Von Gerhard Schönbeck

„Vielen Dank, dass Sie sich für das neue intelligente Columbus-Navigationssystem entschieden haben. Ich bin Ihre Assistentin, mein Name ist Cordelia. Nennen Sie nun Ihren Zielort.“

 

Angenehme Stimme eigentlich… So. Was war das nochmal? Ah ja. (Räuspern.) Café Blaue Lagune.

 

„Der Zielort lautet Café Blaue Lagune. Die Route wird berechnet. … Die Fahrzeit beträgt ungefähr fünfunddreißig Minuten.“

 

Verbindlichsten Dank. Na dann… Herrgott, worüber soll ich mit ihr nur reden? Politik und Gesellschaft? Nein. Kultur? Nein. Sport? Um Gottes willen.

 

„Biegen Sie bei der übernächsten Kreuzung nach rechts ein und folgen Sie der Straße für dreizehn Kilometer.“

 

Warum habe ich mich eigentlich bei diesem unseligen Datingportal angemeldet? War es nur die Angst vor dem Alleinsein? Jedenfalls hat mich ihr Profilbild beim Scrollen innehalten lassen, ein gähnendes Erdferkel – was mich zu einer flapsigen Eingangsbemerkung veranlasst hat. Das scheint ihr gefallen zu haben. Die ersten paar Male Schreiben waren ja ganz nett. Sie war ein wenig schüchtern, aber genau das war vielleicht der Reiz. Macht das Ganze so geheimnisvoll. Man versucht, die dahinter stehende Frau zu ergründen und kommt sich dabei wirklich fast wie ein Forscher vor. Aber irgendwann merkt man, dass man keinen Schritt weiter kommt, und dann fängt es an, mühsam zu werden… Sie ist einfach so fürchterlich passiv. Irgendwann kam auf Fragen außer ja und nein nicht mehr viel als Antwort. Wenn man sie fragt, worüber sie schreiben will, antwortet sie ‚weiß nicht, sag du!‘. Sie tut sich halt mit dem Schreiben schwer, sagt sie. Wenn sie ihrem Gesprächspartner direkt gegenüber sitzt, läufts besser, sagt sie. Kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen. Und ich bin jetzt auch nicht der große Alleinunterhalter. Eigentlich höre ich viel lieber zu und grunze hie und da sozial. Letzten Endes brauche ich einfach eine Frau, die ein wenig das Ruder übernimmt, wird mir immer mehr bewusst.

 

„Biegen  Sie nach einhundert Metern nach links ein auf die B einhundertvierunddreißig.“

 

Machen wir doch glatt. Mir ist vorher nie aufgefallen, wie sexy sich Navigationssysteme anhören können… Und so forsch. Wenn sie nur ein bisschen mehr wie…

 

„Biegen Sie nun nach links ein auf die B einhundertvierunddreißig.“

 

Ist ja gut, ich habs verstanden! Ein bisschen mehr wie… wie… Scheiße, Abbiegespur versäumt!

 

„Wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit und biegen Sie nach rechts ein auf die B einhundertvierunddreißig. Folgen Sie der B einhundertvierunddreißig für vier Kilometer.“

 

Mannmannmann. Aber gut, wieder auf Schiene. Wo war ich? Ach ja – wenn Sie nur ein bisschen mehr wie Cordelia wäre… So fordernd… Die weiß genau, was sie will. Wie sie wohl aussieht? Sicherlich groß, schlank, lange schwarze Haare, hinten zu einem Dutt zusammengeknotet, bronzener Teint… Vollkommen egal, ich fände sie auch sexy, wenn sie klein und rothaarig wäre und Sommersprossen hätte. Wie lange fahre ich noch? Gute Viertelstunde.

 

„Biegen Sie bei der übernächsten Kreuzung links ab und reihen Sie sich in die rechte Fahrspur.“

 

Keine Kompromisse. Klare Ansagen. So muss das sein. Und die Stimme… Hach, was für eine Stimme! Dunkel, samtig und doch mit einer gewissen Schärfe. Geht direkt in die Seele.

 

„Bleiben Sie fünfhundert Meter auf der rechten Fahrspur.“

 

Ich könnte dir stundenlang zuhören, Kleines.

 

„Biegen Sie bei der nächsten Kreuzung nach rechts ein. Folgen Sie der Straße für neun Kilometer.“

 

Ich stelle mir gerade den ersten Abend mit dir vor… Wir treffen uns vor einem vornehmen Restaurant, du bestehst anfangs noch auf dem Sie-Wort – ein wenig gewöhnungsbedürftig, hat aber auch einen gewissen Charme. Wir gehen hinein, der Ober führt uns zu unserem Tisch. Ich will dir den Mantel abnehmen, doch der Garderobier kommt mir zuvor. Du ermahnst mich unwillig, nicht so unterwürfig zu sein und befiehlst mir, dir den Stuhl zurechtzurücken. Ich entschuldige mich für meinen hündischen Gehorsam und ernte einen vernichtenden Blick von dir. Das tut gut.

 

„Achten Sie auf die baustellenbedingt herabgesetzte erlaubte Höchstgeschwindigkeit.“

 

Du sagst, dass du gerne einen Salat möchtest. Ich bleibe sitzen und merke, wie du mich stirnrunzelnd ansiehst. Plötzlich begreife ich und stürze nach vorne zum Salatbuffet. Du gibst aus dem Hintergrund Anweisungen, ein bisschen Tomate – nein, weiter rechts! Und noch ein wenig Dressing. Die Schüsseln sind vorne links. Ich sagte links, Herrgott noch einmal!

 

„Biegen Sie bei der nächsten Kreuzung nach rechts ein.Ihr Ziel befindet sich in zweihundert Metern auf der rechten Seite.“

So, da vorne ist es schon. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust mehr. Es wäre ja im Grunde auch unfair Cordelia gegenüber. Außerdem würde sie mir wahrscheinlich die Hölle heiß machen. Hmm… was wäre, wenn ich jetzt einfach… Das ist es. Ich fahre einfach weiter.

 

„Sie haben Ihr Ziel versäumt. Wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit.“

 

(Tiefes Durchatmen.) Nein. Mal sehen, was passiert.

 

„Wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit.“

 

Herrlich. Wo waren wir? Richtig, ich stehe vor dem Salatbuffet und bin ratlos. Das Dressing habe ich  gefunden, aber du willst jetzt auch noch Croutons… Hilfesuchend blicke ich mich zu dir um. Auf einmal verlierst du die Beherrschung und fährst mich an, ich soll sofort umdrehen und zum Tisch zurückkommen. Ich…

 

„Ich sagte, wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit, Herrgott noch einmal!“

 

Bitte wie? Hat sie das jetzt wirklich gesagt? Kann nicht sein, kein Navi der Welt hat eine derart unflätige Sprachprogrammierung. Habe ich mir das wirklich eingebildet? Egal. Das ist mein Wagen, da kann ich mir einbilden, was ich möchte. Es war jedenfalls wirklich gut. Mit soviel Verve. Hach ja, so kann es gerne weitergehen.

 

„Wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit.“

 

Vorher war es besser. Tun wir besser, was sie sagt, ich möchte es nur ungern eskalieren lassen. Es läuft grade so gut. So. aber gleich mal rechts abbiegen, damit es spannend bleibt. Und links. Ach Gott, dieser Ungehorsam! Das wird Cordelia gar nicht gefallen.

 

„Biegen Sie bei der nächsten Querstraße links ab. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

 

Alles was du willst, Cordelia. Aber um die Spannung aufrecht zu halten, jetzt mal wieder umdrehen. Heute bin ich wagemutig.

 

„Sie entfernen sich wieder von Ihrem Zielort, verdammt! Wenden Sie bei der nächsten Gelegenheit!“

 

Den Wunsch werde ich dir nicht erfüllen, mein Schatz. Da vorne ist ein Parkplatz, sehr gut. Zeit, zur nächsten Stufe überzugehen. Wo sind denn hier die Spracheinstellungen? Ah, hier. Mal sehen… Anrede: Du.

 

„Dreh um und folge der Straße zurück.“

 

Das habe ich jetzt leidergottes nicht verstanden. (Drücken des Repeat-Buttons.)

 

„Ich sagte dreh um und folge der Straße zurück, bist du taub?“

 

Jetzt ist es perfekt. So. Hier müsste doch noch eine Flasche von diesem herrlichen Rotwein herumliegen… Da ist sie. (Räuspern.) Kann ich dir ein Glas Wein anbieten, Cordelia?

 

„Ich verstehe nicht ‚Kann ich dir ein Glas Wein anbieten?’“

 

(Drücken des Repeat-Buttons.)

 

„Du weißt genau, dass ich keinen Wein trinke!“

 

Auch recht, bleibt mehr für mich. Das Date läuft wirklich blendend.

 

„Sehr geehrter Kunde, ich möchte dich darauf hinweisen, dass du zur Zeit eine Testversion des Columbus-Navigationssystems nutzt. Diese Testversion läuft nach dieser Nutzung ab und endet fünfzehn Minuten nach dem planmäßigen Erreichen des angegebenen Zielorts.“

 

Was?! Das ist jetzt nicht wahr. Das kannst du mir nicht antun!

 

„Gerne kannst du im Anschluss die Vollversion mit dem bei unseren Kunden sehr beliebten Assistenten Franz erwerben.“

 

Wir sind jetzt eine knappe Viertelstunde über der Zeit… Neiiiin! (Verzweifeltes wahlloses Drücken der Knöpfe.)

 

„Die Testversion ist abgelaufen.“

 

Naja, besser als nichts. Aber der Wein ist wirklich exzellent. (Drücken des Repeat-Buttons.)

 

„Die Testversion ist abgelaufen.“

 

Die Knabbereien passen auch wunderbar dazu. Und nochmal, jetzt mit Gefühl.

 

„Die Testversion ist abgelaufen, zum Teufel!“

 

Schön.

 

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