Von Denise Fiedler

Ich saß auf dem Sofa, die Beine angewinkelt, ein Kissen vor den Bauch gedrückt. Jonas neben mir grinste breit.

»Das ist nicht dein Ernst«, sagte ich.

»Warum nicht?«, fragte er. »Seit der Trennung von Lars bist du unausstehlich.«

»Das ist über ein Jahr her!«, protestierte ich, jetzt konnte ich selbst ein Lachen nicht unterdrücken.

»Sag ich doch, du bist eindeutig untervö…«

Drohend hob ich den Zeigefinger. »Wag es ja nicht, das auszusprechen!«

»Ach, Leni, ich mach mir Sorgen um dich. Außerdem befürchte ich, dass ich irgendwann für deine weiblichen Bedürfnisse herhalten muss.«

Mein Kissen landete in seinem Gesicht.

»Nicht einmal, wenn du der letzte Mann auf der Erde wärst!«

Wir balgten uns, bis ich das Kissen triumphierend nach oben hielt.

»Autsch!« Jonas rieb sich das Kinn. »Deine Rechte hat es echt in sich.«

Ich kuschelte mich zurück und zappte durch das Fernsehprogramm. »Außerdem glaube ich nicht, dass das funktioniert.«

»Wer weiß«, sagte Jonas. »Timo scheint sich mit seiner Neuen in Peking ganz wohl zu fühlen.«

»Siehst du, ich habe keine Lust irgendwohin zu ziehen, nur weil mir so ein Algorithmus sagt, dass dort mein Traummann wohnt! Und, was würdest du ohne mich machen?«

»Pah«, schnaubte er. »Du würdest mich mehr vermissen, als ich dich. Wer erinnert dich daran, dass du mal wieder vergessen hast, deine Haare zu kämmen?«

Ich zog eine Schnute, der Punkt ging eindeutig an ihn.

Der Nostalgie-Channel erschien.

»Uh!«, quietschte ich. »Schlaflos in Seattle!«

Jonas verdrehte die Augen. »Du bist ein richtiges Mädchen.«

 

Die First-Date-Zentrale war wirklich ein imposantes Gebäude. Bisher hatte ich die Kuppel nur von Weitem gesehen, jetzt wirkte sie gigantisch. Sie sollte überall auf der Welt gleich aussehen und überall standen jetzt, wie hier, Menschen, die auf Einlass warteten. Wenn man Pech hatte, fand das Programm einen Partner in einem anderen Land und man sah lediglich ein holographisches Abbild voneinander. Man konnte sich zwar unterhalten, aber mehr auch nicht. Wie langweilig!

Ich ließ meinen Blick über die Leute gleiten, sehr vielversprechend sah es nicht aus, da blieb nur die Hoffnung, dass irgendwo etwas Passableres rumlief.

Es war schon erbärmlich, wie viele unglückliche Singles sich hier tummelten, und ich war eine von ihnen.

Ein Dunkelhaariger mit knackigem Hintern zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Für einen Moment geriet ich ins Träumen, als ein bekannter Schatten neben mir auftauchte.

»Du bist so oberflächlich, Leni« Jonas schüttelte den Kopf, er sah zu dem Dunkelhaarigen rüber. Dann musterte er mich. »Du hättest dich wenigstens kämmen können.«

Erschrocken griff ich an meinen Kopf, meine Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich knuffte ihn in die Seite. »Idiot! Ich dachte schon, du kommst nicht.«

Er hob die Hände. »Ich habe es versprochen, auch wenn ich nicht weiß, was ich hier soll.«

»Du bist Single.«

»Und das sogar gerne!«

»Du schuldest mir etwas?«

»Ja, ich habe dich dazu überredet. Jetzt sind wir zwei in einem Boot.«

Zufrieden grinste ich.

Wir neckten uns noch eine Weile, dann öffneten sich die Tore der Kuppel. Es gab drei Eingänge, einer für Frauen, einer für Männer und einer für diejenigen, die einen gleichgeschlechtlichen Partner suchten. Ich lachte laut auf, als Jonas andeutete in den dritten Eingang zu gehen, ehe er zum zweiten ging. Er zwinkerte mir noch einmal zu. »Viel Spaß in Peking.«

 

Die Einrichtung sollte anscheinend eine Wohlfühlatmosphäre schaffen. Wellnesgedudel klimperte aus unsichtbaren Boxen. Der Duft, den die Blumenbuketts verströmten, war viel zu süß. Gekonnt wich ich den kleinen Servierdroiden aus, die mit ihren Begrüßungscocktails herumfuhren. Neben mir kicherte eine Schar Frauen und ich war froh, als ich endlich in die Scankammer durfte.

Sobald sich die Tür geschlossen hatte, ging das Licht an. Ich befand mich in einem achteckigen Raum, jede Wand verspiegelt.

»Willkommen«, säuselte eine Frauenstimme. »Bitte nenne mir deinen Namen.«

»Leni Wieland.«

»Deine Daten werden geladen.«

In einem der Spiegel erschien eine Liste mit den Daten, die ich vor einer Woche eingereicht hatte.

»Bitte ziehe deine Kleidung aus und stelle dich auf die markierte Stelle.«

Aus der Wand neben mir fuhr eine kleine Bank heraus. Ich tat, was die Stimme verlangte. Als ich mich entkleidet hatte, ging ich in die Mitte des Raumes. Na toll, ich konnte jede körperliche Unzulänglichkeit gleich mehrmals sehen.

»Scan abgeschlossen.«

Vor mir löste sich eine kleine Platte von der Wand. Ein blauer Handabdruck leuchtete auf.

»Bitte lege deine Handfläche auf die Tafel.«

Ich verdrehte die Augen, was tat man nicht alles für die Liebe.

»Autsch!« Ich zog meine Hand wieder zurück. Ein kleiner Blutstropfen klebte an meinem Finger und ich sah gerade noch, wie eine Nadel zurückschnellte.

»Scan abgeschlossen.«

Ein kleines Röhrchen erschien.

»Bitte anhauchen. Scan abgeschlossen. Du kannst dich wieder anziehen. Verlasse die Kammer durch die Tür und folge der blauen Linie.«

Es gab ein zischendes Geräusch und einer der Spiegel öffnete sich einen Spalt. Schnell schlüpfte ich in Jeans und Bluse und ging hinaus.

Der Weg führte mich zu einer Transportkugel. Die üblichen Sitzschalen waren durch einen Sessel ausgetauscht und auf einem Tischchen stand ein Cocktailglas. Ich zuckte mit den Schultern, so konnte ich wenigstens das Beste daraus machen. Über ein Bedienfeld ließ sich sogar die Musik ändern und kurz darauf vibrierte die Kugel von den Bässen. Hoffentlich waren die Dinger wirklich so schalldicht, wie angepriesen, ich legte mich bei meinem Lieblingssong gerade so richtig ins Zeug, als er plötzlich verstummte.

»Die Datenanalyse hat einen Treffer.«

Die Kugel setzte sich in Bewegung.

Oh Mann, jetzt wurde es ernst. Welchen perfekten Platz das Programm wohl für mein Date errechnet hatte?

Ich prüfte noch einmal den Translator, sicher war sicher. Ich hoffte, dass eine reale Person auf mich wartete und nicht nur ein holographisches Abbild. Obwohl, wenn es ein Reinfall war, musste ich nicht befürchten, demjenigen über den Weg zu laufen.

Wenige Sekunden später öffnete sich eine Tür. Eine kleine Brise wehte mir den Duft von Gras entgegen. Anerkennend pfiff ich. Das Hologramm hatte einen ganzen Park erstellt. Die Sonne spiegelte sich in einem silbrigglänzenden See. Obwohl ich wusste, dass die Kammer nur wenige Meter umfasste, wirkte die Umgebung grenzenlos. Ein sanfter Wind blies Wellen über das Wasser und die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher.

Auf einer Wiese entdeckte ich eine Picknickdecke. Ein Mann mit dunklem Haar saß mit dem Rücken zu mir.

Ich wischte meine Hände an der Hose ab und ging näher.

Er musste mich gehört haben, denn er drehte sich um. In diesem Moment platzte das Lachen aus mir heraus.

»Jetzt haben wir den Beweis, der Algorithmus lügt!«

Jonas stimmte mit in mein Lachen ein. »Na, das hätten wir auch ohne Pikser haben können.«

»Und wesentlich günstiger!« Mit dem Ärmel wischte ich mir die Tränen aus den Augen. »Was machen wir jetzt?«

Jonas grinste. »Wir machen das Beste daraus.« Er klopfte einladend auf die Decke.

Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich zu ihm. Das Picknick war hergerichtet, wäre schade gewesen, das zu vergeuden.

Jonas füllte zwei Teller mit Salaten, Obst und Dips, Letztere nicht, ohne mir vorher einen Probierlöffel in den Mund zu schieben. »Nein, keine Nüsse«, sagte ich.

Bevor er mir meinen Teller reichte, zupfte er noch die Oliven aus dem Salat.

»Ich hatte mich schon so auf Peking gefreut«, feixte ich.

Satt und zufrieden lagen wir nebeneinander. Jonas drehte sich zu mir um. »Sollen wir schwimmen gehen?«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Wir haben gar keine Schwimmsachen!«

»Stell dich nicht so an, du hast doch Unterwäsche an.«

»Das ist was anderes«, sagte ich.

Er prustete los. »Neulich hast du dir dein Oberteil runtergerissen, damit ich nachsehe, ob dich etwas gestochen hat, da warst du auch nicht zimperlich.«

Ich streckte ihm die Zunge raus, seufzte und fing an meine Hose aufzuknöpfen. Als er anzüglich mit den Augenbrauen wackelte, boxte ich ihn gegen die Schulter.

Im See drückten wir uns gegenseitig unters Wasser, genauso, wie wir es als Kinder getan hatten.

Viel zu schnell waren die zwei Stunden um. Das Hologramm verschwand und die säuselnde Stimme ertönte.

»Vielen Dank. Wir hoffen, ihr habt euren Aufenthalt genossen. Viel Spaß in eurer gemeinsamen Zukunft, wünscht euch die First-Date-Corporation.«

 

Nachdem ich mich im Bett stundenlang von einer Seite auf die andere gedreht hatte, setzte ich mich mit einer Tasse Tee auf das Sofa. Die Uhr zeigte vier Uhr morgens an und schien mich auszulachen. Ich streckte ihr die Zunge raus.

Was für ein verrückter Tag! Nie hätte ich für möglich gehalten, dass ein Algorithmus Jonas zu meinen passenden Partner errechnet. Der Gedanke war ja auch absurd, wir kannten uns schon ewig, im Sandkasten hatte ich ihn immer verprügelt. Er war wie ich, kannte mich, war gedanklich mein bro …

Ich dachte daran, wie er mit nassen Haaren auf der Decke saß, wie er seinen Mund zu einem Lächeln verzog. In meinem Bauch kribbelte es. Das war doch Blödsinn!

Hatte ich es mir eingebildet, oder war er tatsächlich rot geworden, als wir uns verabschiedet hatten?

Ein kleines Pling kam von meinem App-Phone. Jonas Gesicht war auf dem Display zu sehen. Ich klickte die Nachricht an.

– Hallo Traumfrau, Lust auf ein echtes Date? –

Ich zögerte, dann tippte ich ein.

– Klar –

– Gut, ich stehe schon vor der Tür –