Von Susanne Rzymbowski

 Ich hatte die Anzeige im Kleingedruckten eines Regionalblattes entdeckt. Sofort war meine Neugierde geweckt.

„Wir laden ein zur Selbsthilfegruppe für Gelangweilte“ stand in schwarzen Lettern in einem Kästchen. „Treffen jeweils Mittwochs von 20:00-21:00 Uhr im Kolpinghaus „Gute Aussicht“.

Da meine EDV-Kurse abgeschlossen waren und auch der Fotoshop-Kurs von der VHS nichts mehr herzugeben schien, war dies doch die willkommene Abwechslung für mich! Denn um ehrlich zu sein, sehnte ich mich nach neuen Herausforderungen. Ich war irgendwie zu eingefahren und in meinen Alltäglichkeiten so gefangen, dass mich die ewig gleiche Routine schon richtig mürbe machte. Vielleicht gab es dort ja ein paar Anregungen – zumindest baute ich darauf.

Also googelte ich die Adresse, gab sie in meinen Navi ein und konnte es kaum erwarten, mich auf den Weg zu machen. Wer da wohl so hin ging? Ein Testbesuch war es alle Male Wert.

Am nächsten Tag machte ich mich also auf den Weg und war gespannt auf die übrigen Gelangweilten, die ich nun treffen würde.

Meine Laune trübte sich, als ich mich durch die vollen Strassen quälte und etliche Runden drehen musste, bevor ich endlich einen Parkplatz fand, der sich etwas abseits gelegen zum Kolpinghaus befand. Dann klemmte auch noch die verdammte Parkuhr und ich konnte ihr weder Geld noch Ticket entlocken. Ich trommelte wie wild auf dieses blöde Ding, blieb jedoch erfolglos. Das war ja mal wieder typisch! Der Abend fing gut an. Im Geiste formulierte ich schon meinen Beschwerdebrief, sollte ich ein Knöllchen erhalten.

Auf meinem Fußweg durch die Kälte kam ich an einem Friseur vorbei, der tatsächlich noch um diese Uhrzeit geöffnet hatte.  Ich sah einen einzelnen Kunden, eine alte Dame, die sich ihre silbergrauen Strähnen auf Lockenwickler drehen ließ. Hat die nicht den ganzen Tag Zeit dafür? dachte ich bei mir. Ist doch wirklich eine Zumutung für so ein paar Einzelfälle so lange geöffnet zu haben. Gut dass ich nicht in einem Ladengeschäft arbeiten muss, dass sind ja Zeiten, die kaum noch Luft lassen für irgendetwas.

Fast kopfschüttelnd ging ich weiter und beschleunigte meine Schritte, denn ich war durch die endlose Parkplatzsuche nun doch spät dran und wollte nicht beim ersten Treffen zu spät sein.

Etwas abgehetzt erreichte ich die „Gute Aussicht“.

Natürlich nirgendwo ein Schild, das auf die Gruppe hinwies. Also eilte ich suchend durch die Gänge.

Ich öffnete die erste Türe: Leise klassische Klänge schlugen mir entgegen und ich schaute ungläubig in eine Ballettgruppe schon etwas betagteren Semesters, die in ihren Spitzenröckchen und weißen Strumpfhosen die ein oder andere Pirouette drehten.

Was für ein Schauspiel!

Auf Spitzenschuhen trippelte mir die Trainerin entgegen und fragte mit dünner Stimme: „Sie wünschen?“

Ich wusste selbst nicht, was ich mir in diesem Moment wünschte, also antwortete ich knapp: „Ich suche eine Gruppe, die hier tagen soll.“

„Was für eine Gruppe?“

Ja hätte ich der jetzt sagen sollen eine Selbsthilfegruppe für Gelangweilte? Nein, das kam mir nicht über die Lippen.

So entgegnete ich wohl eher schroff: „Eine Gesprächsgruppe soll hier von 20:00-21:00 Uhr tagen.“

„Da kann ich ihnen nicht weiterhelfen, vielleicht versuchen Sie es einmal im 1. Stockwerk.“

„Vielen Dank“ erwiderte ich kühl und ließ Klassik und Anmut hinter mir.

Nun stand ich also wieder auf diesem langen Korridor – und jetzt meldete sich auch noch meine Blase. Also ging ich wieder zurück, Richtung Eingangstür, da ich meinte, dort eine Toilette gesichtet zu haben.

Nachdem ich mich erleichtert hatte, machte ich mich also nun auf ins erste Stockwerk. Ich konnte es eigentlich nicht fassen, dass man hier so mutterseelenallein durch das Gebäude streichen konnte, ohne irgendeinen Ansprechpartner. Was da doch nicht alles passieren könnte!

Hinter der nächsten Türe verbarg sich eine Sprachgruppe. Ich schätzte die Teilnehmer alle ab 40 aufwärts. Männlein wie Weiblein drückten die spartanischen Schulbänke und schienen ganz vertieft in ihrer Lektüre.

„Gesprächsgruppe? – Nein, da weiß ich nichts von. Aber gehen sie doch mal ans Ende des Ganges, da ist noch so eine Thai-Chi-Gruppe, vielleicht können die ja helfen.“

Ich also weiter – langsam wurde es mir wirklich zu bunt!

Ich öffnete die Türe und traute meinen Augen nicht, was ich da sah.

Kranich ! – Ich sage nur Kranich.

Nachdem sich der Trainer aus seinen Verschlingungen gewunden hatte, antwortete er nur lauthals voller Schweiß triefend: „Ach, sie meinen die Gelangweilten?!“

Ich wurde rot. Wie konnte der das nur so herausposaunen?

Alle Köpfe drehten sich zu mir um und ich hatte das Gefühl, als wenn sie mich tadelnd anblickten.

Ich räusperte mich und sagte recht leise:

„Ja, da bin ich auf der Suche.“

Der Trainer lächelte mich nun an, kramte in seiner Brusttasche und überreichte mir ein Streichholz mit den Worten: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst!“ 

Ich schaute ihn sprachlos an.

Ich glaube sogar mein Mund stand für einen Moment offen.

„Ja, die Gruppe hat sich wieder aufgelöst. Das war den meisten wohl zu langweilig. Jedem der noch kommt, soll ich aber noch dieses Streichholz überreichen.“

 

Irgendwie beschämt schlich ich mich von dannen. Nicht, dass ich mich geärgert hätte, ich war eher peinlich berührt und starrte wie gebannt auf dieses kleine Streichholz. Es war für mich wie eine Weisung der ganz besonderen Art.

Gelangweilt hab ich mich seit diesem Abend jedenfalls nicht mehr.