Von Linh Chittka

Es war Liebe auf den ersten Blick. Das wusste ich, seit ich ihn an der Bushaltestelle gesehen hatte. Und auch, wenn sich unsere Blicke vielleicht nur für eine Sekunde trafen und ich mir im Nachhinein noch nicht einmal sicher war, ob er überhaupt mich angesehen hatte, oder die Werbeanzeige hinter mir, faszinierte er mich. Er stand zwar einfach nur da; die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Kapuze tief in die Stirn gezogen und den Blick auf den Boden vor ihm gerichtet, jedoch war sich mein Unterbewusstsein ganz sicher und flüsterte mir zu:

„Das ist er. Auf ihn hat dein Herz gewartet.“

„Bist du dir dieses Mal sicher?“, flüsterte ich nur zurück. Denn die letzten Male entpuppten sich als absolute Reinfälle. Die Dates waren im Großen und Ganzen annehmbar aber spätestens nach dem zweiten Wiedersehen ging jeder seinen eigenen Weg. Das gewisse Etwas fehlte. Von Gesprächsthemen und Gemeinsamkeiten ganz zu schweigen. Stattdessen stürzte ich mich lieber in meine Arbeit. Dass ich meine große Liebe ausgerechnet dort wiedersehen sollte, daran hätte ich noch nicht einmal im Traum denken können.

Ich war gerade dabei die Bestellung einer älteren Dame aufzunehmen, als ich ihn in der Tür meines Cafés erblickte. Für einen kurzen Augenblick vergaß ich, dass sich außer ihm und mir, noch andere Personen im Raum befanden. Ich beobachtete ihn, wie er mit einem kurzen Nicken in meine Richtung, an mir vorbeiging und auf einem der Barhocker an der Theke Platz nahm. Ich erwischte ihn einige Male, wie er aufblickte, mich musterte, und konzentriert etwas in sein Notizbuch schrieb. Als ich für einen Moment im Hinterzimmer verschwand und die Türglocke mit einem Klingeln ins Schloss fiel, wusste ich, dass er gegangen war. Auf meinem Gesicht lag wohl die Enttäuschung ziemlich groß, auch wenn ich versuchte, es so gut es ging zu unterdrücken, denn die ältere Dame winkte mich mitleidig zu sich und zeigte auf einen Zettel, den der Fremde wohl vergessen hatte. Als ich ihn jedoch auseinanderfaltete und las, merkte ich, dass ich ihn finden sollte. Unter seinem Namen, der in großen Druckbuchstaben geschrieben war, stand auch eine Adresse. Liliengasse 44. Ich traute mich allerdings nicht, vorbeizufahren, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde.

 Aber das Schicksal schien es gut mit mir zu meinen, denn am nächsten Morgen lief im Radio eine Durchsage, die mein Leben komplett verändern würde.

„Das nächste Lied widmet ein junger Mann einer Frau, in die er sich verliebt hat, als sie sich das erste Mal an der Bushaltestelle sahen.“

Ich bekam nur die erste Strophe mit und das auch nicht richtig, denn während die Stimme des bisher unbekannten und doch irgendwie vertrauten Mannes im Radio ertönte, vernahm ich das Läuten der Türglocke. Und die aufgenommene Stimme wurde von der richtigen übertönt. „…Als ich dich das erste Mal sah, hast du mein Herz mitgenommen… Du warst so fern und doch sah, hab vergessen, wer ich war, sah alles nur verschwommen…“ So begann ein Märchen. Mein Märchen. Und dafür brauchte es noch nicht einmal ein erstes richtiges Date. Sondern nur einen kurzen Blickwechsel an der Bushaltestelle.

 

Das ist jetzt schon viele Jahre her aber es fühlt sich so an, als wäre es erst gestern passiert. Ich habe geheiratet, zwei Kinder bekommen, die wiederum selbst eine Familie gegründet haben. Mein Café habe ich aufgegeben, trinke aber den ein oder anderen Kaffee noch dort. Ob ich glücklich bin? Ja, definitiv. Ob ich meine große Liebe gefunden habe? Ja. Ob ich diese geheiratet habe? Nein. Es klingt verrückt, das gebe ich zu. Aber der Prinz aus meinem Märchen wurde nicht zu meinem König. Und ich nicht zu seiner Königin. Ich weiß nicht, was uns getrennt hat. Vielleicht einfach nur die Zeit. Aber Vergessen habe ich ihn nie. Und das werde ich auch nicht. Und ich glaube, er hat das auch nicht. Denn jetzt gerade, in diesem Moment, wird das Lied gespielt, mit dem alles begann und gewünscht hat es sich ein älterer Mann aus der Liliengasse 44.