Von Anne Zeisig

Arabellas Teint wurde blass, die Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf und flirrten: „Ich soll deine Mutter abholen?“ Sie schüttelte so heftig ihren Kopf, dass die rostrote Mähne heftig gegen Schläfen und Ohren schlug. „Ich soll um diese Uhrzeit die Waldstraße befahren?“

Sie löffelte in ihrer Erregung zu viel Katzenfutter in die Näpfe. „Wo es bereits dunkel ist um diese Jahreszeit?“

 

„Ich schaffe es nicht, sie abzuholen“, erklärte ihr Mann und ließ den Hobel sinken. „Diese Wiege muss morgen fertig sein.“ Er blickte auf die Uhr über der Eingangstür zur Schreinerei und seine Sorgenfalten waren nicht zu übersehen.

 

Seine Frau malte mit zitternden Fingern Kreise in die Sägespäne auf der Arbeitsbank und blickte auf das Werkstück: „Du hast es nie verwunden, dass ich dir keine Kinder schenken konnte.“

 

„Daran ist unsere Liebe nicht zerbrochen“, antwortete er kurz und hobelte weiter. Eine der jüngsten Kätzinnen streifte um seine Beine und schnurrte wohlig. 

 

„Deine Mutter hat letztens geäussert, dass die Samtpfoten für mich ein Kinderersatz seien.“

 

Abermals legte er das Werkzeug beiseite und umarmte seine Frau. „Sie hat nunmal diese Katzenhaar-Allergie. Das darfst du nicht persönlich nehmen.“ Sanft strich er über ihr Haar.

 

Arabella befreite sich aus seinen Armen. „Aber wenn sie hier ist, müssen die Miezen immer draußen bleiben. Dürfen auch nicht in der Werkstatt umherstreunen.“

Der Regen peitschte gegen den Anbau.

 

Wieder zog er sie an sich. „Die Vierbeiner mögen es, Mäuse jagen zu können, weil es ihrer Art entspricht.“, meinte er einlenkend. „Also ist die Natur ihr Spielplatz.“

 

„Aber sie könnten von einem Auto geblendet und überfahren werden“, entgegnete Arabella leise, unterdrückte ein Schluchzen.

 

Er bewegte den Hobel mit kraftvollen Schwüngen: „Es fährt selten ein Auto vorbei.“

 

‘Selten?’, dachte sie sorgenvoll und sagte: „Ich fahre nicht gerne bei Dunkelheit die Waldstraße entlang zur Einöde deiner Mutter.“

 

* * *

 

Hinter jedem Strauch, jedem Baum, den der Lichtkegel des Autos streifte, vermutete Arabella ein Unheil. Obwohl Regen und Wind nachgelassen hatten.

Diese Schattenwesen, welche sich zwischen Helligkeit und Finsternis bewegten, verhießen nichts Gutes.

Arabella atmete auf, als sie endlich die Einfahrt zur Einsiedelei hinauf fuhr.

Die Alte saß bereits vor der Hütte und hatte wie immer ein schwarzes Kopftuch umgebunden, seit ihr Mann verstorben war.

Waldemar!

Ja! DAS war ein herzallerliebster Schwiegervater gewesen! Er mochte Arabellas Katzen wie man ansonsten nur Enkelkinder sein Eigen nennen konnte.

Es war ihm nicht gutgegangen unter der herrischen Fuchtel seiner Frau. Am Ende hatte sie sogar das Geräusch seines Atemgerätes in der Nachtruhe gestört.

 

„Mutter hat halt ihren empfindlichen Tinnitus“, hatte ihr Sohn beschwichtigt.

 

„Aber Luftholen ist wichtiger, als dieses Ohrgeräusch!“ Jedoch stieß ihre Anmerkung bei ihrem Gatten auf taube Ohren.

 

„Hast immer noch keinen Bauch?“, begrüßte die Alte sie und stand auf, um ihre Tasche ins Auto zu hieven, was die Schwiegertochter ihr abnahm.

 

„Lass sein! Ist nicht gut für eine junge Schwangerschaft, Gewichte zu heben“

 

„Ich werde nie einen Bauch haben“, sagte Arabella. Bemühte sich um einen festen Ton, schloss den Kofferraumdeckel mit schweißnassen Händen und setzte sich hinters Steuer. „Damit musst du dich abfinden.“

 

„Und wer soll die Schreinerei erben?“

Die Schwiegermutter setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Seit fünf Generationen ist die Tischlerei im Besitz der Familie!“

Die Alte klappte die Sonnenblende hinunter, besah sich im Spiegel, fuhr sich mit der Zunge über die vorderste Zahnreihe und lächelte breit.

„Katzen können keine Schreinerei fortführen.“

Das Grinsen  der Alten wirkte auf die Schwiegertochter wie das einer Hexe.

„Alle Frauen in unserer Familie waren fruchtbar.“

 

‘Ich  nicht!’, schrie Arabella innerlich und ihr Magen krampfte derart, dass sie ein Würgen unterdrücken musste.

Sie drehte den Zündschlüssel im Schloss herum. Der Motor heulte auf, als sie den Rückwärtsgang einlegte, die Kiesel beiseite stoben und sie auf die Straße hinaus fuhr.

 

„Ich mag es nicht, bei Dunkelheit durch den Wald zu fahren“, zischte die Schwiegermutter. „Du hättes eher kommen sollen! Als es noch hell genug war!“

 

Arabella schüttelte kurz den Kopf. „Dein Sohn hat mir recht spät gesagt, dass ich dich abholen soll, weil er noch zu tun hat.“

 

„Willst du sagen, dass er schuld ist?“ Sie atmete tief ein und aus. „So eine Frau hat er gewiss nicht verdient!“ Die Alte zeterte. „Hast doch nichts zu tun, als dich um diese Katzen zu kümmern, derweil mein Erstgeborener sich redlich auch um dein Leibeswohl verdingt.“

 

Arabella schwieg mit zusammengekniffenen Zähnen und schmerzendem Kiefer, sehnte die Dorfeinfahrt herbei.

 

* * *

 

Im Haus stellte die Schwiegermutter ihrem Sohn ein Geschenk auf den Tisch, welches er hastig mit rosa Wangen auspackte und in die Höhe hielt.

„Schau!“, rief er erfreut. „Katzenfutter!“

Was auf dem Etikett des Einweckglases zu lesen war.

„Eigentlich ein Geschenk für dich, Arabella!“ Er nahm seine Frau in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Siehst du, sie mag deine Stubentiger.“

 

„Selber gekocht“, sagte seine Mutter und blickte zu ihrer Schwiegertochter. „Kinder ernährt man nicht mit Fertignahrung und Katzen auch nicht.“

Sie setzte sich an den gedeckten Tisch und meinte an Arabella gerichtet. „Aber für mich bereitest was Leichtes zu. Mein Magen verträgt keine Säure nicht und keine Schärfe.“

 

„Aber geh, Mutter.“ Ihr Sohn tätschelte ihre Hand. „Hast immer was Bekömmliches von Arabella bekommen“, und zwinkerte seiner Frau zu.

 

Diese nahm das Tierfutter und machte sich in der Küche zu schaffen.

Stellte schließlich das Essen auf den Tisch.

„Für uns ein scharfes Gericht und für die Mutter ein leichtes Gulasch“, lächelte sie und sprach das Tischgebet.

 

Die Alte sah mit glänzenden Augen auf ihren Teller: „Besser hätte ich es nicht zubereiten können.“ Die frischen grünen Kräuter dufteten erdig würzig, mit denen Arabella den Teller reichhaltig garniert hatte.

 

„Nun iss tüchtig, Mutter“, ermunterte der Sohn sie. 

 

Recht spät in der Nacht hatte die Alte das Zeitliche gesegnet, nicht aber die Katzen.

 

Und sieben Monate später gebar Arabella ihrem Mann einen Sohn.

 

 

anne z. VERSION 2