Von Manuel Fiammetta

„Wie alt bist du?“

 

„Wer will das wissen?!“

 

„Als ob ich es nötig hätte, mich einem wie dir vorzustellen. Nun sag´ schon.“

 

„Eigentlich geht’s Ihnen überhaupt nichts an, aber gut … 32.“

 

„Oh man. 32. Ich bin ein Jahr jünger als du, habe eine Firma gegründet und verdiene scheiße viel Geld. Ich arbeite dafür. Und du?  Du liegst hier faul auf dem Boden herum und vermiest mir die Laune, weil ich dich sehen muss. “

 

„Dann glotz´ mich halt nicht an und lauf weiter. Oder besser, geh´ zukünftig ´nen anderen Weg, damit du mich nicht mehr sehen musst.“

 

Der junge Anzugträger beugte sich zu dem Obdachlosen hin.

„Würde ich ja machen, aber von deinem Gesocks scheint es unzählige zu geben. An jeder Ecke lauern sie und wollen meine Kohle.“

 

„Dann schau´ halt weg wenn du an mir oder den anderen vorbeiläufst. So, wie es die meisten Leute auch machen.“

 

„Sie! Bitte! Wüsste nicht, dass wir befreundet wären.“

 

„Du, äh, Sie duzen mich doch auch.“

 

„Da ich dich mitfinanziere, darf ich dich auch duzen. Soweit kommt es ja noch.“

 

„Bitte was? Mich finanzieren? Ich lebe hier auf der Straße und sitze keinem auf der Tasche.“

 

„Meine Fresse, dumm ist er auch noch. Meinst du, diese ganzen Obdachlosen- und Junkiehilfen kosten nichts?! Der Staat hat da überall seine Finger im Spiel, sprich meine Steuern. Und immer wenn du im Laden etwas klaust, erhöhen sie die Preise und ich muss es zahlen. Soll ich dir noch mehr aufzählen?“

 

Streedy, der eigentlich Jan hieß, wollte nichts mehr hören. Demonstrativ drehte er Chris den Rücken zu.

 

„Keine Argumente, was?“

 

Streedy schnaufte kurz und drehte sich dann doch nochmal um.

 

„Was soll ich dazu sagen? Sie haben ihre festgefahrene Meinung von mir. Ich könnte jetzt alles mögliche darauf antworten, aber Sie würden auf alles etwas Negatives erwidern. Warum stehen Sie dann eigentlich jetzt schon so lange bei mir? Gehen Sie doch einfach weiter und lassen mich in Ruhe. Ich lasse Sie doch auch in Ruhe.“

 

„Tust du eben nicht, wie ich dir schon sagte. Da du hier rumlungerst, nimmst du mir ein Stück Qualität. Dein Zeug stinkt, du stinkst und dein Kaffeebecher mit den Münzen drin regt mich einfach nur auf.“

 

Chris holte etwas aus seiner Hosentasche.

 

„Nimm´. Das ist der Grund, warum ich hier stehe.“

 

Chris gab Streedy einen bezahlten Lottoschein.

 

„Ein Kumpel, der übrigens auch gerade erfolgreich eine Firma gegründet hat, und ich, haben letztens eine geile Party geschmissen. Teurer Schampus, teures Essen, teure Frauen. Wenn du weißt, was ich meine.“

 

„Und, was hab´ ich damit zu tun.“

 

„Torben und ich lieben Wetten. Wir wetten einfach immer. So haben wir gewettet, wie viel die Party am Ende wohl kosten würde. Torben war näher dran. Der Einsatz war, einem Menschen, der nicht so viel Geld verdient wie wir, einen Lottoschein zu geben. Wir wollten halt mal was verrücktes tun. Etwas, was uns wirklich weh tut. Das habe ich nun hiermit getan.“

 

„Ich will ihn nicht. Er ist schmutzig. Alles was von Ihnen kommt, ist schmutzig.“

 

Chris fing lauthals an zu lachen.

„Schmutzig?! Hast du dich mal angesehen? Dann weißt du, was schmutzig ist. Nimm ihn einfach. Damit habe ich dann meine Wettschulden eingelöst.“

 

Chris ging, blieb nach ein paar Schritten aber wieder stehen und lief zu Streedy zurück.

 

„Ich hoffe, dass du nicht einen Cent gewinnen wirst. Du sollst arbeiten gehen und so dein Geld verdienen.“

Beim erneuten Weggehen, trat er noch absichtlich den Kaffeebecher um.

 

Streedy sah sich den Schein an. 12 Reihen. Ziehung am Samstag. Also morgen.

Er wusste nicht so recht, was er von dem halten sollte, steckte sich den Schein aber in seine Hosentasche.

 

12, 25, 26, 29, 41 und 44. Superzahl 7.

 

Aus einer Bäckerei lieh er sich am Montagmorgen eine Zeitung und verglich die Zahlen. In Reihe 8 blieb sein Blick mit weit geöffneten Mund stehen.

Er hatte tatsächlich 6 Richtige + Superzahl.

 

„Wie hoch?“

 

Die Verkäuferin fragte verdutzt zurück: „Was, wie hoch?“

 

„Der Jackpot. Der Lottojackpot. Wie hoch war er.“

 

„Ich glaube knapp 30 Millionen. Müsste aber auch da irgendwo stehen.“

 

Streedy sah nichts. Er war viel zu aufgeregt. Konnte das tatsächlich sein? Oder hatte ihn dieser Anzugträger verarscht? Aber wie sollte er das gemacht haben? War der Schein echt? Fragen schossen ihm durch den Kopf. Schließlich machte er sich auf den Weg zur Lottoannahmestelle.

 

„Ich fass´ es nicht. Endlich mal jemand, der bei mir den Jackpotschein abgibt. Ich fass´ es einfach nicht.“

Die Frau hinterm Tresen konnte es kaum glauben.

Sie lief auf Streedy zu und reichte ihm ihre Hand.

„Herzlichen Glückwunsch, Sie haben ihn geknackt. 29,8 Millionen Euro. Wahnsinn. Unfassbar.“

 

Streedy stand da und dachte, er träume. Eine gefühlte Ewigkeit hielt dieser Zustand an.

 

„Was machen Sie mit dem Geld? Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht?“

 

„N-N-Nein. H-H-Hab´ ich noch nicht“, stammelte er. „Ich denke, ich werde zunächst mal umziehen.“

 

„Oh, schön. Ein eigenes Haus mit Garten und Pool. Riesen Terrasse.“

 

„Nein, ich dachte da eher an eine 2-Zimmer Wohnung. Aber ich glaube, als erstes kaufe ich mir ein paar neue Klamotten.“

 

Die Verkäuferin erklärte ihm das weitere Prozedere. Streedy war nun Millionär. Sogar Multimillionär.

 

Die Jahre vergingen und Streedy kaufte sich tatsächlich nur eine kleine 2-Zimmer Wohnung. Er machte den Führerschein und gönnte sich einen Neuwagen. Mittelklasse. Nichts wildes.

 

Er arbeitete ehrenamtlich als Streetworker und half dem ein oder anderen aus der Klemme.

Chris sah er nicht mehr. Bis zu diesem einen Tag, als er von seiner Straßenarbeit zurück in den „Haustreff“ kam. Der „Haustreff“ war eine Anlaufstelle für Obdachlose. Hierher kamen sie meist zuerst und hier wurde ihnen auch bei allerlei Fragen geholfen.

 

Da saß er. Chris. Den schicken Anzug durch einen Jogginganzug ersetzt. Die teure Uhr nicht mehr am Handgelenk. Die gepflegten Haare zerzaust und der akkurat getrimmte Bart verwildert.

 

„Marie, ich übernehme den Herrn.“

 

Jan hielt Chris seine Hand zur Begrüßung hin. Chris schaute ihn an und man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten begann. Woher kannte er sein Gegenüber?

 

„Mein Name ist Jan. In der Szene nennt man mich Streedy. Ich war bis vor 3 Jahren selbst obdachlos und lebte bei Wind und Wetter da draußen. Bis ein Arschloch zu mir kam, mich beschimpfte und beleidigte, mir dann aber etwas gab, was mein Leben veränderte. Einen Lottoschein.“

 

Chris´ Augen quollen beinahe aus ihren Höhlen. In seinen Mund hätte man ein Backblech schieben können, so weit war er geöffnet.

 

„Der Lottoschein. Die Wette. Du… Darf ich noch Du sagen.“

 

„Selbstverständlich.“

 

„Du hast ihn geknackt. Wie viel waren es? 30 Millionen?“

 

„Ja, fast. Eigentlich viel zu viel.“ Jan lächelte. „Was ist mit dir? Was ist mit dir passiert? Ich duze dich, ok?! So machen wir das unter uns.“

 

„Ja. Ja, klar. Ich bin pleite. Musste alles verkaufen. Hab mich verspekuliert und das Geld links und rechts raus gehauen. Jetzt bin ich hier. Bei dir.“

 

„Komm her“, sagte Jan und zog Chris zu sich, um ihn in den Arm zu nehmen.

 

„Weißt du, wenn du mich damals nur einfach gefragt hättest, warum ich auf der Straße gelandet bin. Was mir passiert ist. Aber nein, du hast nur weiter drauf geschlagen. Trotzdem hast du mein Leben ins Positive gewandelt. Ich bin dir auf ewig dankbar dafür.“

 

„Ich weiß jetzt, was für ein Drecksack ich war. Dazu noch egoistisch und völlig versessen darauf, noch mehr Kohle zu scheffeln. Jetzt hab´ ich alles verloren. Diese Tasche ist alles, was ich noch habe.“

 

Chris zeigte auf eine Sporttasche.

 

„Nimm´ die Tasche und komm´ mit mir. Du kannst erst mal bei mir wohnen.“

 

„Echt? Wirklich?“ Jetzt war es Chris, der Jan zu sich zog und fest an sich drückte.

 

„Ja, echt. Du hast mir geholfen, auch wenn du es eigentlich gar nicht wolltest.“ Jan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Jetzt will ich dir helfen.“

 

„Glaubst du an Zufall? Ich mein´, es musste schon viel zusammen kommen, dass wir uns nun hier wieder getroffen haben. Dazu in umgekehrten Rollen.“

 

„Nein, ich denke nicht, dass es Zufall war. Ich wollte mich die ganze Zeit schon bei dir bedanken, hab´ dich aber nicht mehr gesehen. Jetzt habe ich sogar die Möglichkeit, etwas zurück zu geben. Nein, ich glaube nicht an Zufall. Wir sollten uns wieder finden.“