Von Daniela Seitz

„Ich hätte mit Silvana lieber in ein Hotel gehen sollen. Oder wäre es besser gewesen, Elvira alles zu beichten, bevor sie mich beim Sex mit Silvana erwischt hat?“, fragt Max seinen Freund Lucas.

„Max, woher soll ich das denn wissen. Welche der beiden liebst du denn mehr?“

Max überlegt und seufzt.

„Ich liebe beide!“

„Ja aber eine doch sicher mehr als die andere, oder?“, fragt Lucas.

„Nein! Beide!“, sagt Max entschieden.

„Aber Bro, ist es bei Silvana nicht einfach nur Sex oder der Reiz des Neuen? Ich meine Elvira hast du geheiratet. Ich war dein Trauzeuge. Und mit Elvira hast du ein Kind…“, beginnt Lucas.

Max unterbricht ihn.

„Mit Elvira verbindet mich eine über Jahre gewachsene Liebe. Aber Silvana erreicht einen Teil von mir, der immer alleine geblieben wäre ohne sie und der nicht mehr ohne sie sein will. Der Sex ist da für mich Nebensache“, verteidigt Max sein Verhalten und macht sich auf Spott gefasst.

Doch Lucas schaut ihn nur prüfend an.

„Vielleicht bist du ja polyamourös?“, fragt er ernst.

„Poly…was?“, sagt Max aus dem Konzept gebracht.

„Polyamoröse Menschen lieben mehr als einen Menschen. Frag mich aber nicht, wie eine polyamoröse Beziehung zwischen drei Menschen funktionieren soll. Ich hatte da neulich eine kennen gelernt, die sagte mir direkt, dass sie beabsichtigt, mich in eine solche „Triade“ einzubinden. Aber ich habe ihr gesagt, dass das nix für mich ist“, erzählt Lucas.

Max schaut Lucas ernst an.

„Bitte Lucas, erkläre mir jedes kleinste Detail!“

 

Silvana

Ich liebe Max. Heute ist mein Geburtstag und er ist vor zwei Wochen bei mir eingezogen. Wir haben uns freigenommen und Max gibt sich alle Mühe meinen Tag unvergesslich zu machen. Doch ich kann nur an den Grund seines Einzuges denken. Wie Elvira uns beim Sex erwischt, ihn vor die Tür gesetzt und mich…

Es hat sich festgesetzt, schüttelt mich geradezu, ekelt mich auch noch zwei Wochen danach, verfolgt mich wie ein hysterisches Fragezeichen, dass mir keine Ruhe mehr lässt und fordert mehr als nur kleine Gesten, wie der Einzug von Max.

„Jetzt lächle doch mal für mich, Silvana“, versucht Max mich aufzumuntern.

„Du hast leicht reden. Du bist nicht der Andere! Und außerdem hat sich deine Frau nicht auf dein Kleid übergeben!“

„Jetzt vergiss doch Elvira. Ich bin hier bei dir. Und du hast Geburtstag!“

„Tja, mein Kleid vergisst aber nicht. Im Übrigen ist es nicht richtig was wir hier tun!“

„Wer sagt das?“

„Ich, Elvira, die Gesellschaft. Was soll die Frage?“

„Hast du schon mal was von polyamorösen Beziehungen zwischen drei Menschen gehört?“, fragt Max, „Und hast du je die Beziehungsmodelle der Gesellschaft hinterfragt?“

„Du willst doch nicht etwa für den Rest deines Lebens mit uns beiden jederzeit einen Dreier haben können?“, rufe ich entsetzt aus.

„Nein, das ist ein Vorurteil, dass es bei polyamorösen Beziehungen nur um Sex geht. Tatsächlich wäre es ein polyamoröses Foul, Sex zu dritt zu haben. Es geht darum dem Partner gönnen zu können auch Erfahrungen mit anderen zu teilen. Tatsächlich verbringen Polyamoröse einen großen Teil ihrer Zeit damit die Beziehung mit mehreren Partnern auszuhandeln. Es ist kein starres Konstrukt, sondern lässt sich individuell für alle Beteiligten gestalten“, erklärt Max ruhig.

„Du bist verheiratet und hast einen Sohn. Wenn das mal kein starres Konstrukt ist! Da mache ich nicht mit! Ich will mir außerdem einen Mann nicht mit einer anderen Frau teilen!“, erwidere ich abweisend.

Max greift nach meiner Hand, doch ich ziehe sie weg.

Max sucht meinen Blick und hält ihn fest. Doch bald trenne ich auch diese Verbindung.

„Schön Silvana, alles Gute zum Geburtstag!“, sagt Max verstimmt und greift nach seinen Handy.

Zu meiner Überraschung bleibt er und telefoniert. Ich will ihn alleine lassen, doch er hält mich am Arm fest und will offensichtlich, dass ich zuhöre.

„Elvira, es tut mir leid!“, sagt er ins Telefon.

Ich höre wie er eine verärgerte Tirade zur Antwort bekommt, verstehe aber nicht genau was sie sagt. Max rollt mit den Augen und wirft mir einen gequälten Blick zu, bevor er entschlossen unterbricht.

„Ich will die Scheidung!“

Überrascht schlage ich die Hände vor dem Gesicht zusammen und halte den Atem an. Doch die Reaktion am Telefon fällt so kurz aus, dass ich nicht weiß, was los ist.

„Elvira?…Hallo…Elvira?“, ruft Max ins Telefon.

„Sie hat aufgelegt“, sagt er zu mir und hält mir das Telefon hin, als wollte er mir damit beweisen, dass er nicht irgendwen, sondern wirklich Elvira angerufen hat.

Doch diesen Beweis brauche ich nicht. Denn ich bin völlig überrumpelt.

„Du willst dich scheiden lassen? Und dein Sohn?“, frage ich.

„Da findet sich schon eine Lösung“

Er nimmt mich in den Arm und küsst mich. Und ich kann mich ganz hingeben, denn nun hat sich das Fragezeichen verbeugt und der Vorhang ist gefallen. Innerlich bejubele ich nicht seinen Auftritt, sondern seinen Abgang.

 

                                               **** Zwei Wochen später****

Elvira

Der Besuch beim Arzt hat den Test bestätigt. Ich bin schwanger. Und das ausgerechnet, wenn Max die Scheidung will. Oben ist unten; unten ist oben; jeder Satz endet mit Fragezeichen, die mich umzingeln; mir die Luft zum Atmen nehmen; mich überfallen, um mir den Schlaf zu rauben; alle Alternativen in der Luft zerreißen und nur eine einzige Möglichkeit als die richtige erscheinen lassen: Ich muss mit Max reden.

Ich will nicht! Und trotzdem sitze ich in seiner Mittagspause alleine in einem Restaurant nahe seinem Büro und warte auf ihn. Den ich telefonisch hierher bestellt habe.

Als er kommt, überreicht er mir einen Strauß blauer Kornblumen und drückt mir einen Schmatzer auf die linke Wange, als ob nichts gewesen wäre. Völlig überrumpelt nehme ich die Blumen an. Verhält sich so ein Mann, der sich scheiden lassen will? Ein weiteres Fragezeichen gesellt sich zu den bereits vorhandenen, dabei wollte ich doch Antworten.

„Kornblumen? Wieso Kornblumen?“

Noch ein Fragezeichen, doch irgendwie ist mein Gehirn gelähmt von all den vielen Fragen und scheint nur noch dieses Satzzeichen zu kennen.

„Die Verkäuferin meint, dass bedeutet in Blumensprache: Ich gebe die Hoffnung nicht auf!“, antwortet Max vergnügt.

„Also willst du dich nicht scheiden lassen?“, frage ich nun völlig verwirrt und sinke auf meinen Stuhl, die Blumen in der Hand, aber am Boden schleifend.

„Weißt du, was polyamoröse Beziehungen sind?“, beantworte Max meine Frage mit einer Gegenfrage.

„Nein…was…“

„Elvira! Ich liebe euch beide! Dich und Silvana. Und ich wünsche mir, dass ihr beide den Mut besitzt euch von den Bewertungen der Gesellschaft frei zu machen und das polyamorösen Konzept einer Dreierbeziehung erst einmal kennen zu lernen und uns eine Chance zu geben.“

„Eine Chance worauf?“

Ich verstehe gerade gar nichts mehr und finde auch keinen Ansatz für meine Neuigkeit.

„Eine Chance auf Transparenz, weil du weißt, dass Silvana und du meine Metamours seid. Eine Chance auf einen Konsens, weil wir alle drei uns freiwillig darauf einlassen und eine Perspektive, weil jede Einzelbeziehung die Möglichkeit zur Weiterentwicklung hat!“, betet Max sein Wissen über, was auch immer er mir da gerade als polyamorös verkaufen möchte, herunter.

„Scheiden lassen, sollten wir uns aber schon, damit Silvana sich in dieser Konstellation nicht benachteiligt fühlen muss“, redet Max weiter.

Keine Ahnung wieso er glaubt, dass ich mich auf so etwas freiwillig einlasse, nachdem er mich betrogen hat. Auch ist seine Besorgnis um Silvanas Benachteiligung ein absolut lächerlicher Scheidungsgrund. Ich werfe ihm seine Kornblumen ins Gesicht und sage kalt:

„Du hoffst auf eine Dreierbeziehung? Ich bin schwanger von dir und habe keine Zeit für deine Kindereien, weil bereits eine andere Hoffnung meine volle Aufmerksamkeit verlangt!“

Ich eile ohne weitere Worte zum Ausgang. Dieser Mann gibt keine Antworten. Tatsächlich verursacht er neue Fragezeichen. Je weniger ich mich mit diesen Fragezeichen beschäftige, umso schneller werde ich Antworten haben. Als ich das Restaurant verlasse, laufe ich an Silvana vorbei, die es betritt. Offensichtlich hat sie uns beobachtet.

`Du kannst ihn haben`, denke ich.

 

Epilog

Silvana hatte den Telefonanruf mitbekommen, weil sie bei Max im Büro stand, als der Anruf kam. Und obwohl sie erahnte, dass es um Elvira ging und Max direkt darauf angesprochen hatte, hatte Max mit einer Ausrede die gemeinsame Mittagspause abgesagt und ihr versichert, dass es nichts mit Elvira zu tun habe. Silvana glaubte ihm nicht und folgte ihm zum Restaurant. Nun geht sie auf einen versteinerten Max zu, um den die Kornblumen verstreut liegen.

„Du lügst mich an und bringst ihr Blumen mit?“, fragt Silvana enttäuscht.

„Sie ist schwanger. Ich werde wieder Vater!“

„Bitte was sagst du da?“

Wie vom Blitz getroffen, sinkt Silvana auf den Stuhl nieder auf den vorher noch Elvira saß.

„Ich will mit euch zusammen sein, aber weder du noch sie könnt gesellschaftliche Konventionen hinter euch lassen.“, sagt er traurig, „Alleine lassen will ich sie nicht, wenn sie schwanger ist“.

Silvana schaut ihn lange schweigend an, während er zusammengesunken sein Gesicht in seinen Händen vergräbt. Ihr ist klar, dass sie Max gerade verliert. Selbst, wenn er Elvira schon verloren hat. Sie denkt an ihre heimliche Recherche und die Informationen, die sie sich in den letzten zwei Wochen über Polyamoröse Beziehungen eingeholt hat. Sie weiß, dass der Betrug einen schlechten Start für eine solche Beziehung darstellt. Doch sie trifft eine Entscheidung.

„Und wenn ich es mit euch zweien versuchen würde?“

„Dann würde Elvira nicht mitmachen“ wiegelt er ab ohne aufzublicken.

„Und wenn ich sie mit ins Boot hole?“, lässt Silvana nicht locker.

Max richtet sich ruckartig auf und greift über den Tisch mit beiden Händen nach Silvanas Gesicht.

„Das wäre ein Geschenk des Himmels!“

Silvana fängt seine Hände ab und hält sie fest.

„Unter zwei Bedingungen: Erstens: Du lügst mich nie wieder an und Zweitens: Das Ganze ist ein Experiment und ich darf meine Meinung jederzeit wieder ändern, wenn ich merke das es für mich nicht funktioniert“

„Alles was du willst, meine Metamour!“, antwortet Max und nimmt Silvana in die Arme.

 

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