Von Juliane Kunz Seidel

Ich sitze nackt in einer Sauna. Nichts Ungewöhnliches, nein. Aber in der Hand halte ich eine Rose. Ich überschlage die Beine. Das sieht jetzt bestimmt dämlich aus. Also wieder zurück. Ich mache mich hier zum Idioten. Hoffentlich ist sie heiß. Heute Nacht will ich es krachen lassen. Die Tür geht auf.

********

Dieses verdammte „First Date“-Profil zwingt mich zu schonungsloser Ehrlichkeit. Das Ergebnis ist mager. Ich fasse zusammen: „Etwas füllige Sie, über 30 (aber nicht viel!), mit langweiligem Job, ohne Hobbies (fernsehen ist kein Hobby, oder?), sucht Traummann.“ Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag: Ich. Bin. Langweilig.
Ich öffne eine Flasche Wein und ertränke mein Selbstmitleid. Nach der halben Flasche beschließe ich, mein Leben zu ändern. Trinke noch etwas mehr und formuliere noch in der Nacht meine Zielsetzung genauer aus: Ich will eine abenteuerlustige, lebefrohe … nein … lebenslustige, abenteuerliche … ach, scheiß drauf. Gehe ins Bett.

Tag 1: Beginne meine Veränderung so, wie es jede Frau tut: gehe shoppen.

Tag 2: Melde mich zum Kung Fu, zum Yoga und zum Kletterkurs an. Ändere meine Suchanfrage auf „First Date“: „Unternehmungslustige Sie sucht Mann für gemeinsame Abenteuer.“ Neues Leben: Ich komme!

Tag 3: Trage neuen knallengen Stiftrock im Büro. Vor dem Meeting mit meinem Chef und den anderen Abteilungsleitern ziehe ich mir den ultraroten Lippenstift nach. Ein Blick in den Spiegel und ich schnurre: „Heiß, Baby!“ Miststück-Kollegin kommt aus einer Kabine und rollt mit den Augen: „Wegen Mädels wie dir diskutieren sie über die Frauenquote.“
„Wegen Mädels wie dir …“ Mir fällt nichts Schlagfertiges ein, also stoße ich nur einen wütenden Laut aus und verlasse den Toilettenraum.
Zwei Stunden später: Kleiner Rückschlag auf dem Weg ins neue Leben: Chef weist mich beim Meeting auf Lippenstift an meinem Zahn hin. Beuge mich vor, um mir ein Kleenex zu nehmen. Höre Stiftrock reißen. Auch die Abteilungsleiter hören es. Bin nach dem Meeting die letzte, die den Raum verlässt. Mache heute früher Schluss.

Tag 4: Werde Lara Croft! Sehe mich bereits mit stählernen Bauchmuskeln, festen Schenkeln und einem Arsch, mit dem man Nüsse knacken kann.
Drei Stunden später: Trainiere Kung Fu mit elf durchtrainierten Herren, allesamt unter zwanzig. Einer kam acht Minuten zu spät. Mussten deshalb 80 Liegestütze, 80 Sit-ups und 80 Kniebeugen – Verzeihung, Squats – machen. Kann meine Trainingstasche nicht mehr tragen und schleife sie zum Auto. Jedoch: Habe gelernt, einen Angreifer abzuwehren. Aktualisiere noch am selben Abend mein Profil auf „First Date“: „Hobbies: Kung Fu“. Fühle mich stark und sexy.

Tag 5 und 6: Melde mich kurzkrank. Muskelkater der Hölle.

Tag 7: Juuuubel! Ich habe eine erste Kontaktanfrage auf „First Date“! Er nennt sich M. und sucht abenteuerlustige Sie! Na, da bin ich doch genau die richtige! Wir chatten den ganzen Tag.
Habe heute meine erste Yoga-Stunde. Freue mich schon auf tiefenentspannte, körperformende Trend-Gymnastik. Treffe bestimmt viele neue potentielle Freundinnen. Habe keine Zeit mehr zum Kochen, macht nichts, besorge mir unterwegs einen Döner.

Tag 8: Kann mich nie wieder beim Yoga sehen lassen! Während diese Gazellen in ihren Leggins beim Herabschauenden Hund ihre knöchernen Sitzbeinhöcker noch ein Stück weiter nach oben schraubten und dabei genüsslich ein- und ausatmeten, hechelte ich in den Ausschnitt meines viel zu weiten T-Shirts. Ich wusste ja gar nicht, dass Yoga so anstrengend ist! Und dann machte sich dieser verdammte Döner bemerkbar. Die letzten Positionen kniff ich die Pobacken zusammen. Half nichts. Während die anderen in ihre Schlussentspannung abtauchten, entwichen mir geräuschvoll die Winde. Versuchte die Angelegenheit wegzuentschuldigen, doch der Raum füllte sich recht zügig mit dem unangenehmen Duft. Die Kursleiterin musste ein Fenster öffnen und Decken verteilen, damit niemand fror. Verduftete am Ende als erste aus dem Raum und löschte noch auf dem Weg zum Auto „Yoga“ aus meinem „First Date“-Profil.

Tag 9: Verbringe den Tag im Liegestuhl. Probiere aktiv das Konzept von „Schlank im Schlaf“ aus. Nasche Beeren und Melone. Fühle mich schlank und begehrenswert.

Tag 10: Skandal! Habe Chef am Arbeitsplatz mit Handy erwischt. Sehr gut! Chatte jetzt mit weniger schlechtem Gewissen im Büro mit M.. Verstehen uns prächtig. M. möchte mich kennenlernen.
Heute Abend steht Klettern auf meinem Programm. Freue mich schon auf muskulöse Männerarme, die mich fangen, sollte ich stürzen.
Nachtrag: Klettern ersetzt durch Fernsehabend mit bester Freundin. („Du weißt aber schon, dass dein Arsch aus dem Sicherheitsgurt quellen wird wie eine Qualle aus einer Six-Pack-Halterung?“ Wies beste Freundin auf nicht lustigen, da umweltzerstörungverherrlichenden Vergleich hin. Argument dennoch einleuchtend.) Guckten vier Folgen Bad Banks. Bin inspiriert und möchte eigene Karriere in Schwung bringen.

Tag 11: Gottverdammte Tomb Raider Ausbildung kostet ein Vermögen! Werfe das Anmeldeformular in den Papierkorb. Brauche kostengünstigere Alternative. Oh! Bei der VHS gibt es noch freie Plätze im Selbstverteidigungskurs. Prima!

Tag 12: M. und ich werden konkreter. Verabreden uns für nächsten Donnerstag in der Sauna. Sehr gut. Mir bleiben also noch genau sieben Tage, um fünf Kilo abzunehmen. Kaufe mir die Bild der Frau. Titelthema: „In 5 Tagen 5 Kilo abnehmen – Die neue Kartoffel-Quark-Diät.“ Perfekt!

Tag 13: Bringe mit Joggen meine Verdauung in Schwung. Klappt. Kehre nach zwei Kilometern um und beeile mich nach Hause zu kommen. Stärke mich danach mit einem Salat und zwei Esslöffeln Quark. Lecker.

Tag 14: Heute auf dem Speiseplan: Kartoffeln mit Quark, dazu ein Salat. Sehr lecker! Danach: Yoga im Schlafanzug im Wohnzimmer. Ich liebe YouTube. Nehme „YouTube“ und „Yoga“ in mein „First Date“-Profil auf. Darauf meldet sich M. und schmeichelt mir, wie unglaublich aktiv und offen ich bin. Oh ja, Baby, das bin ich!

Tag 15: Heute zum Mittagessen: Kartoffel-Quark-Salat mit Feldsalat. Auch lecker. Danach joggen. Heute fast drei Kilometer geschafft. Weiter so!

Tag 16: Verdammter Quark hängt mir zum Hals raus. Rufe beim Pizza-Service an. 45 Minuten später: Mmmmmh … Hänge danach vor der Glotze mit einer Packung Chips. Cheat Day!

Tag 17: Habe M. enttarnt! Oh mein Gott!!! Stehe im VHS-Selbstverteidigungskurs mit 60- bis 80-jährigen Damen. Ups. Lichtblick: Der Trainer sieht verdammt gut aus! Und: Er nimmt mich als Anschauungsobjekt für die Partnerübungen. Weil ich die Jüngste bin, meint er. Fühle mich geschmeichelt. Tauschen tiefe Blicke, während er mich auf die Matte wirft. Sprechen danach noch über dies und das. Er sagt, er sei Single, ich sage, ich bin bei „First Date“, er sagt, er auch. Checke danach seinen Namen im VHS-Katalog: Marco Macrone. Er muss M. sein! Mein VHS-Lehrer ist mein „First Date“-Date!!! Und er sieht heiß aus! Kreischalarm!

Tag 18: Verdammter Chef. Lässt mich Überstunden machen und haut selber früher ab. Chatte mit M. alias Marco über die Unzulänglichkeiten von Chefs. Er äußert sein Verständnis, muss dann aber los. Hm. Was macht der bloß? Vielleicht trainiert er noch einen anderen Kurs. Muss das checken.

Tag 19: Date mit M. alias Marco eingetütet. Seit ich weiß, wer er ist, wächst meine Vorfreude auf unser Date ins Unermessliche. Der wird Augen machen, wenn er mich sieht. Er wird übrigens in der Kräutersauna mit einer Rose in der Hand auf mich warten. Wie romantisch! Ich dagegen werde mir als Erkennungszeichen bei Eintreten in die Sauna das Handtuch vom Leib reißen.
Er: „Das traust du dich nie!“
Ich: „Ach, ich habe in meinem Leben schon ganz andere Dinge gemacht!“
Er: „Du bist eine heiße Göttin!“
Oh mein Gott, komme aus der Handtuch-vom-Leib-reißen-Sache nicht mehr raus.

Tag 20: Acht Uhr: Diätergebnis: minus zwei Kilo. Naja … Muss reichen.
Zehn Uhr: Hm, Frau vom Chef muss Geburtstag haben: riesiger Strauß Rosen auf seinem Schreibtisch.
Zwei Uhr: Ich verschwinde aus dem Büro. Mache mich für die Sauna fertig: duschen, rasieren, Peeling, Lidschatten, Abdeckstift, wasserfestes Mascara. Knote mir Zewa-Tücher für Beach Waves ins Haar. Hm, welches Handtuch soll ich nehmen?
Siebzehn Uhr: Habe mich für das kleine Weiße entschieden. Im Saunapark schlinge ich es mir um die Hüften und schreite so elegant, wie es Badelatschen erlauben, zur Kräutersauna. Es ist wenig los, also werden M. alias Marco und ich ungestört sein. Sehr gut. Stehe an der Tür zur Kräutersauna. Soll ich es wirklich tun? Ja. Marco hält mich sonst für einen Feigling. Und wir haben uns gut verstanden. Wir sind auf einer Wellenlänge. Ich öffne die Tür, kneife die Augen zu und reiße mir mit Schwung das Handtuch vom Leib: „Tadaaaaa!“
„Oh Gott!“, stöhnt mir M. entgegen. Aber nicht das erotisch gestöhnte „oh Gott“. Nein, eher das schockierte „Was-zur-Hölle-ist-das-oh-Gott“.
Irritiert öffne ich die Augen. Vor mir sitzt mein Chef. Splitterfasernackt. Und hält sich eine Rose vors entblößte Gemächt. Er wird knallrot.
„Aber wo ist Marco?“, schreie ich und bedecke mich rasch mit meinem Handtuch. „Was machen SIE hier?“
„Welcher Marco …“, stottert er.
Allmählich begreife ich, was gerade passiert. „Sie sind M.?!“
„Ähm … Ja …“
„Aber Sie sind doch verheiratet!“
„Nun … Ich denke, das ist ein Missverständnis …“, stammelt er.
„Offensichtlich“, kontere ich schnippisch und mache kehrt. An der Tür stoße ich mit einer jungen Frau zusammen. „Da würde ich nicht reingehen“, platze ich heraus. „Da hockt ein Schwein drin!“ Ich stürme weiter zu den Duschräumen, in Gedanken notierend: „Neuen Job suchen“. Moment! Ich bleibe stehen.

********

Die Tür geht noch einmal auf und sie steht schon wieder da.
„Diese Stelle als Assistentin für den Geschäftsführer, die ist doch noch frei, richtig?“
„Äh, ja …“, stottere ich.
„Prima! Hiermit bewerbe ich mich darauf. Sie werden mich ja sicher empfehlen.“ Sie strahlt mich an. Ich nicke mit offenem Mund.
Noch einmal wandert ihr Blick an mir herab, sie grinst und geht dann endlich.
Ja, einen richtigen Idioten habe ich aus mir gemacht.