Von Karl Kieser

Zeit seines Lebens hat sich Horst nur für großvolumige Autos interessiert.
Kleinwagen übersieht er gerne. In seinen Augen haben die, wenn überhaupt, nur eingeschränkte Rechte.
Er ist schon weit über das Rentenalter hinaus, aber sein geliebtes Auto steuert er immer noch unbeschwert durch seine ländliche Umgebung.
Doch an die Fahrt zu einem Herzspezialisten erinnert er sich nur ungern. Er musste dazu in die nahe Kreisstadt. Aus leidvoller Erfahrung vertraut seine Frau Giesela nicht mehr auf seine Fahrkünste. Auf längeren Strecken begleitet sie ihn lieber als Kontrollperson. Sie tut das, obwohl ihn ihre Warnungen regelmäßig aufregen und sie sich schon ein dickes Fell zulegen müsste, um seine verärgerten Reaktionen ertragen zu können.
Wenn sie ihn zum Beispiel auf eine rote Ampel hinweist, dann ist seine übliche Reaktion: „Mein Gott, Giesela. Ich sehe selbst, dass die Ampel rot ist. Warum erzählst du mir das?“ Wobei er absichtlich, ohne langsamer zu werden, auf die Ampel zu prescht, um erst im letzten Augenblick mit einer Vollbremsung anzuhalten. Dabei macht es ihm eine sadistische Freude zu beobachten, wie Giesela sich auf den letzten Metern stöhnend auf eine imaginäre Bremse stemmt.
Freunde, bei denen sie sich über das Verhalten ihres Mannes beschwert vermuten heimlich, dass hier eine Menge an Ehefrust ausgelebt wird.

In der Kreisstadt sind sie in einen besonders engräumigen Parkturm geraten. Horst ist schon deutlich angefressen, weil er sich auf der Herfahrt besonders viele Hinweise seiner Gattin anhören musste. Das enge Parkhaus bringt ihn aber an den Rand eines Herzinfarktes. Bis zum 9. Parkdeck mussten sie sich schließlich hinaufquälen, bevor sich ein geeigneter Platz gezeigt hat. Auf dem ganzen Weg hinauf hat Horst den Architekten verflucht und den großen Wagen mühsam in den Drehwurm gezwungen. Giesela muss sich so einiges anhören. Von „wenn sie schon ein Parkhaus für Spielzeugautos bauen, dann sollten sie das auch deutlich dranschreiben!“ bis zu „diesen Architekten könnte ich umbringen!“ gibt es eine ganze Palette von Flüchen und Beleidigungen, die auch die Stadtverwaltung mit  einschließt. Giesela macht sich ernsthafte Sorgen um die Gesundheit ihres Gatten.
Der kämpft inzwischen mit hochrotem Kopf und widerstreitenden Gefühlen um die Unversehrtheit seines Autos. Zum einen möchte er sein geliebtes Auto unbeschadet einparken, zum anderen würde er liebend gerne dieses Gelump von einem Parkhaus mit seinem Panzer in Grund und Boden rammen. Dabei wird er noch gejagt von einem kleinen laubgrünen Geländewagen, dem der Drehwurm seines Vorgängers offensichtlich nicht schnell genug geht. Horst kriegt das aber gar nicht mit, weil er so beschäftigt ist mit Fluchen und Kurbeln, dass er keinen Blick für den Rückspiegel hat.

 
Trotz aller hektischen Kurbelei hat die vordere Stoßstange an einer Stelle frische Markierungen auf der Betonwand hinterlassen. Neben dem Lack ist dabei auch etwas von Horsts Selbstvertrauen abgeschabt worden.

Auch die einzelnen Parkflächen sind in diesem Parkhaus nicht gerade großzügig bemessen. Als endlich eine unbelegte auftaucht, ist sie Horst zu eng. Außerdem hat einer der vorher hier Parkenden nicht nur seinen Aschenbecher ausgeleert, sondern auch noch einiges an Pizzakartons entsorgt. In diesen Unrat wird er sein schönes Auto doch nicht hineinstellen. Er fährt folglich zunächst weiter, bis ihn die Aussicht auf weitere Kurbeleien zum Umdenken bringt. Nun will er rückwärts in die Lücke einparken. Giesela muss aussteigen, damit sie in gemeinsamer Anstrengung Ihr Gefährt in die enge Box zirkeln können. Der Fahrer des ihm folgenden Geländewagens hat aber längst seine Chance genutzt und ist in die Parklücke hineingeschlüpft. Der ganz in grün gekleidete Mann – er trägt sogar einen grünen Filzhut mit Gamsbart – ist sogar schon ausgestiegen und auf dem Weg zum Aufzug, als Horst endlich bemerkt, dass er viel zu langsam gewesen ist. Rot vor Zorn fährt er die Seitenscheibe seines Schlachtschiffes hinunter und brüllt dem Enteilenden nach: „He, Sie Jägermeister, kommen Sie sofort zurück, das ist immer noch mein Parkplatz!“
Wer weiß, wie das ausgegangen wäre, hätte nicht Giesela ihren Horst darauf aufmerksam gemacht, dass weiter vorn gerade eine Parkbucht frei gemacht wird.

Endlich kann Horst sich schimpfend und schwitzend durch den Türspalt zwängen. Dann dauert es auch noch endlos, bis schließlich der Aufzug kommt. Auch die Kabine bräuchte dringend eine Generalreinigung und Horst hat weitere Gründe, sich aufzuregen. Giesela hat inzwischen ihre Toleranzgrenze erreicht. Sie zerrt den widerstrebenden Gatten hinein: „Jetzt komm schon, du meckernder Ziegenbock, wir sind ohnehin schon spät dran.“ Damit rammt sie resolut ihren Daumen auf das E für Erdgeschoss. Aber reibungslos abwärts geht es nur bis zur sechsten Ebene. Danach macht der Lift auf jeder Ebene einem Zwischenstopp, weil ein Witzbold in jeder Abwärtsetage vom Treppenabgang aus auf den Rufknopf gedrückt hat.
Horst hat sofort einen Verdacht: „Das war bestimmt dieser unverschämte Jägermeister. Wenn ich den erwische, dann kann der was erleben. Erinnere mich daran, dass ich ihm eine Beule in seinen Laubfrosch trete, wenn wir zurückkommen.“

Als sie endlich unten ankommen, schwört Horst, diesen verdammten Saftladen demnächst in die Luft zu sprengen.
Die ganze Aufregung hat auch noch dazu geführt, dass der Herzspezialist bei der anschließenden Untersuchung ein sehr bedenkliches Gesicht gemacht hat.

Bei der Rückfahrt aus dem Parkturm ist es nicht viel besser. Einmal hat Horst den Wagen so verkeilt, dass er zurücksetzen muss. Nur weil der ungeduldig wartende Hintermann schnell genug reagiert und ebenfalls den Rückwärtsgang bemüht hat, ist die hintere Stoßstange diesmal davongekommen. Giesela schwört heimlich, nie mehr mit dem Göttergatten als Chauffeur in die Stadt zu fahren.
Um nicht selbst auch noch die Nerven zu verlieren, muss sie sich mehrmals ihr Mantra vor Augen rufen. Darin schwebt sie im Lotussitz losgelöst unter dem leuchtenden Ende eines Regenbogens.

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