Von Vanessa Wedekämper

„Ich brauche 500€ in Yen!“ 

 

Perplex schaute ich den Mann vorm Schalter an. Als Bankangestellter hörte ich diesen Satz oft, aber der Mann im Anzug kam gradewegs zum Schalter und ignorierte die Schlange davor.

 

„Sir, die Dame war vor Ihnen“, sagte ich ruhig.

 

„Geht ganz schnell“, sagte er über die Schulter zu ihr. 

 

Was sollte man dazu noch sagen? Ich beugte mich etwas zur Seite, so dass ich die Dame sehen konnte. 

 

Mit einem verständnisvollen Lächeln nickte sie mir zu und sagte: „Die jungen Leute heutzutage haben es immer sehr eilig.“

 

Einerseits war ich froh, ohne Ärger weiterarbeiten zu können. Andererseits ärgerte ich mich mehr, dass er mit seiner Dreistigkeit siegte. Ich hasste diese Anzugtypen, auch wenn ich während der Arbeit selbst einen trug. In einem Pulli wurde man als Bankangestellter einfach nicht ernstgenommen.  Wieso machte ich den Job überhaupt? 

 

Ich schaute auf die Uhr. Endlich war es Zeit für meine Frühstückspause. Als ich in den Pausenraum ging, waren schon alle Kollegen da. Selbst Mike, der grade noch am Schalter neben mir stand. Sie alle stimmten „Happy Birthday“ an. Das waren mit Abstand die besten Kollegen. Sabine hielt mir einen Berliner mit einer Geburtstagskerze hin.

 

„Auspusten und dann musst du dir was wünschen“, sagte sie mit einem Strahlen.

 

Mal sehen. Was wünsche ich mir? Eigentlich wollte ich nur mal einen Tag ohne genervte Kunden. Oder noch besser: Heute nicht mehr arbeiten müssen. Zum Glück durfte man seinen Geburtstagswunsch nicht verraten. Also pustete ich nur die Kerze aus und freute mich über die Überraschung. 

 

„Oh ich muss wieder nach vorne“, sagte Mike, der den Eingang die ganze Zeit im Auge behalten hatte.

 

Ich nahm die Kerze vom Berliner und biss herzhaft hinein. Dabei tropfte ein dicker Klecks Marmelade auf meine Krawatte. 

 

„So ein Mist“, zischte ich. 

 

Kurz versuchte ich, den Fleck wegzuwischen, aber schnell gab ich auf und suchte in meinem Spind nach Ersatz. 

 

„Ohh man, irgendwo muss sie doch sein“, murmelte ich und kramte den halben Inhalt aus meinem Spind raus. 

 

Wenn ich sie nicht fand, würde es eine gesalzene Standpauke von meinem Chef geben. 

 

Innerlich hörte ich ihn schon schreien: „Wie sehen Sie denn aus. Und so wollen Sie sich den Kunden zeigen? Wie respektlos!“

 

Als mir schon der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach, fischte ich die Krawatte unter einem Buch hervor. Während ich sie mir umband, überprüfte ich schnell mein Aussehen im Spiegel. Mein Mund war noch voller Zuckerguss. Peinlich, wie bei einem Kind. Hastig wischte ich ihn ab und machte mich auf den Weg nach vorne.

 

Als ich den Pausenraum verlassen wollte, sah ich sie. Zwei Männer mit Sturmhauben. Mir stockte der Atem. Instinktiv huschte ich ein Stück zur Seite. Und damit aus dem Sichtfeld der Zwei. Hoffentlich.

 

„Hände hoch und alle in die Ecke!“, hörte ich sie schreien.

 

Außer in Filmen hatte ich nie eine Waffe gesehen, aber das Geräusch, was ich jetzt hörte, klang wie eine Pistole, die entsichert wurde. Ich war wie versteinert. Aber ich musste was machen. Zitternd schlich ich an der Wand entlang, bis zu der Garderobe. Jeder Schritt fühlte sich so schwer an, als würde ich durch Wackelpudding laufen. In meiner Jackentasche fingerte ich nach dem Handy. Mit zitternden Fingern wählte ich den Notruf. Aus Angst die Räuber könnten mich hören, flüsterte ich so leise, dass die Frau am anderen Ende mich fast nicht verstand.

 

„Hände hoch und nach vorne zu deinen Kollegen.“

 

Vor Schreck fiel mir das Handy auf den Boden. Der Lauf der Pistole bohrte sich in meinen Rücken. Plötzlich gingen mir hunderte Gedanken durch den Kopf. Ich musste an meine Eltern denken, an meine Frau. Und daran, dass der Typ mit der Pistole ein weißes Muskelshirt trug, das mehr wie ein Unterhemd aussah. Kam er direkt aus dem Fitnessstudio? Und warum interessierte mich das jetzt überhaupt?

 

Der Hemdchenträger brachte mich zu meinen Kollegen. Die saßen alle zusammengekauert in einer Ecke und wurden von dem anderen Bankräuber bewacht. Der trug nur ein schlichtes T-Shirt. Und wieder fragte ich mich, warum zur Hölle mir das jetzt so wichtig war! Der Hemdchenträger zog den großen Blumenkübel mit der Yucca-Palme vor die Eingangstür. So, dass man die Tür von Außen nur schwer öffnen konnte. Dann verschwand er wieder im hinteren Teil der Bank. Der andere hielt die Pistole fest auf Mike gerichtet. Der saß regungslos da. Und ich konnte nur auf den Typ starren, der eine Waffe auf meinen besten Freund richtete.

 

„So und jetzt alle Jacken, Schuhe und Hosen aus. Und dann alles zu mir werfen“, sagte der Typ mit der Waffe.

 

Ohne zu zögern fing ich an, mich auszuziehen. Was sollte das? Machte es dem Typen Spaß? Oder war das ein komischer Psycho-Trick, um uns gefügiger zu machen? Auf jeden Fall konnte er so sichergehen, dass wir keine Handys mehr bei uns trugen. Mike fixierte den Typen mit seinem Blick, während er langsam den Anweisungen folgte. Als Mike die Schuhe auszog, musste ich schmunzeln. Unter seinem sonst so adretten Outfit trug Mike rote Socken mit türkisen Punkten. Doch als mir auffiel, welche Boxershorts ich trug, verging mir das grinsen. Musste ich ausgerechnet heute die mit den Teddys anziehen?

 

Ich weiß nicht, wie lange wir schon so saßen, doch von der Polizei war noch nichts zu sehen. Der Hemdchenträger hatte noch zwei unserer Kollegen zu uns gebracht, war aber schon lange wieder hinten verschwunden. Langsam bereute ich es, heute so viel Kaffee getrunken zu haben. Vielleicht war es auch nur die Nervosität. Ich mein, was machte der Hemdchenträger die ganze Zeit? Brach er den Tresor auf? Und viel wichtiger war, wo blieb die Polizei?

 

Das Telefon klingelte. Keiner reagierte. Nach einer Weile hörte es auf, nur um gleich wieder zu klingeln.

 

„Du, aufstehen“, als er das sagte, zeigte der Typ mit der Waffe auf mich. 

 

Einen Moment vergaß ich zu atmen. Als ich endlich wieder klar denken konnte, tat ich, was er von mir verlangte. Aber mein Fuß war eingeschlafen, also endete mein erster Versuch auf dem Hintern. 

 

„Keine Faxen! Sonst erschieß ich dich und such mir ne andre Geisel.“

 

 Hatte ich schon erwähnt, dass ich diesen Job hasse?

 

„Du gehst jetzt ans Telefon und wenn das die Bullen sind, sagst du, dass wir nicht verhandeln.“

 

Vorsichtig, ohne zu schnelle Bewegungen ging ich in Richtung des Bankräubers. Mit zitternder Hand nahm ich das Telefon. Ich wollte den Lautsprecher anstellen, doch der Bankräuber schüttelte wild den Kopf. 

 

„Verdammt! Die sollen meine Stimme doch nicht hören!“

 

Dafür kam er mit dem Kopf dicht ans Telefon, um kein Wort zu verpassen. Es war tatsächlich die Polizei.

 

„Wir verhandeln nicht …. ähhm also die Bankräuber verhandeln nicht.“

 

Der Bankräuber nickte bestätigend. 

 

„Und nun sag, dass ich ab jetzt, immer wenn das Telefon klingelt, eine Geisel erschießen werde. Und dann leg direkt auf.“, flüsterte er.

 

Mir wurde schwindelig. Sie würden uns wirklich erschießen. Alles fing an, sich zu drehen. Aber ich tat das, was mir befohlen wurde. Plötzlich wurde die Eingangstür aufgerissen und der Blumenkübel fiel laut krachend um. Erschrocken taumelte ich einen Schritt zur Seite. Stieß gegen den Bankräuber und riss ihn mit mir zu Boden. Dabei lies er die Waffe fallen. Mit einer schnellen Bewegung sprang Mike auf und griff danach. Während ich noch immer perplex auf dem Bankräuber lag, drückte Mike ihm den Lauf gegen die Stirn. Den Blick hatte Mike starr auf die Tür zum Personalraum gerichtet. Fest entschlossen zu schießen, wenn der Hemdchenträger kommen würde. 

 

„Ähh…ich wollte doch nochmal 200€ in Yen. Sicher ist sicher.“ 

 

Vor uns stand, der nun etwas verwirrt guckende, Anzugträger. Er hatte die versperrte Tür einfach ignoriert.

 

Durch die Tür zum Personalraum kamen jetzt Polizisten zu uns. Den Hemdchenträger im Schlepptau. Sie hatten sich unbemerkt durch den verschlossenen Hintereingang Zugang verschafft und den Hemdchenträger überwältigt. Das Telefonat war anscheinend nur ein Ablenkungsmanöver gewesen.

 

Obwohl wir jetzt sicher waren, wollte ich nur raus. Ohne mir meine Hose zu schnappen rannte ich los. Nun war es mir egal, wie ich aussah. Ich wollte nur noch raus. Und da war ich nicht der Einzige. Dafür, was wir grade Schreckliches erlebt hatten, gaben wir wahrscheinlich ein lustiges Bild ab, wie wir alle mit Hemd und Socken bekleidet auf dem Parkplatz standen.

 

Ich war froh, dass dieses Martyrium endlich vorbei war. Und wenn ich das nächste Mal einen Wunsch frei hatte, würde ich mich einfach für den Sechser im Lotto entscheiden.

 

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