Von Mia Gross

„Allmächd na, Jule, ein Date?!“ 

Susis Stimme klang so schrill, dass der vorbeilaufende Jogger erschrocken zu uns rüber sah. Fast wäre sie über eine Baumwurzel gestolpert, fing sich aber gerade noch rechtzeitig. Typisch Susi, ganz egal wie weich und eben der Weg war, sie schaffte es trotzdem immer wieder, ihr Leben beim Laufen aufs Spiel zu setzen.

 

„Da müssen wir was mit deinen Haaren machen“, keuchte sie, „damit du nicht aussiehst, als wärst du gerade mit den Fingern in der Steckdose gewesen.“ Sie warf mir einen kritischen Blick zu: „Um Drei bin ich bei dir. Mit dem Glätteisen!“

 

Es war ein herrlicher Junitag.

Blauer Himmel, Wolken wie Zuckerwatte und Sonnenschein pur. Der Duft von wilden Narzissen lag in der Luft und in den Bäumen zwitscherten die Vögel um die Wette.

Wir hatten uns für die kleine Runde um den Tiergarten entschieden. Es hätte so schön sein können, wenn nicht bereits halb Nürnberg auf dieser Strecke unterwegs gewesen wäre. Und das um zehn Uhr morgens.

 

Wie auf Kommando klingelte der zwanzigste Radfahrer hinter uns und zwang uns zum Gänsemarsch. Ein paar Meter weiter mussten wir einer Gruppe Vierbeiner mit ihren Herrchen und Frauchen ausweichen, die sich gegenseitig beschnupperten.

 

„Hundehalter kommen anscheinend schnell miteinander in Kontakt“, meinte Susi mit einem Seitenblick. „Vielleicht sollte ich mir einen anschaffen“

 

Ich kicherte. „Hundehalter oder Hund?“

 

Meine Freundin ignorierte die Spitze souverän. „Im Kesten Café ist heute Abend eine Autorenlesung. Der Titel lautet ‚Liebe auf den zweiten Blick‘. Pflichtprogramm für Singles über Vierzig. Da gehe ich hin.“

 

„Liebe auf den zweiten Blick?“ Ich sprang elegant über einen Ast. „Jeder weiß doch, dass Frauen in unserem Alter eher von einem Blitz getroffen werden, statt einen vernünftigen Mann kennenzulernen.“

 

„Das sagt die Richtige“, hechelte Susi. „Du hast doch heute ein Date.“

 

Ohne mein Tempo zu verlangsamen, trank ich den letzten Schluck aus meiner Wasserflasche. „Das ist völlig unverbindlich. Wir treffen uns nur auf ein Guinness im O’Sheas, weil er heute zufällig hier in der Stadt ist. Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich hingehen soll.“

 

„Klar gehst du hin.“ Susi wischte sich mit ihrem Handtuch über die Stirn. „Wenn das Wetter so schön bleibt, könnt ihr draußen im Biergarten sitzen.“

 

Am Nachmittag machte ich mich, gestylt wie Jennifer Aniston, auf den Weg in Richtung Altstadt. Keine Spur mehr von meinen widerspenstigen Locken. Susi hatte mit ihrem Glätteisen ganze Arbeit geleistet und mir noch nachgerufen: „Pass auf, dass deine Haare nicht nass werden, sonst siehst du im Nullkommanix aus wie ein herrenloser Pudel!“

Meine Freundin wusste immer genau, wie sie mich aufbauen konnte.

 

Unterwegs dachte ich an Rainer. Ich kannte nur seinen Vornamen. Bei unseren Diskussionen in einem Internetforum hatten wir viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Wie er wohl aussah? 

Susi hatte mir eingeschärft, bei Männern mit Bart vorsichtig zu sein. Die hätten meistens etwas zu verbergen. Außerdem sollte ich mich von Skorpionen fernhalten, weil die nicht zu einem Wassermann wie mir passen würden. Ein Zwilling käme da schon eher in Frage, aber der könnte sich nur schwer für eine einzige Frau entscheiden. Langsam schwante mir, warum meine Freundin noch Single war.

 

Ein dumpfer Knall und ein kurzes Aufjaulen rissen mich aus meinen Gedanken.

Auf der anderen Straßenseite lag ein kleiner Hund und fiepte jämmerlich. Von dem Auto sah ich nur noch die Rücklichter, als es mit quietschenden Reifen davonfuhr. Ich lief zu dem Tier hin und ging in die Hocke um es mir näher anzusehen. Es war ein Terrier mit schwarzem Fell und kleinen Hängeohren. Er trug ein rotes Halsband, auf dem in großer Schrift Ronny stand. „Keine Angst, Ronny“, versuchte ich das verschreckte Tier zu beruhigen. „Es wird alles wieder gut.“

 

Beim Klang seines Namens spitzte er kurz die Ohren, dann fing er wieder an zu fiepen. Nur die Ruhe bewahren, dachte ich und zog mit zitternden Fingern mein Handy aus der Tasche. Doch als ich einen Tierarzt anrufen wollte, blinkte nur die Anzeige: ‚Akku aufladen.‘ Ich schaute mich suchend um, doch weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Na super.

 

Wie auf Bestellung fing es an zu nieseln. Zarte Regentropfen legten sich auf meine frisch geglätteten Haare und kullerten über mein Gesicht. Mit verschwommenem Blick nahm ich wahr, dass neben mir ein Auto anhielt. Der Fahrer, ein Hüne in Jeans und Jackett, sprang heraus und fragte: „Kann ich helfen?“

 

Ich musste aufschauen, um ihm in die Augen sehen zu können und stammelte: „Der Hund wurde gerade angefahren … mein Handy funktioniert nicht … können Sie ihn zu einem Tierarzt bringen?“

 

Anscheinend hatte er Erfahrung im Umgang mit verletzten Vierbeinern. Er handelte ohne zu zögern, holte eine Decke aus dem Kofferraum, forderte mich auf, in den Wagen zu steigen und legte das wimmernde Tier eingerollt in die Decke vorsichtig auf meinen Schoß. Dann setzte er sich hinter das Steuer, sah mich an und fragte. „Wo ist der nächste Tierarzt?“

 

„Am Stadtpark ist eine Tierklinik“, murmelte ich wie in Trance und versuchte zu realisieren, dass ich gerade bei einem attraktiven Fremden im Auto saß, mit einem verletzten Hund auf meinem Schoß. 

 

„Nicht weit von hier. Ich kenne den Weg.“ 

 

„Dann schalte ich das Navi mal aus und verlasse mich ganz auf Sie.“ 

 

Dummerweise hatte man die Tellstraße vorübergehend in eine Einbahnstraße geändert, und wir mussten über den Nordwestring. Zum Glück war nur wenig Verkehr.

An der Tierklinik angekommen, nahm der Fremde Ronny auf den Arm und trug ihn zügig hinein. Dort kümmerte man sich sofort um den Kleinen. Wir blieben in der Wartezone, weil wir wissen wollten, ob man Ronny würde helfen können. Sein Retter ging auf und ab und versuchte auf seinem Handy jemanden zu erreichen. Das erinnerte mich an meine Verabredung. Ich sollte wenigstens so höflich sein und Bescheid sagen, doch ich wusste nicht wie. Der Hunderetter schrieb gerade eine SMS.

 

Ich beobachtete ihn und dachte, Jule reiß dich zusammen, der Typ hat grau melierte Haare und du stehst doch eigentlich nicht auf Senioren, selbst wenn sie aussehen wie George Clooney. Aber sein spontanes Hilfsangebot und die Art, wie er mit dem verletzten Hund umgegangen war, hatten mich beeindruckt. Schließlich kam der Arzt und informierte uns, dass Ronny nicht schwer verletzt war und durch eine Nummer auf dem Halsband der Besitzer ausfindig gemacht werden konnte.

 

„Er möchte Sie gerne kennenlernen und sich bedanken. Wenn Sie solange warten wollen?“

„Das geht nicht“, sagten wir beide wie aus einem Mund und sahen uns dabei überrascht an.

„Ich habe noch eine Verabredung“, ertönte es ebenfalls unisono.

Der Arzt schien amüsiert, als er sich von uns verabschiedete.

„Kann ich Sie irgendwo absetzen?“, fragte George Clooney und hielt mir höflich die Wagentür auf.

 „Wenn Sie zufällig in Richtung Wespennest fahren, ich bin dort im O’Sheas verabredet.“

„Kein Problem, da will ich auch hin.“ 

 

Verlegen fasste ich in meine feuchten Haare, die sich schon wieder kringelten wie verrückt. Die Ähnlichkeit mit Jennifer Aniston war unwiderruflich dahin und mein Date wahrscheinlich auch im Eimer. Es war zum Heulen. Aber gegen höhere Gewalt ist eben kein Kraut gewachsen. 

 

„Danke, dass Sie vorhin angehalten haben.“

„Sie haben sich doch auch gekümmert. Übrigens, mein Name ist Rainer“.

„Ich heiße Jule.“

 

Nach einer kurzen Schrecksekunde lachten wir beide gleichzeitig laut los.

„Dann habe ich dir vorhin eine SMS geschickt“, grinste er schließlich. „Hast du sie erhalten?“

Ich schüttelte mein Pudelhaupt. „Tut mir leid, aber die werde ich erst lesen können, wenn der Akku wieder aufgeladen ist.“

Er startete immer noch lachend den Motor: „Immerhin haben wir unser Date nicht verpasst.“