Von Miklos Muhi

»Ach, Sie schon wieder. Guten Tag. Wie geht es uns heute?«, fragte Kommissar Fountoura und setzt sich hin. Im Verhörzimmer der Bezirkspolizei war es düster und die Luft war stickig.

 

Almeida saß am anderen Ende des Tisches und sah, wie jedes Mal, wenn er mit der Polizei zu tun bekam, ziemlich blass aus.

»Herr Kommissar, bitte … Mir ist übel und bin unendlich müde.«

»Das sagen Sie doch immer, Herr Almeida«. Plötzlich verschwand die Jovialität aus Fountouras Stimme »Deswegen kauft das Ihnen keiner mehr ab. Das mit der Müdigkeit auch nicht.«

»Sie haben nicht das Recht, sich über mich lustig zu machen«, knurrte Almeida.

»Nichts steht mir ferner im Moment, glauben Sie mir. Wenn wir schon über Rechte reden: Was hatten Sie im stillgelegten Krankenhaus zu suchen?«

»Ich habe mich verirrt und wollte da so schnell wie möglich raus.«

»Und die Schubkarre mit dem Metallschrott, der verdächtig nach Krankenhaus-Ausstattung aussah, schoben Sie vor sich hin, um ein bisschen zu trainieren, nicht wahr?«

Almeida rieb sich schweigend die Schläfen.

»Sie sind nicht zum ersten Mal unser Gast und Metallschrott ist Ihre Spezialität. Hauptsächlich Metallschrott, der anderen gehört. Wo haben Sie den Inhalt der Schubkarre her?«

»Die Sachen habe ich gefunden.«

»Gefunden, was? Wie wäre es mit ein bisschen Semantik, Herr Almeida?«

»Mit ein bisschen was?«

»Sehen wir uns doch mal an, was die verschieden Wörter bedeuten: Wenn Sie unbefugt ein Privatgrundstück betreten und da Sachen aufsammeln, die nicht Ihnen gehören, dann nennt sich das Landfriedensbruch in Tateinheit mit Diebstahl oder unter Umständen Einbruch. Selbst wenn Sie etwas auf öffentlichem Gelände finden und sich das aneignen, begehen Sie eine Straftat, laut Paragraph …«

 

Ein junger, uniformierter Beamte platzte in den Verhörraum. Fountoura blickte ihn verärgert an.

»Wer sind Sie und was wollen Sie? Ich bin in einem Verhör. Vor der Tür habe ich die entsprechende Tafel aufgestellt und ich darf wohl vermuten, dass Sie unsere Sprache verstehen und auch lesen können. Oder?«

»Polizeianwärter Besançon, melde gehorsam.«

»Und was wollen Sie?«

»Telefon für Sie, Herr Kommissar.«

»Also nochmal: Ich bin in einem Verhör und will nicht gestört werden. Hoffentlich haben Sie das endlich begriffen und jetzt raus, aber wie der geölte Blitz!«

»Es ist der Polizeipräfekt.«

»Das ist nicht witzig, Kollege Besançon.«

»Es ist kein Witz, Herr Kommissar. Ich hätte Sie sonst nie bei einem Verhör gestört. Der Herr Polizeipräfekt war sehr aufgebracht und wollte mit dem Beamten sprechen, der den Fall Almeida bearbeitet.«

»Wehe, wenn es nicht stimmt«, knurrte Fountoura »Sie bleiben hier mit Almeida, bis ich zurück bin, verstanden?«

»Zu Befehl, Herr Kommissar!«

»Und lassen Sie diesen Schwachsinn. Sie sind nicht mehr bei der Armee.«

 

Fountoura verließ den Raum. Almeida legte seinen Kopf auf den Tisch und schlief ein und Besançon bewachte eifrig seinen Schlaf.

 

Umso härter war das Erwachen, als, erst nach Stunden, die Tür aufging und drei Gestalten in weißen Schutzanzügen den Raum betraten. Durch das Visier erkannte Besançon Kommissar Fountoura. Die zwei anderen kannte er nicht. Einer von ihnen ging im Raum mit einem Messgerät herum, der andere ging direkt zu ihm.

»Guten Tag. Mein Name ist Doktor Bragon und ich werden Sie untersuchen.«

»Warum?«

»Keine Widerrede Besançon!«, rief ihm Fountoura zu, »Das ist eine Dienstanweisung des Polizeipräfekten. Nach der Untersuchung gehen Sie nach Hause und sind bis auf weiteres mit Bezahlung vom Dienst suspendiert.«

»Es tut mir leid, Sie gestört zu haben, Herr Kommissar.«

»Darum geht es nicht. Während der Suspendierung müssen Sie jeden Tag in der Spezialklinik Nummer 488 zur Untersuchung erscheinen.«

»Das kenne ich von der Armee. Das ist doch die Klinik spezialisiert auf …«

»Genau Besançon. Also machen Sie, was der Doktor sagt.«

 

Nach einer kurzen Untersuchung entließ der Doktor mit beruhigenden Worten den schon zitternden Besançon. Die Suspendierung würde wahrscheinlich eine Woche dauern, höchsten zwei, vermutlich ohne größere Schäden, meinte der er.

 

Als Besançon den Raum verließ, untersuchte der Doktor Almeida, der nur widerwillig kooperierte. Weder die Schutzanzüge, noch die pessimistischen Gesten des Doktors beeindruckten ihn. Als die Untersuchung beendet war und der Arzt den Raum verließ, brachte man noch einen Stuhl. Daraufhin nahm der Mann im Schutzanzug gegenüber Almeida und neben Fountoura Platz.

»Guten Tag. Ich bin Kommissar Guimarães von der Polícia Federal.«

»Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen«, brabbelte Almeida.

»Sicher doch. Was haben Sie mit dem Metallzylinder gemacht?«

»Mit welchem Zylinder?«

»Spielen Sie hier nicht den Idioten, Almeida!«, sagte Guimarães. »Es geht um den Zylinder, den Sie schon vor einer Woche aus dem gleichen stillgelegten Krankenhaus gestohlen haben, wo Sie heute erwischt wurden. Was haben Sie damit gemacht? Wo war der Zylinder in der letzten Woche? Wer kam in Kontakt damit?«

»Was ist denn mit dem Zylinder?«, fragte Almeida mit wachsender Unsicherheit. »Es war so ein blaues Pulver darin. Es sah wie blaues Kochsalz aus und leuchtete in der Dunkelheit.«

»Haben Sie sich nie gefragt, wieso es leuchtet?«

»Nein, warum denn? Ich fand es lustig. Mein Neffe hat sich damit zum Osterfest ein Kreuz auf die Brust gezeichnet. Er ist jetzt krank und ist zu Hause.«

»Nein, er ist nicht mehr zu Hause, er ist in einer Klinik und ringt mit dem Tod.«

»Was hat er?«, fragte Almeida und zuckte zusammen.

 

Guimarães und Fountoura schauten sich an. In ihren Blicken lag die Frage, ob die Blödheit eine Obergrenze hätte.

 

»Er hat die Strahlenkrankheit, Sie Idiot, genauso wie Sie! Wie blöd kann man denn überhaupt sein, verdammt nochmal!« Fountoura war außer sich »Sie haben viele Menschen krankgemacht und bisher mindestens zwei mit dem Zeug getötet. Und wenn Sie nicht sofort damit rausrücken, wo der Zylinder in der letzten Woche war und wer damit Kontakt hatte, werde ich es eigenhändig und eigenfüßig aus Ihnen herausprügeln. Hier geht es nicht nur um eine Schubkarre gestohlener Metallschrott, Mann. Hier geht es um das Leben und die Gesundheit vieler Menschen. Haben Sie das kapiert, Sie Arsch?«

 

Nach kurzem Schweigen begann Almeida zu reden. Den Zylinder hätte er gefunden (in seinen Geständnissen behauptete er die Sachen, die er stahl, nur gefunden zu haben), und zwar gemeinsam mit einem Cousin im stillgelegten Krankenhaus. Sie brachten ihn zu einer Tante, wo er einen Tag lang lagerte. Dann haben sie ihn geöffnet und das leuchtende Cäsiumsalz, das für Strahlenbehandlung eingesetzt wurde, darin entdeckt.

 

Die äußere Hülle hatten sie einem Schrotthändler verkauft. Der Kern mit dem Cäsiumsalz wurde bei einer Familienfeier herumgereicht, damit jeder sehen konnte, wie schön es leuchtete. Nach der Feier wurden viele krank. Almeida war sich sicher, dass sie zu viel getrunken hätten.

 

Der Kern mit dem leuchtenden Pulver sei immer noch bei seiner Tante, meinte Almeida zum Schluss.

 

»Ihre Tante hat den Zylinderkern in einer Plastiktüte zum Arzt des Bezirkes gebracht, der erkannte, was darin war und benachrichtigte die Behörden. Sie haben Mist gebaut, Almeida, und zwar in Ausmaßen, die Sie wahrscheinlich nie begreifen werden.« Guimarães‘ Stimme war ruhig »Jetzt wird man Sie in die Spezialklinik Nummer 488 bringen. Das ist ein Militärkrankenhaus, das auf Strahlenkrankheit spezialisiert ist. Sie werden lange da bleiben, unter ständiger Bewachung. Werden Sie je gesund, steht Ihnen ein Aufenthalt im Knast bevor.«

 

Zwei uniformierte in Schutzanzügen betraten den Raum und führten Almeida ab.

 

*

 

Letztendlich starben vier Menschen an den Folgen. Sie wurden in Beton gegossenen Bleisärgen beigesetzt. Zahlreiche Häuser wurden kontaminiert. Einige mussten abgerissen, andere aufwendig dekontaminiert werden. Für den ganzen verstrahlten Müll musste eine Lagerstätte errichtet werden für eine Lagerung von mindestens 180 Jahren.

 

Drei Ärzte, Betreiber des stillgelegten Krankenhauses wurden wegen grober Fahrlässigkeit vor Gericht gestellt und rechtskräftig verurteilt.

 

Almeida selbst überlebte noch einige Jahre und gab mit seinen Abenteuern in Kneipen an. Er starb an Krebs – verarmt, allein und von den meisten Bewohnern der Stadt tief gehasst.

 

Version 2