Von Ingo Pietsch
„Hände hoch und keinem geschieht was!“ Das war es, was Lennard hatte sagen wollen.
Die Angestellte der kleinen Sparkassenfiliale zuckte mit den Schultern und hob die Arme hoch, als hätte sie es tatsächlich richtig verstanden.
Manfred hielt den einzigen Kunden in Schach, der mit gezückter EC-Karte vor einem Automaten stand.
„Verdammt, ich sehe überhaupt nichts“, nuschelte Manfred.
„Was? Ich verstehe kein Wort“, rief Lennard zurück.
„Lenni, du Irrer! Du hast blickdichte Strumpfhosen gekauft!“ Mittlerweile hatte Manfred Löcher in die Strumpfhose gerissen: Zwei für die Augen und eins für den Mund.
„Da kriegt man ja nicht mal Luft durch!“
Auch Lennard hatte versucht, seinen Sinnen mehr Freiraum zu geben. Das Reißen von Stoff erfüllte die Luft. Immerhin lag sein halbes Gesicht frei.
„Mist“, schimpfte er und widmete sich wieder der Angestellten. „Ich will sofort das ganze Bargeld!“
„Große Mengen an Bargeld gibt es nur bei Vorbestellung. Der Tresor ist mit einem Zeitschloss versehen.“, sagte die Frau freundlich, aber mit einem leichten Zittern in der Stimme.
Lennard schaukelte hin und her. Er dachte nach.
Manfred kratzte sich am Kinn und noch mehr Maschen gaben nach.
„Los, alter Mann! Her mit deinem Portmonee!“, entschied er schnell.
„Ich habe kein Geld bei mir. Was glauben Sie eigentlich, warum ich auf der Kasse bin? Ich lasse mir doch nicht von ein paar Möchtegerngangstern meine hart verdiente Rente abluxen. Ich musste für mein Geld früher hart arbeiten gehen.“
„Schnauze!“, blaffte ihn Manfred an. „Dann eben deine Kreditkarte!“
„Visa oder American Express? Hören Sie, junger Mann. Das einzig Wertvolle in meiner Brieftasche ist meine Bonuskarte vom EDEKA. Und die kriegen Sie auch nicht!“
„Lenni, der zeigt sich nicht einsichtig. Ich möchte ihm keine Angst einjagen, sonst macht er sich noch in die Hose.“
„Ich bin alt, aber nicht senil. Und mit dir Junge, werde ich noch lange fertig. Außerdem ist das nur eine Wasserpistole. Ich habe im Krieg gedient, ich erkenne eine billige Fälschung.“
„Lenni, jetzt mach doch was!“, presste Manfred nervös zwischen den Zähnen hervor.
Lennard schoss einmal in die Decke und Staub rieselte herunter.
„Die hier ist echt. Ich meine es ernst. Was ist mit dem Automaten?“
Die Angestellte schielte ängstlich zur Maschine herüber. „Der ist auch zeitgesichert.“
„Na klar. Und wenn er defekt ist?“
„Da können wir nichts machen. Dann kommt ein Geldtransportunternehmen und repariert das Ding.“
Lennard schüttelte den Kopf. „Sie zahlen doch auch sicher so Geld aus?“
„Nur bei Vorbestellungen.“
„Argh.“ So kam Lennard nicht weiter.
„Lenni beeil dich. Die hat sicher schon den Alarmknopf gedrückt.“
„Ich habe in meinem ganzen langen Leben noch nie solche Hohlköpfe getroffen“, die alte Mann schüttelte den Kopf.
„Halt die Klappe, Alter. Sonst erlebst du deine nächste Rentenauszahlung nicht mehr“, drohte Manfred dem Rentner und ergänzte kleinlaut: „Lenni!“
„Was ist da hinten drin?“ Lennard zielte mit der Pistole hinter die Bankangestellte, die sich prompt umdrehte.
„In dem Sack sind Bonbons für die Schulkinder, die uns besuchen kommen.“
„Nein“, meinte Lennard genervt. „Die Säcke da, auf dem Bollerwagen.“
„Sind Sie wirklich so verzweifelt?“, tatsächlich hörte Lennard Mitleid in der Stimme der Angestellten.
„Spielschulden. Aber das geht Sie gar nichts an. Also, was ist da drinnen?“
„Centstücke. Damit wurden Brautschuhe gekauft. Sie kennen doch die alte Tradition? Da in dieser Filiale nicht so viel los ist, zählen wir die Münzen und rollen Sie dann ein. Wollen Sie die wirklich mitnehmen, die sind richtig schwer!“
„Das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Manni, komm her.“
Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen.
Doch allein ein Sack war so schwer, dass ihn kaum einer allein heben konnte.
„Ich gehe hier nicht mit leeren Händen wieder raus. Wir müssen das Geld auf unsere Sporttaschen verteilen.“
Sie rissen die Säcke auf und schütteten die ganzen Münzen in die Taschen, worauf diese sich nicht mehr hochheben ließen.
Manfred war ein ganzes Stück kleiner als Lennard und auch nicht so stark. Obwohl er mit ganzer Kraft zog, bewegte sich die Tasche nicht ein Stück vorwärts. Er ließ die Trageriemen locker und zerrte dann so fest daran, dass die Tasche in zwei Teile zerriss.
„Die kommen nicht weit“, meinte die Angestellte.
„Das sehe ich genauso“, gab der Rentner zurück.
„Lass die liegen, Manni, hilf mir lieber mit meiner Beute.“ Zu zweit schafften sie es bis zum Auto, wo sie auf Rosi trafen.
***
Rosi war gemütlich von einer Parkuhr zur nächsten geschlendert.
Immer bereit, den Fotoapparat zu zücken, um dann ein Ticket auszustellen.
Bis zu ihrem Tagessoll fehlte nicht mehr viel, das gab eine dicke Provision!
Rosi tat nur ihren Job, so wie andere es taten. Doch hatte sie sich ein ums andere Mal schon ziemlich grässliche Beleidigungen anhören müssen.
Ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit ließ sie auch jetzt wieder nicht im Stich.
Vor einer Sparkasse parkte ein alter Ford Fiesta. TÜV abgelaufen. Parkuhr auf Null. Und der Wagen stand sogar auf einem Behindertenparkplatz!
Das wird teuer, dachte sie sich und grinste vor sich hin.
Sie machte Fotos, stellte den Schein aus und wollte jemanden per Funk rufen, um den Wagen abschleppen zu lassen.
Plötzlich schoss ihr eine Gedanke in den Kopf: Bis dahin könnte der Besitzer schon längst geflohen sein.
Sie sah sich nach allen Seiten um, drehte die Kappe eines Reifens auf und steckte den Kugelschreiber in das Ventil, damit die Luft entwich.
Zufrieden verschränkte sie die Arme und genoss den Anblick ihrer Arbeit, als sie von hinten angerempelt wurde.
Sie drehte sich um, erkannte unter den zerfetzten Strumpfhosen ihre ehemaligen Klassenkameraden und rief erstaunt: „Lenni und Manni! Kommt ihr von einer Kostümparty?“
Als hinter den beiden das Sparkassensymbol erkannte, erbleichte sie.
Lennard ließ die Tasche fallen und Manfred bekam gefühlte zwei Zentner Münzen auf seine Füße.
Lennard zog sich den Rest der Strumpfhose vom Gesicht. „Kann es noch schlimmer werden?“
***
Und da ertönten auch schon Polizeisirenen, die auch Herrn Bohnenkamp aufhorchen ließ, der sich gerade ein Pfeifchen anzünden wollte.
Etwa fünfzehn Meter entfernt hatte er sich tänzelnd dem Tatort genähert.
Lässig pfiff er eine Melodie und warf dabei ab und zu seine Aktentasche in die Luft.
Die Musik, der gestrigen Ballettvorstellung lag ihm noch im Ohr. Doch hatte es die Musik ihm weniger angetan, auch die Inszenierung nicht oder die sterbenden Schwäne. Nein, die Balletttänzer waren es, die sein Blut in Wallung brachten.
Nein, es war der pure Neid. Die Eifersucht, mit so einer grazilen Leichtigkeit über die Bühne fliegen zu können.
Er streichelte über seinen Bauch. Solche Bewegungen, wie im Ballet, waren ihm leider verwehrt.
So drehte er noch eine unbeholfene Pirouette, bevor er stehenblieb und seine Pfeife aus der Aktentasche holte. Dann zog er ein Streichholz aus einer Schachtel, rieb es daran und ließ es aufflammen.
***
Das Anratschen verhalf zwei Bauarbeiten zu einem Pulsschlag, den sie nie zuvor gekannt hatten.
Eben noch waren sie mit ihrer Mittagpause beschäftig gewesen.
Sie steckten zu Füßen eines Friseurladens in einer Erdgrube und legten ein Rohr frei.
Dabei beobachteten sie Manfred, Lennard und Rosi, wie sie lautstark miteinander diskutierten. Die Bankräuber sahen albern aus, mit ihren zerrissenen Strumpfhosen.
Laut lachten die Bauarbeiter.
Sie aßen ihre Brote zu Ende und amüsierten sich herrlich bei dem Spektakel.
Dann gingen sie voller Tatendrang wieder ans Werk.
Herr Bohnenkamp lief an ihrer Baustelle vorbei und als er leichten Fußes umhersprang, tippte der eine den anderen an und musste kichern.
Einer von ihnen schlug mit seiner Spitzhacke daneben und erwischte ein Rohr.
Doch es trat kein Wasser aus. Nur ein Zischen war zu vernehmen und ein unangenehmer Geruch.
Und das Ziehen eines Streichholzes über eine Schachtel …