Von Glädja Skriva

Sie hatte wieder einmal ihre Strumpfhose geschickt in die Parkuhr gestopft, so, dass sich diese nicht weiterdrehen konnte. Dann stöckelte sie zu dem schmutziggrauen Haus. Knallenge Jeans. Enganliegender Pulli. Wallendes, schwarzes Haar, dessen Locken sie nachlässig mit einer großen Hornspange zusammengefasst hatte. Ein Strähne hing ihr ins angestrengte Gesicht.

Sie klingelte mit ihren rot lackierten Fingernägeln und hielt wenige Minuten später ihr Visitenkärtchen vor den Türspion. Carla. Carla Caro. Caro, wie das lateinische Wort für „Fleisch“. Mobile Friseurmeisterin. Stets zu ihren Diensten.

Rupert schlurfte zum Türspion. In seinen 50iger Jahren old school Hausschuhen aus abgewetztem Cordstoff mit stinkenden Felleinlagen. Vorne den großen Zeh durchgestossen. e.

„Komm schon.“

Er hatte aufgedunsene Hängelider, die man nur mit einem Streichholz hätte offenhalten können. Seine krächzende Stimme vermischte sich mit dem Schlurfen seiner Pantoffeln. Er öffnete die Tür und Carla plumpste herein.

„Hi.“

Sie nickte ihm zu und wackelte mit ihrem bombastischen Hintern in die Wohnung.

„Du hast mich angerufen. Was willst du heute von mir? – Haareschneiden? Mit oder ohne Waschen?“

Er schaute sie aus seinen glasigen Augen an und kratzte seinen verwilderten Bart. Carla zauberte währenddessen aus ihrer Minitasche einen knallpinken Friseurumhang, den sie um seinen speckigen Hemdkragen legte.

Sie war nicht empfindlich. Sie war lange genug im mobilen Geschäft, dass sie mit Rottweilern, die sie abschleckten, genauso umzugehen wusste, wie mit Kindern, die sich ängstlich vor dem ersten Haarschnitt hinter dem Rücken ihrer Mutter versteckten. Sie alle kamen zu ihr. Männer, die sie anbaggerten, genauso wie Sekt trinkende Bräute und Frauen, die nach dem Verlust ihrer Haare nach der Chemo wieder hübsch aussehen wollten.

Sie kamen zu ihr, weil sie Geduld hatte und zuhören konnte und sich Zeit für sie nahm. Weil bei ihr auch nicht alles rund lief, aber sie sich immer wieder hochrappelte, mit einem Spieler an der Backe, einer Mama in Italien und einer Tochter mit einem Kind, bei dem sich der Erzeuger aus dem Staub gemacht hatte. Einem süßen Enkelkind, das sie manchmal den Kundinnen auf den Schoß setzte, die entzückt Hoppehoppe Reiter mit ihm spielten, worüber sie einmal die Dauerwellenflüssigkeit verwechselt hatte. Mamma mia!

Carla griff in Ruperts Haare.

„Und ich soll sie wirklich nicht waschen?“

Rupert bewegte sich träge. Kleine Schweinsäuglein nahmen sie ins Visier.

„Kostet auch nichts extra. Ich kann ja dein Shampoo verwenden.“

Rupert wandte den Kopf und blickte dumpf durch das dunkle Wohnzimmer zur Terrassentür, die in gleißendem Sonnenlicht lag. Jetzt konnte Carla die feinen Porzellanrosen riechen, deren Duft vom Garten hereinströmte. Sie meinte draußen sogar ein zartes, zerbrechliches Mädchen zu erkennen, das in seinem Ballettröckchen über die Blumenwiese schwebte.

„Oh, du hast – Besuch? Verstehe. Dann waschen wir das nächste Mal die Haare!“

Dieses Mal brummte Rupert zustimmend und Carla griff nun statt zu der Shampooflasche zu dem Haartrimmer, der sich in der Tasche versteckt hatte. Sie beugte sich hinunter und wühlte darin. Ihre knappe Jeans rutschte ein wenig und legte einen schwarzen Tanga mit einem filigranen Spitzenblümchen über der Arschfalte frei. Rupert schaute gelangweilt in den Garten.

Carla nahm seine Haare in die Hand. Sie glitten fettig durch ihre Finger. Schnipp. Schnipp. Schnapp. Der Rasierer surrte seinen Nacken entlang.

Inzwischen war die Kleine hereingekommen. Sie saß still auf der Couch. Wie ein Püppchen. Das Spitzenröckchen war tellerartig um sie gebreitet, ihr durchscheinendes Gesicht eingerahmt mit schwarzen Haaren. Eine auffällige Hornspange hielten sie zusammen.

„Möchtest du, dass ich dich kämme, Engelchen?“

Die Kleine nickte stumm und Carla fuhr ihr geschickt durch die Locken, die den ihren sehr ähnelten. Die Kleine hielt ganz still.

„Wie eine Königin siehst du jetzt aus!“

Das Mädchen schien schüchtern zu sein, denn wieder antwortete sie nicht, sondern knetete  nur ihre kleinen Händchen in ihrem Schoß. Carla verstand sie, ohne dass sie mit ihr reden musste. So ein Kind kannte sie, mit einer älteren Schwester und einer Familie, in der es nicht auffiel, ob die Kleine da war oder nicht.

„Schau mal, was ich für dich habe.“

Carla zog einen Lippenstift aus ihrer Tasche. Tiefes Rot. In Miniaturausgabe. Für die Handtasche – und zarte Kinderhände.

„Möchtest du ihn haben?“

Sie zog das Mädchen vor den Spiegel.

„Soo kleine Lippenstifte hat eigentlich nur der Onkel Rupert.“

Carla schraubte geübt den Deckel ab und umfuhr die feinen Lippen des Mädchens.

„Wie eine Große siehst du jetzt aus! Wie eine große Dame!“

Im Spiegel zeigte sich ein leuchtender Frauenmund, geschürzt, in einem unschuldigen  Mädchengesicht.

Jetzt schüttelte Carla den pinkfarbenen Frisierumhang aus und wandte sich Rupert zu:

„Macht zehn Euro. Wie immer.“

Rupert griff tief in seine Hosentasche. Seine Hand zitterte ein wenig. Carla blickte in den Spiegel und zog noch einmal ihre Lippen nach. In tiefem Rot. Mit dem kleinen Stift. So hatte es damals angefangen.

Schließlich nahm sie den Schein entgegen und stöckelte davon.

„Du rufst dann wieder an, wenn du mich brauchst?“

 

© P.S./Glädja Skriva/Juni 2016