Von Jochen Ruscheweyh
Ich hasse Pärchenabende. Zumindest, wenn ich mit meinem Drummer auf die Piste gehen soll.
„Jetzt zieh nich‘ so ’ne Fresse, Woody, das wird bestimmt ganz lustig“, holt mich die beste Steffi der Welt aus meiner Denke zurück.
Ich sag: „Ey, komm, du weißt genau, was Beckmann für’n beschissener Poser sein kann. Also, wenn er ’n schicken Abend mit seiner neuen Perle verbringen will und wir dringend dabei sein sollen, warum fragt er dann dich und nicht mich?“
Wir warten auf das Taxi, auf das Beckmann bestanden hat, mit dem Estelle und er uns abholen wollen. Das is‘ maxi Bonzen-Style, der mir überhaupt nix gibt, aber wenn Becki meint, und er ausnahmsweise mal bezahlt …
„Du siehst echt sexy aus, mein Klassik-Hase.“
Ich sag: „Komm verarsch mich nich‘, Steffi, ich komm mir schon bescheuert genug vor.“
Sie drückt mir ’n Knutscher auf. „Quatsch, ich mein’s ernst.“
Gut, ich war noch nie so der Lederjacke/Kutte-Typ, aber ich hasse nix so, wie seine Garderobe irgend ’nem Piss-Anlass anzupassen. Andererseits bin ich ja lernfähig und weiß seit unserem Big Krach, dass die beste Steffi der Welt ab und zu drauf steht, sich anlassbezogen aufzubrezeln, weswegen dieses Büro/Kostüm-Ding bei der BFA auch nie ’n Problem für sie war. Ich bin heute also als Man in Black unterwegs im Sakko, das ich mal prophylaktisch für die Beerdigung meiner Alt-Nazi Tante Hildegard gekauft hab, die sich aber wieder top erholt hat und gar nich’ dran denkt, den Löffel ab- oder ihre Bude aufzugeben, geschweige denn ihr NSDAP Parteibuch, das sie bei jedem Besuch rausholt.
O.k., unser Pissanlass heißt Schwanensee und Becki hat sich das ganz schön was kosten lassen. Aber als BWL Student wird er den Abend sicher vorher durchkalkuliert haben, also, was unterm Strich so Estelle an sich binde – mäßig rauskommt.
Apropos kommen: Das Taxi kommt und dann seh ich ’ne Viertelstunde Beckmanns beschissenen langen Hals auf dem Beifahrersitz vor mir hin und herwippen – ’n bizarres foreshadowing auf die Schwanthematik, während Steffi und Estelle sich beschnüffeln. Ich find sie nich‘ richtig hübsch, eher so mittlerer Durchschnitt und sie is’ mir definitiv zu dünn, aber irgendjemand wird’s wohl tun, also sie hübsch finden, wenn die tatsächlich ihre Kohle damit verdient. Es gibt wenig Input-Chancen, als die beiden sich über die Konsistenzen von MakeUps austauschen, also geh ich im Kopf lieber ’n paar Riffs durch und hör grad noch rechtzeitig damit auf, um mitzubekommen, dass Becki auf den Mercedes Stern auf dem Lenkrad zeigt und dem Fahrer mit offensichtlich baltischen Wurzeln erklärt, dass Edzard Reuters legendäre Rede vor den Daimler Benz Aktionären ihn zu seiner aktuellen Hausarbeit inspiriert hätte. Ich schnipp Beckmann von hinten gegen seinen Scheißkopp und sag: „Ey, Beckmann, damit bist du sowas wie der Rudolf Diesel des Heavy Metal!“
Die Mädels latschen vor, über den Theaterplatz, den ich eigentlich nur vom Flohmarkt kenne, Beckmann und ich fünf Meter dahinter. Ich sag: „Ey, Beckmann, was soll die Nummer hier? Ballett war mir schon immer zu schwul, wenn da so ’n Ober-Vorturner in Strumpfhose rumhüpft. Und wenn du was von mir willst, dann ruf mich an oder frag mich beim Proben, aber versuch’s nich‘ durch die Hintertür bei Steffi.“
Er bleibt stehen und erklärt mit so ’nem richtig beschissenen Grinsen: „Dann wärst du nicht mitgekommen.“
Ich hätt nich‘ übel Bock, ihm eine reinzuhauen, verkneif’s mir aber und sag stattdessen: „O.k., wenn du für ’n Romantik-Abend vier brauchst, hättste vielleicht besser ’n Tisch im Sauna Club Paradiso reserviert.“
„Du musst mal dein Yin&Yang wieder ins Lot bringen, Wuttke, du bist so unentspannt.“
„Ey, du hast echt beschissenes Glück, dass ich grad keinen Bock hab, ’n neuen Drummer zu suchen.“
O.k., wenn dieser Kackabend ein Gutes hat, dann, dass ich mich wie blöd auf den Moment freu, wenn ich endlich mal an ’nem Einlass vorbeikomm, ohne von ’nem minderschlauen, adipösen, verschwitzten Security-Wichser abgetastet zu werden. Ich will das grad verkünden, als Beckmann dagegen hält: „Ich such eben unsere Einlass-Connection. Bin gleich wieder da.“
Und weg isser.
Ich schließ zu Steffi und Estelle auf, und irgendwie denk ich, hätt ich wissen müssen, dass ’n Typ wie Beckmann nich’ in ’n Ticket-Shop latscht und vier Ballett-Karten ordert und noch ’n Taxi bezahlt.
„Mädels“, sag ich, weil das immer geil klingt, Mädels zu sagen, „der Beck-Boy is‘ noch ’n bissi mit dem Tuning des Abends beschäftigt. Wir müssen uns solange selbst entertainen. Und wenn er zurückkommt, knutsch ich ihn und er verwandelt sich von in unserm Fall hässlichen schwarzen Schwan in … na, was hör ich?“
Estelle klatscht in die Hände als wär sie grad 11 geworden und hätt ’n Wendy-Abo bis zur ersten Schwangerschaft geschenkt bekommen und quiekt: „In den jungen Wolfgang Joop!“
„Hmm, ich denk, der is‘ aus. Du kannst den 42 jährigen Wolfgang Petry haben.“
Sie scheint das zu visualisieren, weil sie die Fresse verzieht und: „Näh!“ stöhnt.
Steffi legt den Arm um sie und sagt was, das so abgrundtief böse is’, dass es selbst Slayer nich’ als hidden track oder backward message auf ihre nächste Scheibe pressen täten: „Du, Esti“ – die beiden scheinen sich schon sehr angeschmust zu haben, denn das klingt nach Maxi Cosi Nami – „Woody is‘ so’n Grobmotoriker, kannste dem nich‘ mal einen ordentlichen Walk beibringen?“
Spaßbremse oder expressiver Künstler, ich entscheid mich für letzteres und lauf nach Anweisung von Esti auf die beiden zu, dann wieder weg und zurück, bin angeblich nicht elaborated genug, aber als ich den Rücken grad mach, meint sie, ich tät wie ’n aufgeklapptes Schweizer Offiziersmesser rüberkommen. Ich sag: „Is’ doch supi, ich steh auf multi-funky.“ Aber sie will mehr emotion, mehr esprit, mehr to the heart.
„Du meinst, ich soll das Modeln eher herzensmäßig und nich’ als kurze Fickbekanntschaft sehen?“, hör ich nach. „Ich bin aber eher für die Neue Dortmunder Kühle.“
Esti knabbert an ihrer Lippe und verkündet dann: „Jetzt weiß ich, welcher Typ du bist: definitiv styletto heels. Und die simulieren wir jetzt.“
Ich muss meine VANS ausziehen und Esti nimmt meine Einlegesohlen raus, rupft sich selbst die Schulterpolster aus ihrem Blazer, stopft die, ‚n paar Slipeinlagen und den scheinbar unwichtigen Teil des Inhalts ihrer Handtasche hinten an den Hacken in meine Schorken rein, drückt die E-Sohle wieder drüber und fordert mich auf: „Los, anziehen!“
Ich stöhn: „Ey, das is‘ mir jetzt aber ’n bissi drüber“, während ich wie auf ’ner künstlichen schiefen Ebene loseier. Aber ich komm nich‘ so weit, weil ich Pavarotti, unserm Sänger samt Anhang – der deutschen Helga und Töchterchen Lonna Lindsey im Kinderwagen – in die Arme lauf.
Er guckt wie ’ne abgelaufenen Parkuhr. „Wat machs’ du ’n hier, Wuttke?“
Dasselbe könnt ich ihn fragen, weil er im Dortmunder Norden wohnt und ich keinen Grund für ’n Spaziergang hier seh. „Ich bin ’n Model und ich seh geil aus“, sag ich.
Esti kommt mir zur Hilfe: „Ich coache ihn laufstegkompatibel.“
Pavarotti zieht seine Kutte grade, streckt seine Brust raus und stellt fest: „Getz zeig ich dir ma’ ’ne geile Choreo. Pass upp, der Propeller.“
Und fängt an wild drauflos zu bangen.
Pavarottis Kirsche is‘ schon so rot wie die Eichel von Joey Silvera in Foxy Lady 8, als er brüllt: „Front Row Banger!“, seine Arme ausstreckt, als tät er sich auf ’ner Bühne abstützen und seine Rübe kreisen lässt. Ich weiß nich’, was es is’, das ich in Estelles Augen seh, aber ich kann’s auch nich’ weiter analysieren, denn Pavarotti kreischt: „Katamaran, Wuttke!“, legt den Arm um meine Schulter und fordert mich zum Synchron-Bangen auf.
„Na, wat sachse?“, erkundigt sich der Pave-Man, „da kokst dein Friseur, wat Frollein?“
Sie bleibt die Antwort schuldig, denn Beckmann is’ plötzlich back, und zwar in Begleitung seiner Gras-Connection, spielekonsoleabhängigen, dauerschnarchnasigen Ex-Schulkumpeline Elsa.
Die trägt irgendso ’ne Schürze mit Theaterlogo drauf, die sie unzweifelhaft als studentische Sektschubse outet und ringt sich ’n gegähntes „Hallo, Leute!“ raus.
Becki eröffnet: „Der Plan ist folgender: Elsa geht gleich wieder rein und macht uns ein Kellerfenster an der Südseite des Nebengebäudes auf.“
Ich stütz mich bei Steffi ab und sag: “ Logo, und dann geben uns Baron Trelawny und Dr. Livesey Feuerschutz und wir verschanzen uns im Blockhaus vor Flints Männern.“
Und Pavarotti: „Alter, Karl May rockt so wat von!“
„Pass mal auf, Wuttke, du könntest schon etwas Dankbarkeit zeigen, dass ich dir und Steffi einen Klassik-Abend für lau organisiere“, beschwert sich Beckmann.
Ich versuch einen meiner VANS abzustreifen und sag: „Ey, Beckmann, mach von mir aus weiter in Im- und Export, aber lass mich demnächst mit so ’ner halbgaren Scheiße zufrieden.“
Elsa knipst sich n’ Streichholz aus so ’nem Heftchen, macht sich ’n Graslümmel an und fragt: „Also, soll ich das Fenster jetzt aufmachen oder nicht?“
Estelle stellt den Beck-Boy zur Rede: „Wer ist das überhaupt?“
Und er: „Na, Elsa.“
Darauf Estelle: „Elsa, meine Bekannte, Elsa, meine Ex-Freundin, Elsa, meine Studienkollegin?“
Beckmann scheint überfordert: „Ja, nee, Elsa einfach.“
Und Elsa: „Genau, Elsa. Wie Elsa Fitzgerald, aber ich hör kein Jazz, zu stressig.“
Ich hab den zweiten VANS abgestreift und sag: „Ey, ich komm mir grad vor wie in bei einem von diesen französischen Kunstfilmen, wo ich immer den Plot such. Oder is’ das jetzt grad der Konflikt?“
„Oh, Scheiße!“, meint Elsa. Und als ich mich umdreh, fährt ’n Bullen-Mannschaftsbus auf den Theatervorplatz. Das smellt nach Ärger, zumal einige von denen Zoll-Westen anhaben.
Es wär dringend Zeit, dass von unserer Seite was Deeskalisierendes kommen tät. Tut’s aber nich’, eher das Gegenteil, weil, die deutsche Helga drängt sich an Pavarotti vorbei, zieht ’n Zehner aus der Tasche, schmeißt ihn den Bullen hin und meint: „Hier, Bullen, holt euch Pizza.“
’n paar Sekunden später lieg ich wie alle außer Lonna Lindsey mit kabelbinderfixierten Händen auf’m Boden und frag mich, warum zur Hölle Beckmann uns überhaupt dabei haben wollte?
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