody beschloss, diese Häresie nicht gehört zu haben. Wie konnte seine Frau nur so unbarmherzig daherreden?

 

Die Nacht wurde trotzdem unruhig, weil Mr. Peabody von Maulwürfen und Erdhaufen geradezu überrannt wurde. Froh, dass es Morgen und Zeit zum Aufstehen war, machte er sich noch ohne Frühstück auf, um seinen Rasen zu begutachten.

 

Der Schandfleck von gestern war wie erwartet weg, aber dafür türmte sich jetzt ein neuer, noch größerer, auf der anderen Seite auf.

 

Zum Glück stand Mr. Peabody neben dem Gartenstuhl, auf den er sich sogleich niederließ, sonst wäre er womöglich schon wieder umgekippt. Diesmal war er nicht entsetzt, sondern wütend. Was bildete sich dieser Maulwurf überhaupt ein?

 

Ohne weiter darüber nachzudenken, wiederholte er die Aufräumarbeiten vom Vortag.

 

Aber der nächste Tag brachte den nächsten Schandhaufen, und den nächsten, und den nächsten, und den nächsten. Sobald Mr. Peabody einen Haufen weggeräumt hatte, türmte sich am nächsten Morgen ein neuer auf.  

 

Mr. Peabody wurde klar, dass er schwerere Geschütze auffahren musste, um diesem Maulwurf zu zeigen, wer der Herr im Hause war.

 

Sogleich zog er sein Jagdgewehr aus der Dachbodenkiste hervor und war auf dem Weg in den Vorgarten, als Mrs. Peabody sich ihm in den Weg warf.

 

„Nur über meine Leiche“, schrie sie dramatischer als es nötig gewesen wäre, aber sie erinnerte sich an den Dramakurs ihrer Jugend und wollte nochmal ‚all in‘ gehen.

 

„Wenn Du jetzt mit dem Gewehr auf den armen Maulwurf losgehst, dann lass ich mich scheiden“, verkündigte Mrs. Peabody.

 

Reumütig verstaute Mr. Peabody das ausgediente Jagdgewehr wieder in der Dachbodenkiste. Einen Ehekrieg zuzüglich zum Maulwurfkrieg konnte er sich unter den gegebenen Umständen nicht leisten.

 

“Choose your battles!“, sagte er sich. “Always choose your battles!“

 

Jede Nacht lag Mr. Peabody nun auf der Lauer. Mal auf dem Bauch liegend im Gras, mal unterm Busch lauernd, mal hinterm Zaun kauernd. Er würde es diesem Maulwurf schon zeigen.

 

Die Nachtwache zehrte an ihm, was zur Folge hatte, dass er tagsüber ziemlich geschlaucht war, und sich somit mehr im Haus als im Vorgarten aufhielt, was wiederum seinen Nachbarn zugute kam, die nun unversehrt an seinem Haus vorbeihuschen konnten ohne den Rasen bewundern zu müssen, der, gelinde gesagt, momentan sowieso keiner Bewunderung wert war.

 

Aber das war Mr. Peabody egal. Ungewöhnliche Situationen erforderten ungewöhnliche Maßnahmen. Schließlich befand er sich im Krieg.

 

Eine weitere Nebenwirkung war, und diese wurde zuerst von Mrs. Peabody bemerkt, dass Mr. Peabody jetzt entspannter war. Er sang. Er pfiff. Er machte Witze mit seiner Frau, was er schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan hatte. Der Maulwurfkrieg tat ihm gut, sonderbarerweise.

 

Und selbst Mr. Peabody wurde sich seiner Veränderung bewusst. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt. Er hatte das Gefühl, wieder zehn Jahre alt zu sein und mit seinen Freunden Cowboy und Indianer zu spielen. Mr. Peabody erwog sogar, ob er sich Kriegsbemalung ins Gesicht pinseln sollte, schließlich war er auf dem Kriegspfad. 

 

Gesagt. Getan.

 

Und so kam es, dass Mr. Peabody bei Sonnenuntergang mit Taschenlampe, Schaufel, Pickhacke, und Kriegsbemalung auf einer Decke im Vorgarten lag und wartete.

 

Mitten in der Nacht wachte er auf, weil er das Gefühl hatte, das ihn etwas angestubst hatte. Als er die Augen öffnete, sah er sich Auge in Auge mit dem Feind, d.h. dem Maulwurf, der auf seinem frischesten Erdhügel sitzend, prüfend auf ihn herabblickte.

 

Aufmüpfig war das Wort, das Mr. Peabody am nächsten Tag benutzte, als er seiner Frau den nächtlichen Vorfall in aller Ausführlichkeit schilderte.

 

„So geht’s nicht weiter!“, tobte er. „Der Maulwurf macht sich über mich lustig.“

 

„Warum fahren wir nicht ein paar Tage weg?“, schlug Mrs. Peabody vor. „Das wird dich beruhigen.“

 

Aber ganz ausgeschlossen!“, empörte sich Mr. Peabody. „Ich kann doch meinen Rasen nicht im Stich lassen.“

 

Und so fuhr Mrs. Peabody alleine weg.

 

„Wirst sehen“, sagte Mr. Peabody zum Abschied, „wenn du zurückkommst, wird alles wieder beim Alten sein.“

 

Aber jeden Tag tauchten mehr Erdhügel auf. Mr. Peabody wusste sich nicht mehr zu helfen.

 

Ermattet blickte er auf das Ausmaß der Zerstörung. War das das Ende seines Rasens? Hatte er wirklich den Krieg verloren? Aber dann fiel ihm etwas auf: Auf einem der Erdhügel wuchs ein Pflänzchen. Mutig hatte es sich durch die Erde gebohrt und streckte sich gen Himmel. Je länger Mr. Peabody auf diesen Sprössling starrte, desto besser gefiel er ihm da oben auf dem Maulwurfhaufen.

 

Und dann hatte er eine Idee. Warum nicht?, sagte er sich, und machte sich auf zum Gartenzentrum, um mehr Pflanzen zu besorgen: fächerartige, zackige, runde, großflächige, zierliche, mit und ohne Blüten, Pflanzen aller Art. Einen ganzen Dschungel kaufte er zusammen. Und weil er schon mal da war, kaufte er gleich noch Flusssteine, und Felsbrocken, und Steinplatten, und allerlei anderes Zubehör. Eine ganz neue Welt tat sich ihm da auf.

 

Zuhause angekommen, machte er sich sogleich an die Arbeit. Er grub. Er pflanzte. Er setzte Felsen. Er arrangierte Flusssteine. Sogar einen Teich mit Goldfischen legte er an. Je natürlicher er seinen Vorgarten gestaltete, desto mehr wildlife siedelte sich dort an. Überall brummte und summte, und kribbelte und krabbelte, und zwitscherte und flatterte es. Mr. Peabody fühlte sich wie im Paradies.

 

Hand in Hand arbeitete er nun mit dem Maulwurf, der ihm mit jedem neu aufgeworfenen Erdhügel zeigte, wo noch was in der Landschaftsgestaltung fehlte.

 

Und siehe da, die Nachbarn, die früher weite Umwege – wenn sie denn daran dachten – um Mr. Peabodys Grundstück gemacht hatten, blieben jetzt stehen und bewunderten freiwillig seinen Vorgarten.

 

Mr. Peabody genoss seine neue Grünfläche so sehr, dass er sogar auf dem Dachboden herumkroch, um seine alten Cowboy-, Indianer- und Soldatenfiguren ausfindig zu machen. Historische Schlachten nachvollziehend, platzierte er sie strategisch in der Landschaft. Herbeieilende Kinder, früher verscheucht und verjagt, lud Mr. Peabody nun zum Spielen ein. 

 

Und dann kam der Tag, an dem Mrs. Peabody zurückkehrte. Sprachlos stand sie vor Mr. Peabodys Meisterwerk.

 

„Meine Güte!“, rief sie aus. „Dem Maulwurf hast du’s aber gezeigt.“

 

„Herb und ich arbeiten jetzt zusammen“, sagte Mr. Peabody stolz.

 

„Herb?“, fragte Mrs. Peabody.

 

„Na, Herb, der Maulwurf!

 

V3; 9835 Zeichen