Von Raina Bodyk

„Verdammte Julia!“, murmelt Katrin vor sich hin. „Was fällt ihr ein, meldet sich einfach bei einem Dating-Portal an und will einen Mann für mich suchen. Preist mich an wie ein Händler auf dem Markt: „´Klug, charmant, sehr hübsch, gute Figur, vielseitig interessiert´ … In meinem Alter!“ Sie betrachtet sich im Spiegel und streckt sich selbst die Zunge heraus: „Na, alte Schachtel, willst du dich wirklich noch mal auf einen Partner einstellen, dauernd Kompromisse schließen, nicht allein sein können, wann immer du möchtest? Die lustigen Nachmittage mit deinen Mädels einschränken? Die Eifersüchteleien, die Streitigkeiten. Davon hatte ich doch wirklich genug. Nein, bestimmt nicht noch mal!“ Energisch schüttelt sie den Kopf und grinst sich an. „Aber schlecht sehe ich für meine 67 Jahre wirklich nicht aus!“ Sie dreht und wendet sich vor dem Spiegel, zieht den Bauch ein – na ja…. Dann den Rock hoch. Die Beine können sich echt noch sehen lassen! „Ach was, darüber brauche ich gar nicht nachzudenken. Mein Leben gefällt mir so, wie es ist.“

Wieso hat sie überhaupt zugestimmt, den Herrn zu treffen, den ihre Tochter für sie ausgesucht und angeschrieben hat? „Macht sie einfach ein Treffen aus, ohne mich zu fragen und textet mich tagelang zu, bis ich zustimme – aus reiner Erschöpfung!“ Sie muss zugeben, das Foto, das er Julia geschickt hat, hat ihr ziemlich gut gefallen. Wenn sie sich noch eine Beziehung wünschen würde, käme dieser Mann sicher in die engere Wahl. Er dürfte in ihrem Alter sein, schlank, sportlich, Augen, die neugierig in die Welt zu schauen scheinen.

Kurze Zeit später erwischt Katrin sich dabei, dass sie (schon wieder!) seine E-Mail, die ihre Tochter ihr resolut in die Hand gedrückt hat, liest.

Liebe Unbekannte, ich möchte Sie gern kennenlernen. Das ist mein erster Versuch, über das Internet eine Partnerin zu finden. Ich hoffe, ich stelle mich nicht zu ungeschickt an. Falls doch, bitte ich um Entschuldigung. Ihr Bild gefällt mir sehr. Ich kann Ihnen nicht wirklich erklären, warum es mich so anspricht. Vielleicht ist es die Lebendigkeit und Abenteuerlust in Ihrem Gesicht. Ich habe einfach so ein Bauchgefühl.
Liebe Grüße Stefan

‚Katrin und Stefan‘ – klingt gar nicht schlecht. Kurz überlässt sie sich romantischen Träumen, bevor sie sich energisch zur Ordnung ruft: „Das ist doch alles Blödsinn! Ich brauch keinen Mann und will keinen Mann. Julia ist eine alte Kupplerin!“

Sie tanzt summend mit ein paar Walzerschritten Richtung Schlafzimmer.

Wieso hat sie sich überreden lassen, die Einladung Stefans anzunehmen? Schon heute Abend. Ist das nicht zu schnell? Müsste man sich nicht erst mal telefonisch oder schriftlich ein bisschen beschnuppern? Die Tochter sucht einen Mann für die Mutter. Das ist so beschämend. „Bestimmt denkt er, dass ich vor Einsamkeit ganz verzweifelt bin.“

Was soll sie anziehen? Es soll nicht zu elegant sein, aber auch nicht zu lässig oder langweilig. Ein Kleid nach dem andern landet auf dem Bett: Zu aufgebrezelt, zu jugendlich, zu kurz, betont den Bauch, zu brav … Sie stöhnt. Wie wären Rock oder Hose?

„Himmel, ich werde bestimmt nur wirres Zeug reden oder mein Kopf wird leer sein und mir wird nicht ein Satz einfallen, vor allem kein intelligenter. Er wird mich für eine Idiotin halten! Der Höhepunkt wird sein, wenn ich, nervös wie ich bin, die Kaffeetasse umkippe. Er wird sich schaudernd abwenden. Es wird sooo peinlich werden!“

***

Stefan hyperventiliert. Die Panik kriecht in ihm immer höher. Das Beste wäre, er würde jetzt einen Herzinfarkt kriegen. Dann bräuchte er diese Dame nicht zu treffen. Was hat ihn nur getrieben, sich bei einer Partnersuche im Internet anzumelden? Dann hat er auch noch die Tochter dieser Frau angeschrieben. Na schön, sie hat wunderschöne Augen, aus denen ein ansteckendes Lachen blitzt. Aber Fotos täuschen doch immer. Dieser blöde Text von ihm: ‚Es ist einfach so ein Bauchgefühl.‘ Er hatte originell sein wollen – und es ist schließlich die reine Wahrheit -, aber sie hat sich sicher totgelacht.

Bei seinem Glück ist sie ein Sportmuffel, der nur vor dem Fernseher sitzt oder Kuchen backt, bis seine noch ziemlich athletische Figur, auf die er so stolz ist, völlig auseinandergegangen sein wird. Im Urlaub bergwandern? „Liebster, wollen wir nicht lieber ans Meer fahren und uns schön bräunen lassen?“, imitiert er mit hoher Stimme. Er und tagelang im Liegestuhl rumhängen, nein, danke! Wenn schon die Tochter die Initiative ergreifen muss, da kann doch was nicht stimmen. Obwohl – so ganz unsportlich sieht sie nicht aus.“

„Ich hab‘ ja richtig Lampenfieber! Ich bin doch kein Teenager mehr. Es wird mir doch wohl möglich sein, diese Situation mit Anstand hinter mich zu bringen. Wenn der Funke nicht überspringt, ist das kein Weltuntergang. Ich bin auch so zufrieden.“ Noch während er sich so in Gedanken beruhigt, fühlt er die Sehnsucht nach Nähe, nach Zweisamkeit in sich hochsteigen. Okay, sicher wird es nicht so werden wie damals mit Marie, die viel zu früh gestorben ist.

Wieder mal neben einer Frau aufzuwachen, gemeinsam frühstücken, Pläne machen, lachen, streiten … „Ich würde so gern mal wieder Schmetterlinge im Bauch haben. Ob es das in meinem Alter überhaupt noch gibt? Gehören diese Gefühle nicht nur der Jugend?“ Er seufzt.

Sein letztes erstes Date hatte er mit Marie. Damals waren sie beide zwanzig Jahre jung. „Kann ich das überhaupt noch? Wie spreche ich eine Unbekannte so an, dass sie sich für mich interessiert? Wie habe ich das früher mit dem Flirten gemacht? Wird sie einen ersten Kuss zum Abschied erwarten? Oder erst beim nächsten Treffen, falls es eins gibt?“

Nicht das Deo vergessen! Das fehlte gerade noch, wenn sie seinen Angstschweiß riechen könnte. Mundspray einpacken.

Wie sie wohl sein wird?

***

Katrin steht immer noch unschlüssig vor ihrem Kleiderschrank. Ach was, sie zieht einfach das an, was sie am liebsten trägt, Jeans und ein glitzerndes T-Shirt mit lustigem Motiv. „Wenn es ihm nicht gefällt, ist das sein Problem. Ich werde auf gar keinen Fall am ersten Abend mit zu ihm gehen“, nimmt sie sich fest vor. Sie ist doch kein Flittchen.

Konsequent, wie sie ist, überlegt sie weiter. „Schwarze Unterwäsche geht gar nicht. Sonst denkt er noch, ich hätte es auf irgendwas abgesehen. Die neue dunkelblaue mit den Spitzen ist neutraler. Aber sexy… Ob er mich küssen wird? Ich stelle mich bestimmt furchtbar ungeschickt an. Bin ja völlig aus der Übung.“ Über das andere will sie lieber nicht weiter nachdenken.

Er sieht ja schon gut aus auf dem Bild …

 

Sie ruft ihre Tochter an. Sie braucht unbedingt eine kleine Rückenstärkung. „Hallo Julia, hier ist deine vor Angst bibbernde Mutter.“ Liebevoll lauscht sie dem Gelächter aus dem Hörer. „Du, was mache ich, wenn er eine Schlaftablette ist oder wenn er mir ordinär kommt?“

„Dann gehst du einfach, Mama.“

„Das trau ich mich bestimmt nicht.“

„Okay, okay. Pass auf, wenn du ihn nicht magst und wegwillst, dann entschuldige dich und geh auf die Toilette. Du gibst mir Bescheid und ich rufe dich kurz darauf an und erzähle irgendwas von Rohrbruch, Blinddarmdurchbruch oder so.“

„Das ist eine prima Idee. Sonst klettere ich aus dem Toilettenfenster!“, droht sie ihrer kichernden Tochter.

***

Stefan wählt die Nummer seines besten Freundes. Gott sei Dank, wenigstens zittern die Finger nicht. Innerlich sieht das ganz anders aus. „Kurt, sag sofort etwas Ermutigendes zu mir. Ich fühle mich wie ein Wackelpudding.“

„Ein grüner oder ein roter?“, feixt dieser. „Du weißt doch, ich bin dein größter Bewunderer. Dein Gleichmut, deine stoische Gelassenheit, deine Unerschütterlichkeit …“

„He, aufziehen kann ich mich selbst. Aber im Ernst, was mach ich, wenn sie so ein Hausmütterchen ist oder eine total überdrehte Nudel?“

„Stell dich nicht so an, Stefan. Wird sie schon nicht. Und wenn, dann sprichst du einfach übers Wetter oder die politische Weltlage. Vielleicht hast du Glück und sie langweilt sich bei solchen Themen. Nach dem Essen verabschiedet ihr euch dann auf Nimmerwiedersehen.“

„Na, du hast ja sehr viel Verständnis, vielen Dank für deine große Hilfe. Drück mir lieber die Daumen.“

***

„Musste Julia unbedingt eine rote Rose als Erkennungszeichen ausmachen? Das hat sie doch nur gemacht, weil sie das superwitzig findet. Und ich muss drunter leiden.“ Wie im Groschenroman. Peinlicher geht es nicht. Alle Gäste im Restaurant werden genau wissen, dass sie ein Blind Date hat. Sie werden die ganze Zeit neugierig unseren Tisch beäugen und auf Anzeichen warten, ob es funkt oder nicht. Konnte sie sich nicht was Diskreteres ausdenken, eine bestimmte Zeitschrift oder so?“

 

 

Stefan betritt das Lokal entschlossener, als ihm zumute ist. Er sieht sie sofort. Sie ist früher da als er. Wie peinlich. Blöde Parkplatzsuche. Berührt beobachtet er, wie sie nervös mit der Rose spielt. Sie schaut sich suchend um, fährt sich leicht zitternd durch das schöne lockige Haar, spielt mit ihrer Halskette. Es steht ihr im Gesicht geschrieben, dass sie am liebsten fliehen möchte.

Dass er darauf nicht gekommen ist!

Ihr geht es kein bisschen besser als ihm: die gleiche Unsicherheit und Angst. Sofort fühlt er einen starken Drang, sie zu beschützen und zu beruhigen. Lächelnd geht er auf sie zu, entschlossen, die Situation für sie so angenehm und entspannt zu machen, wie es ihm möglich ist.

„Haben Sie sich vorher auch so verrückt gemacht?“, fragt Stefan, nachdem er sich, schon viel weniger aufgeregt, vorgestellt hat.

„Und wie! Ich stand kurz vor dem Herzinfarkt“, stöhnt Katrin.

Er lacht schallend. Mitfühlend versichert er: „Ich weiß genau, was Sie meinen. Ich war selbst kurz davor, einen Arzt zu rufen.“ Glücklich sieht er in ihrem Gesicht, wie sie ruhiger wird.

„Allein die Kleiderfrage!“, stöhnt Stefan übertrieben.

„Wieso? Wissen Männer etwa auch nicht, was sie zu bestimmten Gelegenheiten anziehen sollen? Das ist mir neu.“

„Manchmal nicht. Wenn es zum Beispiel wirklich wichtig ist – so wie jetzt.“

Sie strahlt ihn an.

 

 

Ihr Handy klingelt. Julia ist dran und fragt neugierig, ob sie sie retten soll.

„Untersteh dich!“