Von Dagmar Droste

Marie hatte es eilig. Sie war spät ‘dran. Zwei Stufen auf einmal nehmend, erreichte sie von der dritten Etage springend das Erdgeschoß.

 

„Wohin schon wieder so eilig?“ Robert versperrte ihr den Weg. „Sie sind auch ständig unterwegs.“

 

„Ich habe keine Zeit, heute startet der Lauftreff, die Gruppe wartet auf mich.“

 

„Sehen Sie zu, dass Sie nicht mit Ihrem Nasenring im Gebüsch hängen bleiben“, äußerte er mit hämischem Grinsen.

 

„Das passiert nicht, Robert, kommen Sie mit, Laufen macht Spaß und den Kopf frei“, versuchte sie, ihn zu motivieren.

 

Er grummelte Unverständliches und schloss seine Wohnungstür. Marie flitzte mit dem Fahrrad zum Stadtpark. Einen Moment ging ihr Robert durch den Kopf. Er lebte alleine und suchte auf eine ruppige Art Kontakt zu ihr. Sie würde ihn nochmal fragen, ob er Lust hat, mitzukommen.

 

Achtzehn Laufwillige waren angemeldet und alle erschienen. Bevor sie losliefen, stürmte eine korpulente Frau mittleren Alters auf Marie zu.

 

„Ich bin Gritt und will abnehmen!“

 

Marie sah sie verblüfft an. „Da hilft Laufen nur bedingt“. Sie schmunzelte. Eine pfiffige Teilnehmerin mit klarem Ziel, schätzte sie. „Geh‘ die Sache langsam an“, empfahl sie ihr.

 

Zwei Tage später klingelte Maries Telefon. „Du hast gesagt, Laufen hilft nur bedingt. Gib‘ mir einen Tipp, wie ich Gewicht loswerde“, wandte sich Gritt an Marie. „Im Übrigen habe ich Muskelkater und fühle mich elend. Wie wäre es mit heute Abend, gehst du mit mir Essen und ein Bier trinken?“

 

„Du möchtest abnehmen“, erwiderte Marie lachend. „Komm zu mir, ein Glas Wasser habe ich immer für dich.“

 

Robert saß hinter der Gardine und beobachtete den Eingang. Was ist das denn für Eine? Hat man ihr die bunte Brille in‘s Gesicht tätowiert? Schrill! Die will sicher zu Marie. Er öffnete die Wohnungstür und stand im Flur Gritt gegenüber.

 

Gritt strahlte ihn an. „Sind Sie der Hausmeister?“

 

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte er mürrisch.

 

„Sie sehen kompetent aus und empfangen den Besuch persönlich“, äußerte sie wohlgelaunt.

 

„Wo wohnt denn Marie? Wissen Sie, ich bin nämlich zu dick und brauche ein paar funktionierende Tipps, wie ich von meinem Gewicht loskomme.“

 

Robert verschlug es die Sprache, sodass er stammelnd hervorbrachte. „Sie sind nicht zu dick, Sie sind wohlgeformt, weiblich … und, und Sie tragen eine zauberhafte Brille.“

 

Gritt war platt über die Nonchalance. Das ist ein Mann, der Frauen wertschätzt, sie bemerkte eine sanfte Erregung. „Ich bin Gritt!“

 

„Das ist ein außergewöhnlicher Name, der passt hervorragend zu Ihnen. Ich heiße Robert.“

 

Sie sahen sich an. „Ich gehe jetzt nach oben … vielleicht sehe ich Sie wieder …?“

 

„Ja, sicher“, rief Robert ihr hinterher.

 

Marie hatte Gritts Aufgeregtheit in Bezug auf Robert registriert. Er erschien ihr ebenfalls merkwürdig aufgeschlossen.

 

„Wer war das, Ihr Besuch vor ein paar Tagen?“, warf er beiläufig ein.

 

„Wer denn?“, schmunzelte Marie.

 

„Die Dame mit der bunten Brille. Wie heißt sie gleich?“

 

„Gritt?“

 

„Ja, ja Gritt oder so ähnlich“, erwiderte Robert, bemüht, uninteressiert zu erscheinen.

 

„Gritt gehört zu meiner Laufgruppe. Sie wissen ja, jeden Mittwoch im Stadtpark“, gab Marie Auskunft.

 

Mit einem „ah ja“ verschwand er in seine Wohnung.

 

Der nächste Mittwoch kam und mit ihm Robert zum Lauftreff. Hui, schoss es Marie durch den Kopf, er hat ja Figur und sieht passabel aus. Warum hält er sich im Verborgenen auf? Gritt wird angetan sein.

 

Robert, in seinen neuen Laufschuhen, wippte sich auf der Stelle stehend ein. Wo bleibt sie? Weit und breit keine Gritt zu sehen.

 

Langsam packte ihn die Ungeduld. Sein Blick fiel auf Marie, die in einiger Entfernung mit einem kernigen Typen zusammenstand. Was für ein Schnösel belästigt sie? Braungebrannt mit einem glatten Kinderpopogesicht. Er nahm Kurs auf beide.

 

„Junger Mann, behalten Sie ihre Hände in den Hosentaschen“, pfiff er ihn an. „Lassen Sie die Finger von Marie!“

 

Dieser sah entgeistert von Robert zu Marie. „Dein Vater?“, fragte er. Marie schüttelte den Kopf und seinen Arm ab.

 

„Ich freue mich, dass du den Weg zu uns gefunden hast, Robert. Wir duzen uns alle. Und … danke für deine Hilfe.“

 

„Wo ist Gritt?“, traute er sich.

 

„Gritt ist heute verhindert. Wir gehen morgen Abend Essen. Kommst du mit?“, fragte sie.

 

Marie klingelte bei Robert.

 

Wow, kein Wunder, dass die Männer auf sie abfahren, die beringten Ohren und der Nasenring … stören nicht, staunte Robert über seine Gedanken, wo das Schultertattoo wohl endet …?

 

Vergnügt schlenderten sie zum verabredeten Lokal. Gritt saß mit einem fülligen Mann am Tisch. Freudig sprang sie auf, umarmte Marie und Robert. „Endlich kann ich euch meinen Freund vorstellen!“

 

Marie schaute zu Robert. Der äußerte, gelassen an den Freund gewandt: „Meinen Glückwunsch zu dieser außergewöhnlichen Frau.“

 

Gritt errötete. Marie staunte.

 

Robert lächelte … Marie an.

 

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