Von Herbert Glaser

Reinhold war voller Vorfreude. Er hatte heute Geburtstag und seine Freundin wartete zuhause ganz sicher mit einer Überraschung auf ihn.

„Kommst du ausnahmsweise mal pünktlich zum Abendessen?“, hatte Sonja ihn morgens verabschiedet. Den gereizten Ton schob er auf ihre Nervosität, ihm an diesem Ehrentag alles recht zu machen – gutes Mädchen.

 

Am frühen Nachmittag nahm er sich frei – als Boss konnte er sich das erlauben. Dass er am Vormittag einer Angestellten kündigen musste, trübte seine Stimmung kein bisschen. Er hatte Mitarbeiter schon für weniger gefeuert. Der Frau half in diesem Fall nicht einmal das, weshalb sie von ihm eingestellt worden war: ihr Dekolleté.

 

In Hawaiihemd und Shorts schlenderte er durch die Fußgängerzone.

Er betrat ein Café und hielt gezielt nach attraktiven weiblichen Gästen Ausschau.

„Erlauben Sie?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Reinhold sich zu einer Frau jenseits der Lebensmitte, die alleine an einem Tisch saß.

Während er ein Stück Sahnetorte mit Cappuccino orderte, musterte er ungeniert sein Gegenüber. Ihr Haar erschien ihm eine Spur zu blond, der feuerwehrrote
Lippenstift zu dick aufgetragen. Und dann diese bratenspießartigen Fingernägel. Na ja, spekulierte er in Gedanken, vor ein paar Jahren und in einem anderen Licht war sie vielleicht ganz hübsch gewesen.

Auf jeden Fall passte sie nicht in sein Beuteschema … besonders heute, wo Sonja ihm den Abend versüßen würde.

„Wissen Sie, was wirklich ungerecht ist?“, belästigte er sie trotzdem, bevor er sich ein großes Stück Torte in den Mund schob.

Ihre aufgemalten Brauen wanderten nach oben.

„Wenn man eine Packung Chips oder eine Tafel Schokolade mehrmals am Tag nicht anrührt, sie aber irgendwann doch aufisst, dann zählen die vielen Male, die man sie ignoriert hat, nicht mehr. Ist das nicht total unfair?“

Mit der flachen Hand schlug er sich auf den Bauch und knetete seine beträchtlichen Speckrollen. „Davon können Sie sicher ein Lied singen, wenn ich Sie mir so ansehe.“

Ohne ein Wort zu sagen, sprang die Frau auf und setzte sich an einen anderen Tisch.

„Früher waren die Frauen mit vierzig zahnlos, heutzutage sind sie im selben Alter erstgebärend“, rief Reinhold ihr über zwei Tische hinweg nach.

Ein vorbeigehender Ober schüttelte den Kopf und murmelte Abfälliges vor sich hin. Reinhold wollte ihn zurechtweisen, als ihm eine Idee kam.

Dir zahle ich es heim, über einen zahlenden Kunden herzuziehen. Du bekommst von mir ein dermaßen üppiges Trinkgeld, dass dir dein unverschämter Kopf schwirrt. Ein Monstertrinkgeld, damit du dich an mich erinnerst, lange nachdem ich dich vergessen habe. Ich werde mir mit Geld ein Denkmal in deinem Schädel errichten, du kleiner Pisser!

Nach Ausführung dieses Plans setzte er seinen Spaziergang fort.

Ein Blick auf die Uhr ermunterte ihn, sein Zuhause anzusteuern. Sonja hatte nun wirklich genügend Zeit gehabt, den Haushalt zu schmeißen, mit dem Hund Gassi zu gehen und das Abendessen vorzubereiten.

 

Freudig erregt sperrte er die Haustüre auf und ließ sich gespannt auf einen Stuhl im Esszimmer plumpsen.

„Ich bin da, Püppchen … pünktlich wie die Feuerwehr!“, rief er sicherheitshalber in Richtung Küche, damit sein Kommen nicht unbemerkt blieb.

Reinhold entdeckte ein Paket auf der Kommode, das Sonja liebevoll in Weihnachtspappe vom vergangenen Jahr eingepackt hatte. Sein Geschenk! Er rieb sich die Hände.

Der Rauchmelder in der Küche kündigte das Abendessen an.

Sonja stürmte herein und knallte einen Teller vor ihm auf den Tisch.

„Mahlzeit!“

Reinhold bemerkte ihre feuchten, geröteten Augen.

„Ist was mit dem Hund?“, erkundigte er sich ehrlich besorgt.

„Du bist so ein Idiot!“, gab seine Freundin jede Zurückhaltung auf, „Glaubst du, ich lasse mir dein Verhalten noch länger gefallen?“

Reinhold war ausnahmsweise sprachlos. Sonja legte nach.

„Ich habe es versucht, mehr als ein Jahr, aber es hat keinen Sinn. Du bist und bleibst ein unsensibler Egoist … von deinen Frauengeschichten ganz zu schweigen. Meine Freundin hatte mich vor dir gewarnt, ich hätte auf sie hören sollen.“

„Die mit den beiden Schreihälsen?“

„Ja, Renate und Wolfgang haben zwei Kinder. Das ist auch so ein Thema, das man mit dir nicht besprechen kann.“

Er antwortete mit einer abfälligen Geste.

„Mir reicht es, ich ziehe aus … das hätte ich längst tun sollen!“

Als die Haustüre lautstark zugeschlagen wurde, zuckte Reinhold kurz mit den Achseln, dann öffnete er das Paket.

Die aufblasbare Liebespuppe leistete ihm in dieser Nacht wertvolle Dienste, bevor er sie am nächsten Morgen in der Mülltonne entsorgte.

 

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