Von Bernd Kleber

Wenn sie mit ihren Lippen meinen Hals berührt und ich den lang mache, mich ein wenig in die andere Richtung neige, stört sie das nicht. Mir laufen Schauer über Rücken und Unterarme, die sie zur Kenntnis nimmt und dann wie eine Katze schnurrt. „Liebling, das scheint Dir ja zu gefallen. Und was ist hier los?“

Ihre Hand greift in meinen Schritt, während sie weiterhin meinen Hals besabbert, und ich schüttele mich vor Ekel. Im Schritt ist Ruhe.

Enttäuscht lehnt sie sich zurück und fragt, was das abendliche Fernsehprogramm zu bieten hat.

Ich atme tief durch. „Schalt ein, was Du magst!“

Unsere Ehe ist irgendwie ausgelutscht. Was macht man da? Paartherapie? Oder akzeptieren? Ich mache mir ernsthaft Gedanken, wie sich der weitere Lebensverlauf gestalten wird.

Was mich jedoch besonders nervös werden lässt, ist die Erinnerung an eine vollkommen unerwartete Regung in mir, die mein Leben fast zerstört hatte.

Es begann vor einigen Wochen. Unser Chef, dessen Berentung anstand, stellte den neuen „Alten“ vor. Ein Mann Mitte 50, recht schlank, vielleicht sportlich. Gepflegte Hände. Mittelblond und volles Haar. Zwei Augenfarben. Eines dunkelbraun, das andere dunkelblaugrau. Und dann Augenbrauen! Ja, diese Augenbrauen waren einfach sehr dominant. Ich konnte gar nicht wegsehen. Schwungvoll bogen sie sich über seiner Iris-Heterochromie, buschig und doch nicht lang und wild, sondern eher energisch in Reih und Glied. Womit wir fast beim Thema sind. Mein Glied! Es regte sich. Was mir zutiefst unheimlich war und sehr peinlich. Ich drehte mich unauffällig weg und suchte die Toilette auf, um mich zu beruhigen. Nicht, dass Sie jetzt auf merkwürdige Ideen kommen. Nur einfach runterfahren wollte ich.

Da stand ich nun vor dem Spiegel und betrachtete mein fahl blasses Gesicht. Mein Atem ging kurz, mein Puls schnell. Ich beruhigte mich und schob meinen Allgemeinzustand einer Laune der Natur, der Tages-Konstitution zu. Ich hatte ja lange kein Schäferstündchen mit meiner Frau, weil ich nicht die Spur einer Regung fühlte. Und das da eben war irgendein spontaner Zufall, der mit dem neuen Chef wohl nichts zu tun haben würde. Ich bin 32 Jahre verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder.

Der Neue war sehr freundlich, verbindlich und sorgte für eine entspannte Büroatmosphäre. Sein Führungsstil war eher kameradschaftlich denn hierarchisch oder despotisch, wie damals dieser Lehmann.

Was mir nun aber das Leben schwer machte, immer wenn unser Neuer kam und mit mir sprach oder sich in meiner Nähe aufhielt, hatte ich Mühe bei mir zu bleiben. Ich ertappte mich, wie ich ihn beobachtete. Seine Bewegungen, seinen Gang, seine Sprechweise. Ich taxierte seine Kleidung. Vor allem fixierte ich seine Augenbrauen. Sie strahlten Kraft und Ruhe, Dynamik und Gepflegtsein aus.  Diese Brauen sind unheimlich männlich. Und in meiner Hose Frühling!

Abends nach getanem Tagwerk, neben meiner Frau liegend, dachte ich an den Vorgesetzten. Ich begann mir Situationen zu phantasieren. Einmal muss ich unbedacht aufgestöhnt haben, was meine Frau veranlasste, zu fragen, ob ich Schmerzen hätte.

Etwas war geschehen. Mein Leben als Buchhalter war durcheinander, wo ich doch strenge Ordnung zu meinem Lebensprinzip erkoren hatte.

Der Zustand verschlimmerte sich so sehr, dass ich mit schweißnassen Händen ins Büro fuhr. Wenn ER mich ansprach, hob ich an zu stammeln und zu stottern, bekam kaum ein Wort heraus. Mein Gesicht glühte förmlich wie im Fieberwahn. ER jedoch beugte sich zu mir und redete beruhigend mit gesenkter Stimme auf mich ein. Ich solle mich sammeln, es gäbe keinen Grund, nervös zu sein, er schätze meine gewissenhafte Arbeit und er verstünde, dass der Alltagsstress zu Konzentrationsschwächen führe.

Wenn sein Gesicht so dicht vor mir war, ich in diese magischen Augen blickte, bestand in mir der tiefe Wunsch, ihm einen Kuss aufzudrücken. Schlimmer! Ich hatte die unerklärliche Gier, seine Augenbrauen der Länge nach abzulecken.

Schluss! Aus!

Ich muss zum Psychologen, zum Therapeuten. Hier stimmt etwas nicht.

Der Therapeut, eine Frau mit einem riesigen Schalwulst um den Hals bei hochsommerlichen Temperaturen, einem wilden Haarschopf, so eine Art Storchennest aus dieser Art Haaren, die so verfilzt sind. Ich fragte mich dann immer, ob da auch noch Untermieter anzutreffen sind. Wenn sie mit ihrem Stift durch die Haare hindurch ihre Kopfhaut schabte, fühlte ich mich sogar bestätigt. Ihr Name war Sonnenschein, weshalb ich sie im Verzeichnis wählte und einen Termin vereinbart hatte. Nun versuchte ich mich an diesen Sonnenschein zu gewöhnen. Sie trug sehr pluderige Hosen, sagt man dazu Hosenrock? Die erinnerten mich aber eher an Schlafanzughosen. Wobei der Stoff aus einem Material und mit einem Muster versehen war, der mich eher an die Küchenvorhänge meiner Mutter denken ließ. Wie auch immer, diese Fachkraft lachte, als sie von meinem Problem hörte.

„Was macht Ihnen an diesem Gefühl der Lust Angst, Herr Weber?“

Ich weiß nicht, ob diese Frage wirklich zielführend war.

Später: „Erleben Sie dieses neue Gefühl als lebendig und etwas Lebensbejahendes. Ihr Körper sendet Ihnen doch eindeutig lebendige Signale!“

Und …

„Genießen Sie Ihren Supercillium-Fetish, das ist doch etwas ganz Besonderes!“

Bei der Frage: „Würden Sie denn gerne nackt mit Ihrem Vorgesetzten in einem Bett liegen und sich dominieren lassen?“, wollte ich spontan laut werden „Das geht Sie ja wohl gar nichts an!  Wie kommen Sie mir denn vor?!“ Aber es fiel mir rechtzeitig ein, dass ich mit meiner Therapeutin spreche. Mit dem Sonnenschein!

Irgendwie hatte ich nach den Sitzungen immer das Gefühl, noch konfuser zu sein als zuvor.

Wenn ich daheim meiner Frau in das Gesicht blickte, betrachtete ich ihre gezupften Augenbrauen und verglich sie gedanklich mit denen meines Bosses. Ich träumte davon und wurde sogar mit einer Ejakulation wach, was mir seit meiner Jugend nicht mehr passiert war. Sehr peinlich berührt musste ich in der Nacht meine Wäsche wechseln, nachdem ich mich gereinigt hatte. Was dachte wohl meine Frau am nächsten Morgen, als sie die ausgespülte Hose entdeckte?

Ich war ein Wrack. Meine Hände zitterten wie bei einem Alkoholiker auf Entzug. Mein Leben war derart durcheinander, dass ich nicht wusste, wie ich je wieder ruhig schlafen könne.

Eines Tages, ich saß mit Kollegen in der Kantine, fragte ER mich, ob ich nach der Mittagspause in sein Büro kommen könne, er hätte eine persönliche Frage an mich. Ich spuckte fast die Suppe über den Tisch vor Schreck. Wieder spürte ich, wie mein Gesicht brannte wie bei einem Sonnenbrand, der nicht von Frau Sonnenschein stammte. Ich nickte nur und bekam ein Herzrasen, das mir bedenklich ungesund vorkam.

Was würde er wollen? Was würde ich tun? Das ging mir durch den Kopf. Manches Mal hatte ich das Gefühl, die Kollegen ahnten meine Gedanken, würden sehen, wie mir die Zunge aus dem Mund hing und ich sabbernd an diese Augenbrauen wollte.

Nach der Pause begab ich mich mit zittrigen Knien zum Büro. Ich hob meine Hand und wartete drei Atemzüge, ehe ich klopfte. Sein freundliches „Herein!“, war zu hören. Ich drückte die Klinke hinab, schob langsam die Tür auf. „Kommen Sie schon, lieber Herr Weber, ich freue mich schon!“ Seine Augenbrauen hüpften auf und ab. In meiner Hose begann auch etwas zu hüpfen.

Ich betrat mit krankem Puls das Zimmer. „Herr Weber, Sie wissen ja, ich bin neu hierhergezogen! Und ich kenne mich nicht so gut aus. Aus der Personalakte entnahm ich, dass Sie schon lange hier beheimatet sind. Ich brauche Sie!“ Es klang wie Musik in meinen Ohren. Wollte er sich abends mit mir verabreden? Würde ich in den Genuss kommen, exklusiv mit ihm allein, seine Brauen zu fixieren? Ich werde zu allem „Ja!“ sagen, dachte ich damals.

„Empfehlen Sie mir einen Bäcker … Ich bringe morgen, da Fastnacht ist, Berliner für unser Team mit!“

„Berliner?“, fragte ich und schlaumeierte: „Berliner zum Essen heißen bei uns Pfannkuchen, klingt wirr, ist aber so!“ Ich lächelte meinen Boss an. Der dankte freundlich.

Doch war ich enttäuscht und froh zugleich. Der Ausbruch meiner Perversion war gestoppt. War das nun ein Glück oder würde Frau Sonnenschein Lebensfreude anmahnen?

Am nächsten Tag kam mein Augenbrauen-Held mit einem großen Karton Pfannkuchen. Er verteilte sie gut gelaunt und lächelnd in der dafür versammelten Runde. Eine Kollegin schoss Fotos. Alle waren gut gelaunt und in mir machte sich ein Gefühl der Eifersucht breit. Waren es doch privat eingefärbte Momente, die ich mit ihm allein verbringen wollte.

Wir ließen uns die „Berliner“ schmecken. Die Kuchen waren mit Pflaumenmus, Erdbeermarmelade und Eierlikörcreme gefüllt. Frau Meier hatte einen Scherzkuchen, darin war Senf. Alle lachten herzlich. Nur ich stand dabei und blickte in die Runde. Ich hätte am liebsten „Alle raus!“ geschrien.

Ich sah verträumt zu meinem Chef hinüber. Der biss lächelnd in seinen Kuchen. Dann geschah es!

Aus dem Gebäck tropfte das Fruchtmus auf seinen silbrig blauen Schlips. Sein Gesicht verzog sich zu einer dämonischen Grimasse. Der Blitz der Kamera Frau Schusters strahlte diese Fratze in kaltes Licht. Ich habe in meinem Leben noch nie so einen widerlich abstoßenden Gesichtsausdruck gesehen. Ich spürte, wie aller Druck von mir ging. Es schüttelte mich, als würde meine Frau meinen Hals lecken. Ich sah diesen Mann mit anderen Augen und war schlagartig geheilt.

Heute sehe ich nur noch diesen Fleck auf seiner Krawatte in meinem Gedächtnis, wenn ich ihm gegenüberstehe, und muss darauf achten, nicht hochmütig zu sein. Trottel der!

V3/9460