Von Juliane Soain

Mitti hat mal wieder die undankbare Aufgabe bekommen die Wäsche zu waschen. Sie schleppt den schweren Wäschesack zum Fluss. Dabei ist sie erst 11 Jahre alt. Weil sie gestern ihre Aufgabe nicht erfüllt hat, wurde ihr diese Arbeit zugeteilt. Das kleine Mädchen ist ein Träumer und so kommt es öfter vor, dass sie Ihre Aufgaben nicht bewältigt. Sie ist sehr neugierig und lässt sich schnell von anderen Dingen ablenken. Gestern war die Familie auf dem Feld Kartoffeln ernten, doch Mitti hat diese schönen Steinchen zwischen ihnen gefunden und sich ein ganzes Weilchen mit dem Ausbuddeln beschäftigt. Als ihr Vater das sah, ging er auf sie zu und verpasste ihr eine heftige Ohrfeige. Die Steine hat er auch noch weggeworfen. Obwohl sie bis zum Sonnenuntergang Kartoffeln erntete, konnte sie nicht genug zusammenbekommen, um ihren Vater zufriedenzustellen.

„Schau mal Flocke, siehst du den bunten Vogel dort?“

„Wuff, wuff.“ 

Mitti lächelt und übersieht die Wurzel auf dem Boden. Natürlich stolpert sie drüber und fällt der Länge nach hin. 

„Autsch, aua. Verdammt, das fehlt mir noch“, wimmert sie. Mitti hat sich das Knie aufgeschlagen. Sie richtet sich auf, beobachtet wie das Blut aus der Wunde austritt und fängt an zu weinen. Mitti humpelt zum nächsten Stein und setzt sich drauf. Da kommt Flocke angelaufen und leckt ihr die Tränen weg. Mitti drückt ihren Hund ganz fest, doch Flocke versucht sich gleich aus dieser Umarmung herauszuwinden.

„Wenn ich dich nicht hätte Flocke, wüsste ich nicht, was ich machen sollte.“ Sie schaut ganz traurig drein. Danach fixiert sie den Wäschesack, steht schnell auf und will losrennen, doch der Schmerz vom Sturz hindert sie daran. Entschlossen humpelt sie hin und verpasst ihm einen kräftigen Tritt.

„Nimm das du, du Wäschesack. Nicht mal eine Beleidigung für dich fällt mir ein.“ Enttäuscht packt Mitti die Schmutzwäsche und schleift sie hinter sich her.

„Zum Glück ist der Fluss nicht mehr weit weg. Nur noch 300 Schritte.“ 

„Wuff, wuff“, bellt Flocke und rennt wie ein Irrer durch die Gegend.

„Bloß nicht zu weit in den Fluss hineingehen.“, Mitti kann nämlich nicht schwimmen. 

Sie schaut sich zu allen Seiten um und holt aus dem Gebüsch eine Trommel aus Weidenzweigen mit Schaufelrädern heraus, baut diese im Fluss auf und fängt an die Wäsche zu verladen. Entspannt schaut sie vom Ufer zu, während sich die Wäsche von selbst wäscht. Mittis Magen knurrt. Sie hat schrecklichen Hunger, aber ihr Vater hat sie heute ohne Essen losgeschickt. Plötzlich spürt sie in ihrer Tasche etwas. Sie greift hinein und lächelt. Ihre liebe Mama hat ihr ein Brot zugesteckt.

„Zum Glück wissen meine Eltern nicht, dass ich mir was Tolles ausgedacht habe, um die Wäsche zu waschen.“, brummelte sie vor sich hin und beißt kräftig in die Brotscheibe. 

„Wenn sie davon erfahren würden, wäre es keine Strafe mehr.“ Sie braucht sich keine Sorgen machen, dass jemand sie erwischt, denn für gewöhnlich verbringt man einen ganzen Tag mit Wäsche waschen. Leider ist ihre Erfindung nicht ganz ausgereift und während sie kurz in die Büsche verschwindet, öffnet sich der Deckel und die Wäsche purzelt in den Fluss. 

„Oh nein, nein, nein.“ Als Mitti es bemerkt, schwimmt die Wäsche schon im Fluss. Mitti packt schnell das Brot wieder in ihre Tasche. Sie versucht alle Teile zu erwischen, aber Vaters Hose ist schon zu weit draußen. Sie rennt hinterher und versucht sie noch einzuholen. Flocke hüpft aufgeregt neben ihr hin und her.

„Fast hab ich dich du, du Hose.“, doch leider gleitet sie ihr wieder aus der Hand. Sie kann ihren Vater schon schimpfen hören. Für eine Hose wird sie bestimmt reichlich Prügel bekommen. 

Mitti rennt der Hose hinterher. „Ich muss sie irgendwie zu fassen bekommen. Vielleicht in der nächsten Kurve.“, spricht sie sich Mut zu. Der Fluss ist wirklich erbarmungslos. 

Plötzlich sieht sie etwas Glitzerndes am Flussrand liegen. Sie stoppt sofort. Ihre Augen schauen abwechselnd auf das glitzernde Objekt und die Hose. Ihre Angst wird größer und die Hose schwimmt immer weiter weg. 

„So was habe ich noch nie gesehen. Ich muss es haben, auch wenn ich für die verlorene Hose Prügel bekomme. Vielleicht erzähle ich meinem Vater auch einfach, dass die Hose von einem Räuber gestohlen wurde. Genau. Er hat mich überfallen. Ohne Hose und die Hose geklaut.“ Der Plan steht, die Hose schwimmt davon und Mittis Neugier hat mal wieder gesiegt. 

Mitti hält sich an einem Zweig fest und greift so tief, wie sie kann, ins Wasser. Es reicht aber nicht und so versucht sie, ohne sich abzusichern, ins Wasser zu greifen. Sie hat panische Angst hinein zu fallen, doch die Neugier ist so stark, dass sie sich auf den Bauch hinlegt. Ihr Herz droht aus der Brust zu hüpfen und sie zittert. Kurzentschlossen taucht sie ihren Kopf unter Wasser und greift nach dem glitzernden Ding. Dabei merkt sie, wie Flocke an ihrem Hosenbein zieht. So schnell wie möglich taucht sie wieder aus dem Wasser und fängt an zu husten, da sie sich verschluckt hat. Die nassen Haare hängen ihr ins Gesicht. Sie sieht ganz schön fertig aus. Mitti steckt das Glitzerding in die Tasche. Nachdem sie sich etwas ausgeruht hat, geht sie wieder zum Wäscheplatz zurück.

Sie ist total aufgeregt, aber sie muss zumindest erst den Rest fertig waschen und zum Trocknen aufhängen, sonst wird sie heute nicht mehr fertig und muss alleine beim Wäscheplatz übernachten. Als die Sonne anfängt zu sinken, hat sie alles durchgewaschen und die Wäsche aufgehängt. Erschöpft setzt sie sich in den Schatten und entspannt sich. 

Plötzlich fällt ihr ein, dass sie das glitzernde Ding noch in der Tasche hat. Sie holt es heraus.

„Es glitzert so schön. So was habe ich bisher noch nicht gesehen.“

Mitti steht auf, um das Ding in der Sonne zu betrachten.

„Mitti, Hast du deine Schuhe schon …“, spricht eine Frau mit einer verzerrten Stimme. Vor Schreck wirft Mitti die Karte weg. Ihr Herz fängt an, wie verrückt, zu klopfen. Mit großen Augen schaut sie das Kärtchen an.

„Was ist denn gerade passiert? Da war eine merkwürdige Stimme und sie kannte meinen Namen. Meine Augen haben mir auch einen Streich gespielt. Flocke! Wo bist du? Komm schnell her!“, ruft sie ihren treuen Hund. Als sich Mittis Herz wieder etwas beruhigt hat, packt sie wieder die Neugier. Sie schüttelt sich und bekommt eine Gänsehaut. Mit Flocke an der Hand greift sie wieder nach dem Ding.

„Mitti, hast du Flocke schon das Halsband angelegt? Wir wollen doch los.“ Die Stimme klingt verzerrt und Mittis Augen nehmen langsam Umrisse wahr. Sie erkennt Flocke. Er steht bereits mit wedelndem Schwanz und der Leine im Maul vor ihr. Sie legt ihm das Halsband an und geht nach draußen.

„Es ist so furchtbar hell.“, sagt Mitti. 

„Ja, es ist ein schöner Tag. Genau richtig für das, was wir vorhaben.“, sagt die Frau mit der verzerrten Stimme. Sie nimmt Mitti an die Hand und setzt sie ins Auto. Flocke kommt in den Kofferraum. Langsam kann Mitti immer mehr erkennen. 

„Alle abfahrbereit?“, fragt ein Mann.

„Ja.“, brummeln zwei Jungs.

„Klar.“, sagt die Frauenstimme.

„Wuff, wuff.“

„Was ist mit dir Mitti?“

„Ja, bin ich.“, antwortet Mitti aufgeregt. Sie kann nun wieder sehen und die verzerrten Stimmen klingen wieder normal. Gespannt beobachtet sie alles. Ihr Herz pocht so stark, als ob sie mit einem Bären um ihr Leben kämpfen würde.

Was ist hier los? Ich spüre, dass irgendwas nicht stimmt, aber es kommt mir so real vor. Ich war doch gerade noch am Fluss und nun sitze ich in diesem Ding. Ah, Auto heißt es. Woher weiß ich das? Es bewegt sich so schnell. Wo fahren wir hin? Das kommt mir hier alles so vertraut vor. Aber ich weiß, dass es nicht real sein kann. Wieso sind hier so viele Häuser und Menschen?

„Wisst ihr schon, wo wir hinfahren?“, fragt die Frau.

„Zum Jahrmarkt!“, ruft Mitti.

„Super!“, kreischen Mittis Brüder.

„Richtig! Das hast du dir doch gewünscht, mein Schatz!“, sagt der Mann.

Warum nennt mich dieser Mann „mein Schatz“ und wann habe ich mir das gewünscht und was ist ein Jahrmarkt? Ach, jetzt weiß ich es. Wieso weiß ich es eigentlich?

Mittis Augen leuchten, als sie die vielen Fahrgeschäfte und all die bunten Lichter sieht. Sie schließt für einen kurzen Moment die Augen und genießt den Augenblick. Lässt die Schreie, das Gekreische, Gelächter und die anderen Geräusche auf sich wirken.

„Mama, Papa! Wartet auf mich!“ Die beiden drehen sich um. Mitti rennt los und fällt ihnen in die Arme.

„Ich liebe euch.“ Die beiden lächeln. „Wir lieben dich auch Mitti!“, erwidern sie ihre Zuneigung.

„Lasst uns ein Eis essen gehen.“, schlägt Mittis Papa vor.

Am Eisstand warten sie alle ungeduldig, bis sie an der Reihe sind. Jeder darf sich sein Eis selbst aussuchen.

„Ein Schokoeis, ein Vanilleeis, einen Blauen Engel, ein Mangoeis und ein Erdbeereis für Mitti.“ Mama bestellt und verteilt es, gleich nach dem Bezahlen, an die Kinder.

„Lasst es euch schmecken!“

Als Mitti das erste Mal dran schleckt, erlebt sie ein wahres Geschmacksfeuerwerk.

Es ist so lecker. Ich habe noch nie so etwas Leckeres gegessen. So süß und so kalt. Sie schließt die Augen und genießt ihr Eis. Ich liebe Eis.

Mitti denkt, sie kann an diesem Abend nicht mehr glücklicher werden, doch dann fahren sie mit dem Karussell, Riesenrad und Autoscooter. Mitti strahlt.

„Wir haben dich schon lange nicht mehr so glücklich gesehen mein Schatz.“, alberte ihr Papa mit Mitti herum und fängt an sie zu kitzeln.

„Lass das Papa.“, aber lachen muss Mitti trotzdem.

„Mitti, wollen wir noch Dosenwerfen?“, zeigt ihr Papa auf die Bude. Zusammen sind die beiden unschlagbar und als sie dann auch noch einen Teddybären gewinnt, kullern Mitti ein paar Tränen über die Wangen.

Mitti steht mitten im Getümmel und ist überglücklich. Sie greift in ihre Jackentasche, um ihren Teddy zu suchen. Als sie die Hand wieder herausholt, hat sie eine Glitzerkarte in der Hand. Unbemerkt von ihr fällt eine Scheibe Brot aus der Tasche. Mitti erinnert sich plötzlich wieder an alles. Als sie sich auf die Glitzerkarte konzentriert erscheint auf ihr ein Wort:

Return?

(Mitti lässt die Glitzerkarte fallen)

 

Version 2