Von Klaus Freise
Strickland`s Gemischtwaren seit 1870 Inh. Abraham Strickland
„Wir haben alles was Sie brauchen. Was wir nicht haben, brauchen Sie auch nicht.“
Irgendwo zwischen Memphis im Norden und New Orleans im Süden liegt das tausend dreihundert Seelen-Örtchen „Duck Hill“. Um dorthin zu gelangen müsste man die Interstate 55 verlassen. Aber warum sollte jemand das tun?
Abraham Strickland, den alle nur „Abe“ nannten, öffnete seinen Laden pünktlich um 7:30 Uhr.
Er nahm den Besen, fegte den Fußweg vor dem Geschäft und baute seine Werbeschilder, die Schubkarren und Gartengeräte auf. Anschließend stellte er den Zeitschriften- und Postkartenständer an seinen Platz, wobei er die Tageszeitungen sortierte und vergilbte Straßenkarten nach hinten steckte. Danach wurde noch der Papierkorb neben die Tür gestellt und die Markise ausgerollt. Erst dann schob er die Auslagen mit frischen Obst und Gemüse vor sein Schaufenster. Er besah sich noch einmal seine Auslagen und zupfte die Abdeckung von der Parkuhr vor seinem Geschäft. Um kurz vor acht fuhr Deputie-Sheriff Maggie Foster vor.
Ganz Gentleman, öffnete er die Tür ihres Streifenwagens, während Maggie sich keuchend aus dem Sitz hievte.
„Mein Gott, Abe, jetzt lass doch. Die Leute reden ja schon.“ Doch Abe grinste nur und sagte:
„Oh Maggie, solange sie nur über meinen Laden reden ist alles gut. Ich habe frische Äpfel und sogar saftige Melonen rein bekommen. Möchtest du?“
„Verdammt, Abe. Hör auf mich aufzuziehen. Hast du Donuts?“
Trotz seiner fünfundsiebzig war Abe drahtig und hielt sich immer aufrecht. Aus seinem sonnengegerbten Gesicht funkelten zwei spitzbübische blaue Augen.
Im Laden hakte er die Daumen hinter die Hosenträger und säuselte:
„Die mit Streuseln oder Schokoüberzug?“ Wobei er eine Papiertüte vom Spender zupfte und sogar noch eine rotweiß gestreifte Zuckerstange einpackte.
Maggie streckte die Hand aus und sagte:
„Schreib`s an, Abe. Du Zuckermann.“
Doch der lies die Hand mit der Tüte hinter seinem Rücken verschwinden und starrte an die Decke, wo ein Ventilator aus den fünfziger Jahren vor sich hin eierte.
„Da wären inzwischen zwölf Doller fünfzig offen, Maggie.“ Dabei schlug er sein Kassenbuch auf und tippte mit seinem knochigen Finger auf einen Eintrag.
„Herrgott, Abe, jetzt stell dich nicht so an.“
„Zwölf fünfzig, Maggie und die Parkuhr hast du auch nicht gefüttert.“
Lachend schob sie das Geld über den Tresen. „Du hältst den Laden schon aufrecht, Abe. Wir sehen uns dann heute Mittag.“
Der nächste Kunde kam in einem weißen Lieferwagen. Vermutlich falsch abgebogen, dachte Abe. War er aber nicht.
Sehr aufmerksam sah sich der Kunde um. Er trug Jeans, T-Shirt, ein offenes kariertes Hemd, und Sonnenbrille. Mit dem Finger deutete er auf ein Schwarzweißbild, was neben dem Eingang hing. Darauf war ein Pferdegespann mit mehreren Personen abgebildet. Auf dem Wagen stand. „Fahrender Hufschmied, Schafscherer und Barbier.“
„Ihr Urgroßvater, nehme ich an?“, sagte der Fremde. Abe gab skeptisch zurück:
„Ja, so hat alles mal angefangen. Was kann ich für Sie tun, Mister?“
„Oh, ich sehe mich nur um. Diese alten Emaille-Schilder, verkaufen Sie die auch?“
„Die Werbung für Zigaretten und Motoröl? Was wollen Sie denn damit? Eine Kneipe in New Orleans wollte mir zweihundert Dollar geben. Aber ich denke für dreihundert können Sie die haben.“ Abe lächelte und war wieder ganz in seinem Element.
„Nehmen Sie sich einen Einkaufskorb, Mister. Hier gibt’s noch viele Dinge, die Sie bestimmt interessieren.“
Der Fremde murmelte leise:
„Dreihundert … spinnt wohl.“ Nahm sich einen Korb, aber Abe sagte gleich:
„Nicht den Korb, der ist für den Verkauf bestimmt, kostet vier Dollar. Den Weidenkorb, der ist für Kunden.“
Verdutzt nahm der Fremde den Hausfrauenkorb und stöberte durch den Laden, der zwar sehr schmal war, dafür aber fast zwanzig Meter in die Tiefe ging.
Abe ließ den Mann über die halbrunden Deckenspiegel nicht aus den Augen. Er stufte den Kunden als verdächtig ein.
Nach eine Weile kehrte der mit gefüllten Korb an Abe`s Tresen zurück.
„Na, was gefunden, Mister?“
„Ach nur ein paar Kleinigkeiten.“
Abe nahm den Korb, schlug sein Kassenbuch auf, steckte jeden abgerechneten Gegenstand in eine Papiertüte und notierte akribisch:
„So, was haben wir denn da: Ein Einweg-Maleranzug, weiß. Eine Wäscheleine, extra stark. Eine Rolle Gewebeklebeband, silbern, fünfundzwanzig Meter. Ein Brecheisen, geschmiedet fünfundzwanzig Zoll.“
Abe stutzte, hob die Ware hoch und sagte:
„Eine Damenstrumpfhose, Nylon.“
Der Kunde erklärte hastig:
„Für meine kleine Tochter. Ballettunterricht, verstehen Sie?“ Abe verstand. Sehr verdächtig. Er betrachtete die Größe und murmelte:
„Schon erwachsen, die Kleine.“
„Haben Sie Camel-Filter?“
Ohne sich umzudrehen deutete Abe mit dem Daumen hinter sich.
„Nur noch Luky Strike. Stange oder Packung?“
„Eine Packung. Feuerzeug?“
„Nur Streichhölzer, Mister.“
„Ah, okay. Dann Streichhölzer.“ Dabei sah er aus dem Schaufenster. Maggie war wieder da.
„So, das macht dann achtundvierzig Dollar fünfzig. Mister? Hallo?“
Der Kunde rieb sich das Kinn und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er nahm seine Geldbörse aus der Gesäßtasche und legte fünfzig Dollar hin.
„Stimmt so. Was tut die Dicke denn da?“ Maggie hatte ihren Block aufgeschlagen und notierte das Kennzeichen des Kunden.
„Tja Mister, Sie hätten die Parkuhr füttern sollen. Das ist Maggie, sie kann ganz nett sein, wenn sie keinen Hunger hat.“ Abe sah auf die Uhr.
„Und um diese Zeit hat sie meistens Hunger.“
Der Fremde stellte die Tüte auf den Tresen und lief zur Tür. Dabei sah Abe an dessen Rücken das hochgerutschte Hemd.
Äußerst verdächtig. Schnell griff er aus der Tüte einen Gegenstand und lief hinterher.
„Jesses, Abe, musstest du gleich so hinlangen? Hat der kein Trinkgeld gegeben oder was?“ Maggie und Abe sahen auf den Mann am Boden.
„Ach, ich hab nur ganz leicht …“, er wog das Brecheisen in der Hand. „Sieh dir das mal an, Maggie.“ Dabei schob er mit dem Eisen das Hemd des Bewusstlosen hoch.
Maggie bekam große Augen.
„Verdammt, eine Pistole. Woher wusstest du das?“ Dann wollte sie sich vorbeugen und dem Verdächtigen Handschellen anlegen, kam aber mit hochrotem Kopf wieder hoch.
„Scheiße, könntest du bitte mal …Abe?“
Langsam kam der Mann wieder zu sich. Jetzt trug er Handschellen. Maggie hatte über Funk Meldung gemacht.
„Stell dir vor, das Kennzeichen wurde in Idaho gestohlen und vorbestraft ist der auch. Jetzt kommst du in die Zeitung, Abe. So mit Bild und allem.“ Sie drückte den alten Mann an sich.
„Was hat der Typ eigentlich gekauft, Abe?“
„Ach, nur ein paar Kleinigkeiten, Maggie, nur Kleinigkeiten.“